Gebt den Alten eine Chance!

Warum Pfarrer:innen deutlich länger im Dienst verbleiben sollten
Foto: privat

„Die Menschen vor Ort sind die Subjekte der Erprobung, nicht die Institution Kirche.“ Diesen Satz habe ich vor wenigen Tagen bei einer Konferenz in Erfurt zu den Erprobungsräumen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) gehört. Ich musste an ihn denken, als ich den aktuellen Text von Katharina Scholl hier in den z(w)eitzeichen-Kolumnen las. Darin spricht sie sich gegen die Weiterbeschäftigung von pensionierten Pfarrer:innen in pastoralen Aufgaben aus, weil diese den „Druck“ mindern könnte, ohne den sich „innovatives Potential“ in der Kirche nicht entfalten könne: „Die quantitative Entwicklung im Bereich des Pfarrberufes wird hier wie ein Katalysator wirken und die nötige Unruhe ins System bringen, damit wirklich Neues entstehen kann.“

Ich teile diese Erwartung ausdrücklich nicht. Auch wenn es an der Prognose des gewaltigen Rückgangs an Pfarrpersonal in den kommenden Jahren nichts zu deuteln gibt: Die Standardreaktion darauf ist wohl kaum fröhliches Rethinking, sondern eine um sich greifende Angststarre, und der häufigste Lösungsansatz die Ausdünnung kirchenamtlicher Kontaktflächen zur eigenen Mitgliedschaft und in den Sozialräumen. Aber, um dem Erfurter Satz zu folgen: Erprobt wird ja gerade nicht die Institution Kirche! 

Nicht als "Lückenfüller"

Es kann bei der Frage danach, ob Pfarrer:innen länger als bisher üblich berufstätig bleiben sollen, nicht darum gehen, welche vermeintlich positiven Folgen ihr rechtzeitiges Ausscheiden aus dem aktiven Pfarrdienst für die Institution womöglich haben kann. Erstens, weil die negativen Folgen des Pfarrmangels nun einmal oben auf liegen und zweitens, weil damit so oder so die Frage nach dem Subjekt einer möglichen Veränderung einseitig zu Gunsten der Organisation beantwortet würde. Es muss also um die Pfarrpersonen gehen.

Ich möchte mich beherzt dafür aussprechen, dass unsere Pfarrer:innen zukünftig länger arbeiten. Wohlgemerkt, nicht als Pensionär:innen „notdürftig Lücken füllen“, sondern als Pfarrer:innen länger ordentlich in Amt und Dienst verbleiben. Praktischer Weise muss dafür nicht einmal der gesetzliche Rahmen geändert werden, denn ein „Hinausschieben“ des Ruhestandes bis maximal zum 75. Lebensjahr ist heute schon möglich (s. § 87a Hinausschieben des Ruhestandes Pfarrdienstgesetz der EKD). Ich hoffe darauf, dass in den nächsten Jahren viele Pfarrer:innen davon Gebrauch machen. Auch wird darüber nachzudenken sein, ob man die Regelaltersgrenze vom 67. Lebensjahr auf das 70. Lebensjahr anhebt. Gerne in einem Stufensystem, so wie man die Jahrgänge 1947-1963 ja auch sukzessive an die Altersgrenze von 67 herangeführt hat.

Die Evangelische Kirche braucht ihre Pfarrer:innen, auch jene, die nicht mehr taufrisch sind. Ja, das liegt auch am ausbleibenden Nachwuchs. In diesen Tagen veröffentlichten wieder einige Landeskirchen herzliche Fotos von den Absolvent:innen der 1. und 2. Examina. Neben den stolzen Leitenden Geistlichen, die sich gerne neben dem Nachwuchs präsentieren, sind da jeweils eine Hand voll relativ junger Menschen zu sehen. Aber der Nachwuchsmangel ist nur einer der Gründe für den Bedarf an lebens- und diensterfahrenen Pfarrer:innen. Und eigentlich soll es ja um die Menschen und nicht die Institution gehen, also:

Verschwendung von Ressourcen

In den kommenden Jahren wird der Zugang zum Pfarramt sich weiter pluralisieren. Immer mehr Quereinsteiger:innen und „Spätberufene“ werden in den Dienst treten. Es wäre eine katastrophale Verschwendung von Talent und Ressourcen, die man zum Beispiel in die Ausbildung der Leute gesteckt hat, wenn man nach 20 oder weniger Jahren schon wieder „Adieu!“ sagte. 

