Wie man predigen lernen sollte

Matthias Bernstorfs Habilitation zur mündlichen Kommunikation des Evangeliums
Matthias Bernstorf
Foto: Jenny Franzke

Warum tun viele Predigtlehrbücher so, als hätten ihre Leser:innen das Predigen im Studium gelernt? Der Theologe Matthias Bernstorf, 54, geht in seiner Habilitationsschrift der Frage nach, warum die Predigtlehre, anders als die Fächer Musik oder Religion, keine eigene Fachdidaktik entwickelt hat, sie aber wünschenswert ist.

Drei Dinge weckten meine Lust aufs Theologiestudium: ein sehr guter Religionsunterricht, eine tolle Jugend- und Konfirmandenarbeit in der Kirchengemeinde in Wilhelmshaven, in der ich aufgewachsen bin und im Chor gesungen habe. Und der Rat meines Onkels, damals Redakteur beim Wirtschaftsmagazin Capital, das Fach zu studieren, das mich am meisten interessiert. Also habe ich in Bethel, Marburg und Hamburg Theologie studiert, auch ein Jahr bei Franz Hinkelammert in Costa Rica, der dort Theologie und Volkswirtschaft lehrte. Zusätzlich ermöglichte mir das Evangelische Studienwerk Villigst ein Studienprojekt zur Binnenmarktentwicklung in Harare/Simbabwe. Eine spannende Zeit! Nach meinem Examen in Göttingen ging ich ins Vikariat.

Allerdings bekam unser gesamter Ausbildungsjahrgang gleich zu Beginn das Sig­nal, dass keiner von uns je in den Dienst als Pfarrer übernommen werde. Also absolvierte ich ein Volontariat bei der Radio- und Fernsehkirche im NDR. Zwei großartigen Menschen bin ich bis heute dankbar: Bernd Merz, damals Rundfunkbeauftragter beim NDR, und Rosemarie Wagner-Gehlhaar, als Radiopastorin meine erste Chefin. Sie war es auch, die mich neun Jahre später ins NDR-Landesfunkhaus Schwerin lockte. In der Zwischenzeit konnte ich schneller als gedacht Gemeinde- und Jugendpfarrer in Oldenburg werden, weil plötzlich wieder theologischer Nachwuchs gesucht wurde.

2003 erschien das Buch „Kommunikation des Evangeliums in der Mediengesellschaft“ von Christian Grethlein. Obwohl Medien ja schon damals und erst recht heute die Lebenswirklichkeit so vieler Menschen prägen, spielt das Medienthema in der Praktischen Theologie kaum eine Rolle, so Grethleins Beobachtung. Und er gab mir die Chance zu einem Dissertationsprojekt. Hören Jugendliche, die mit der Kirche nichts zu tun haben, evangelische Radiobeiträge anders als kirchlich hochverbundene Jugendliche? Das war die Leitfrage meines empirischen Forschungsprojekts zum Radiorezeptionsverhalten von Jugendlichen. Eines der Resultate: Wenn die Radiostimme überzeugt, der Beitrag sprachlich und gedanklich der Altersgruppe gut zugänglich ist und die Lebenswelt der jungen Menschen berücksichtigt, erzielt der Beitrag in beiden Gruppen fast gleiche Effektstärken.

Praktische Folge der Dissertation war unter anderem eine langjährige berufliche Freude als kirchlicher Redakteur im NDR. Zwölf Jahre durfte ich Teil einer Morning Show mit einer faszinierenden Breite alltagsrelevanter Themen für ein überwiegend kirchenfernes Publikum sein. Besonders gerne denke ich an das Sendeformat „Was glaubst du?“ zurück, das ich für das Nordmagazin des NDR-Fernsehens mit Schülerinnen und Schülern in Mecklenburg-Vorpommern entwickeln durfte.