In einer alternden Kirche, deren Kerngemeinden an vielen Orten mehrheitlich aus Pensionär:innen bestehen, haben Pfarrer:innen Ü60 den passenden biographischen und lebensweltlichen Hintergrund, um mit ihren Gemeindemitgliedern Schritt zu halten. Ein Reservoir an Lebensweisheit und Kompetenzen, das nicht zu nutzen mehr als sträflich wäre. Der Pfarrdienst nah bei den Menschen  - egal ob in Parochialgemeinde oder an anderen Kirchorten – wird doch am besten in Geselligkeit erledigt. Schon immer wachsen Pfarrer:innen mit ihren bevorzugten Arbeitsfeldern mit ihren Gemeinden mit. 

Frauen werden in Deutschland durchschnittlich 83 Jahre alt und Männer 78 Jahre alt: Umso mehr wir gesamtgesellschaftlich den vom 90. Psalm gesetzten Rahmen im Rückspiegel des Lebens hinter uns lassen, desto größer auch der Bedarf nach Pfarrer:innen, die Menschen in diesem Lebensabschnitt kraft eigenen Erfahrungswissens kompetent, gewissenhaft und motiviert begleiten können.

Auch Totalverweigerer

Nicht zuletzt weist die gestiegene Lebenserwartung der Bevölkerung allerdings auch auf die Nöte der Institution zurück, insofern als ja Pfarrer:innen selbst nicht signifikant früher versterben. Pfarrpensionen über einen Zeitraum von 20 Jahren auszuzahlen geht doch merklich ins Geld. 

Sie denken, ich scherze? Keineswegs! Mit großer Erleichterung habe ich der Kolumne von Katharina Scholl entnommen, dass die „Ruhestandskollegs der pastoralen Fortbildungsinstitute, wo Menschen die Gelegenheit haben, die letzten Berufsjahre für sich zu sortieren“, „stark frequentiert“ sind. Es gibt also Interesse! Mein Eindruck von Pfarrpersonen in den letzten verbleibenden Amtsjahren, da bin ich jetzt mal ehrlich, ist da doch deutlich abweichend. Da gibt es nämlich auch die Totalverweigerer, die schon ab dem 55. Lebensjahr innerlich und nicht selten in bräsiger Allüre auch äußerlich abschalten: „Nach mir die Sintflut!“ Innovationen oder gar notwendigen Professionalisierungen kirchlichen Handelns – Beispiel: Präventionsschulungen  - schaut man da aus sicherer Entfernung feindselig entgegen. Kein Wunder, dass man die loswerden will, oder?

Natürlich hängt mein Wunsch nach einem längeren Verbleib im Dienst an nicht wenigen Verbesserungen der Rahmenbedingungen desselben: Zwar ist der Pfarrberuf keineswegs durchwegs belastender als andere Karrierepfade, allzumal wenn der eigene Nachwuchs der elterlichen Sorge nicht mehr täglich bedarf und die Enkelkinder vielleicht noch auf sich warten lassen (das erste Kind bekommen Mütter in Deutschland heute durchschnittlich im Alter von 30), aber natürlich muss man die Pfarrstellen – wenigstens so lange es sich um ein freiwilliges „Hinausschieben“ handelt – doch attraktiver gestalten als bisher. 

"Nah bei den Menschen"

Davon würden gleichwohl auch deutlich jüngere Pfarrer:innen und vor allem die Gemeinden stark profitieren. Zu denken ist hier zum Beispiel an eine möglichst einhundertprozentige Entlastung der Seelsorger:innen und Prediger:innen von Verwaltungs- und Geschäftsführungsaufgaben. Vor allem aber muss der Dienst als sinnstiftend erlebt werden: Die Erfahrung von Wertschätzung und Selbstwirksamkeit sind hierbei der Schlüssel!

Als besonders sinnstiftend wird ja die Arbeit „nah bei den Menschen“ beschrieben, weshalb es augenfällig erscheint, dass man für das dann aber wirklich letzte Dienstjahrzehnt aus kundenfernen Spitzenfunktionen ausscheidet und die Schreibtische in den LKAs zurücklässt.

Richtig verstanden handelte es sich bei der Anpassung der Dienstdauer an die gestiegene Lebensdauer keineswegs um den Nachvollzug neoliberaler Wirtschaftsstandards, sondern um ein vorbildliches, ja, symbolisches Handeln in unserer alternden Gesellschaft: In der Kirche schätzen wir das Alter! Wir schicken niemanden auf den Gnadenhof der Springerdienste und gelegentlichen Ferien- oder Vakanzvertretungen! Jenseits der 60 gehört man bei uns nicht ins Ausgedingehaus! Wir nehmen das 4. Gebot ernst und wertschätzen diejenigen, die uns keineswegs nur das Lebensalter voraus haben.

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