Dass ich nun mit der Habilitation eine weitere wissenschaftliche Arbeit geschrieben habe, verdanke ich an erster Stelle dem Praktischen Theologen Thomas Klie, der mich anstiftete, in den theologischen Prüfungen der Nordkirche mitzuwirken. Dabei war mir aufgefallen: Selbst die talentiertesten Studierenden, die in anderen Fächern überragende Leistungen erbrachten, konnten in der Examenspredigt dieses Level selten halten. Also wollte ich gerne wissen: Wann lernt ein junger Mensch, der Pastor oder Pastorin werden möchte, den mündlichen Predigtvortrag? Im ersten Examen reicht ja eine schriftliche Arbeit. Aber ist in Zeiten von social media das schriftliche Manuskript das Entscheidende? Und welche Lerntheorien haben Studierende für ihre Examenspredigt zur Verfügung? Diese Fragen führten dazu, dass Thomas Klie mich einlud, Seminare an der Universität Rostock anzubieten. Zuvor hatte mich der Bonner Theologe Michael Meyer-Blanck einmal angestupst, dem Ideal des „verinnerlichten Manuskripts“ nachzugehen, diesmal vielleicht nicht im Rahmen eines Arbeitsbuchs wie Selbst Verständlich predigen?, das mein damaliger Kollege Thorge Thomsen und ich für Prädikantinnen entwickelt hatten, sondern wissenschaftlich. So reifte die Idee zum Projekt Predigtdidaktik, gefördert von Thomas Klie.

Erste Einsichten: Es gibt zwar eine Menge Lehrbücher, die ergründen, was die Predigt ist und wie man sie schreibt, aber kaum Material darüber, wie Studierende Predigen einschließlich der mündlichen Präsentation lernen können. Viele Predigtlehren richten sich an erwachsene Profis, denen unterstellt wird, das Predigen gelernt zu haben, es aber nicht ganz zu können. Lern- und Lehrtheorien, die wirklich Studierende als Lernpersonen in Sachen Predigt als Zielgruppe haben, gibt es jedoch kaum. Die müsste es aber geben, damit die Kommunikation des Evangeliums in der Predigt besser gelernt werden und gelingen kann.

Mein Projekt will zunächst einmal dieses Desiderat erörtern. Wie lernt ein junger Mensch predigen, und wie lernen Menschen überhaupt? Damit geht es los. Auf dieser Grundlage untersuche ich elf zeitgenössische Predigtlehren, um anschließend Kategorien zu entwickeln, die für eine Predigtdidaktik notwendig sind. Drei Beispiele: (1) Predigen bezieht sich im Fokus der meisten zeitgenössischen Lehrbücher auf den Sonn- und Festtagsgottesdienst. Die Kommunikation des Evangeliums in medialen Formaten stellt jedoch den für Studierende zugänglicheren und gesellschaftlich relevanteren Lernstoff dar. (2) Zu inszenieren, was es im Glauben zu lernen gibt, wird disziplinhistorisch eher der Religionspädagogik angetragen als der Predigtwissenschaft, Homiletik genannt. Dass es bis heute keine homiletische Fachdidaktik gibt, liegt wahrscheinlich an der fachlichen Separierung, die sich innerhalb der Evangelischen Theologie vollzogen hat. (3) Last, but not least: Mündliches Proben ist meiner Meinung nach nicht Schlusspunkt, sondern wie in der Inszenierung eines Theater- oder Chorstücks zentraler Inventionsweg.

Wie gesagt: Ich beschreibe nur die Aufgabe einer Predigtdidaktik, die es noch nicht gibt. Ein solches Buch werde ich – zumindest in absehbarer Zeit – nicht selbst schreiben. Aber vielleicht finden sich andere dafür. Ich bin gespannt. 

 

Information: Die Habilitationsschrift von Matthias Bernstorf ist unter dem Titel Predigtdidaktik 2024 im Kohlhammer Verlag Stuttgart erschienen. Sie hat 434 Seiten und kostet Euro 59,– (E-Book 52,99 Euro).

Aufgezeichnet von Reinhard Mawick

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