Maria mit der Birne

Was Ikonen über Frauen erzählen – eine faszinierende Schau lässt tiefer blicken
Maria von Ägypten (Russland um 1800).
Fotos: Ikonen-Museum Recklinghausen
Maria von Ägypten (Russland um 1800).

Gehorsam, keusch und bereit, klaglos zu leiden: So sollen heilige Frauen sein, ihre gläubigen Schwestern aber irgendwie auch. Dieses Bild prägt die christliche Tradition. Dennoch gibt es Spielräume. Die Ausstellung „IKONA. Heilige Frauen in der ortho­doxen Kunst“ im Ikonen-Museum Reck­ling­hausen lotet sie aus.

Vater, Sohn und Heiliger Geist sind – zumindest sprachlich – allesamt männlich. Ganz ohne Frauen kommt die Heilsgeschichte aber doch nicht aus. Am Beginn der Schau „IKONA. Heilige Frauen in der orthodoxen Kunst“ im Ikonen-Museum Recklinghausen steht denn auch Eva. Allerdings als zwiespältige Figur, betont Lutz Rickelt. Er leitet das 1956 gegründete Ikonen-Museum Recklinghausen.

Der Sündenfall werde ja vornehmlich Eva angelastet, erklärt Rickelt. Dargestellt zwar mit Heiligenschein, sei sie jedoch keine Ansprechpartnerin wie andere. Doch gerade das macht Ikonen aus. Sie sind Kunstwerk und Gegenstand inniger Anbetung zugleich, da sie das Heilige auch vergegenwärtigen, nicht bloß zeigen. Aus diesem Schema fällt die Verführte, die auch selbst als verführerisch gilt, heraus: „Eva ist gewissermaßen das Vorbild für die Frauen, die nicht heilig werden“, sagt der Byzantinist und Historiker mit leichtem Schmunzeln. Das Ikonen-Museum Recklinghausen ist mit 3 500 Exponaten in Europa das bedeutendste außerhalb der orthodoxen Länder.

Vielen Frauen, so Rickelt, gelte Eva, die fortan exemplarisch den Schmerz der Geburt zu ertragen hatte, just deshalb als eine Figur, die dafür steht, dass auch sie Teil der kosmischen Bemühung sind, die Sünde wieder aus der Welt zu schaffen. Von da bis zur Christus- und somit zur Gottesgebärerin Maria, dem scheinbar anderen Ende des Reigens, ist es dann eigentlich gar nicht mehr so weit. Maria ist die am häufigsten dargestellte Heilige überhaupt, für die es in Recklinghausen bereits eine eigene Ausstellung gab. Sie markiert denn auch den anderen Einstieg in die Schau, jedoch beschränkt auf ihre zentrale Funktion als Mittlerin und Vorbildrolle für alle heiligen Frauen.

Heikle Thekla

Neben einer anrührenden Porträt-Ikone mit sieben Pfeilen in ihrem Herzen und einer Pietà ist Maria auf einer Ikone bei der Verkündigung durch den Engel Gabriel zu sehen. Demütig beugt sie den Kopf, der heilige Geist kommt in Taubengestalt auf sie herab. Sublimierter Sperma-Ersatz? „Das ist der Weg, auf dem der Logos in ihren Körper gelangt“, sagt Lutz Rickelt. So verkörpere Maria drei Tugenden heiliger Frauen: Gehorsam gegenüber Gott, Keuschheit und die Bereitschaft, das für einen/eine Vorgesehene klaglos zu erdulden.

Markant unter den anderen Frauen der Bibel ist Maria Magdalena: Die lange als frühere Prostituierte Verunglimpfte ist dieser Tradition nach eine exemplarische Sünderin. Sie steht unter dem Kreuz und sieht als Erste den Auferstandenen. Sie ist dieser Logik zufolge eine singulär schillernde Anti-Maria, weil sie für heilige Frauen das Erzählschema von einem besonders drastischen Wandel etablierte. Und auch, weil an ihr die Überlieferung von intimer Heiland-Nähe hängt, wie dies apokryphe, nicht im Bibelkanon enthaltene Evangelien schildern. Im Philippus-Evangelium etwa heißt es gar, dass Jesus Maria Magdalena seine Lieblingsjüngerin nannte und gern küsste. „Die mag ich mehr als euch Männer“, zitiert Rickelt lakonisch. Er sieht darin einen Grund, weshalb das Buch nicht im Kanon gelandet ist.

Das Verschwiegene

Mit feministischer Theologie Vertrauten ist dies bekannt, wie der hier wie auch sonst lobenswert informative Audioguide ebenfalls erwähnt. Doch in Ikonen schwingen solch unterdrückte Traditionen eben oft noch mit – als hätten die Bilder das Verschwiegene auch dem Gros der Gläubigen lebendig erhalten.

Das gilt ebenso für die Märtyrerin Thekla, die Erste der mit guten Beispielen gezeigten Gruppe jener, die für den Glauben ihr Leben verloren. Sie gehörte, so die apokryphen Paulusakten, zum Umfeld des Apostels. Dass sie die arrangierte Ehe verweigerte, war (und ist teils bis heute) bereits Affront genug für Torturen, bloß tat sie das als Christin, um ihre Jungfräulichkeit zu bewahren. Sie übersteht die Folter, landet aber bei den Tieren in der Arena. Den Tod vor Augen, ist ihre größte Sorge dort indes die fehlende Taufe. Paulus verweigerte sie ihr. Er wollte erst weitere Bewährung sehen. Sie tauft sich selbst mit Wasser aus dem Graben, der Tiere und Publikum trennt. Und überlebt.

Diese und mehr Episoden der Märtyrerin Thekla schildert eine herrliche Vita-Ikone mit Ganzporträt samt Märtyrerkrone und drum herum 26 Einzelszenen. Sich selber und gar als Frau das Sakrament zu spenden, mag Traditionalisten unsäglich scheinen, wird im Bild indes noch dadurch übertroffen, dass es sie mit Evangelium zeigt. Ikonographisch ist dies sonst ein exklusives Attribut männlicher Wortverkünder, von Bischöfen, Metropoliten, Aposteln. Nach dem Zirkus habe Paulus sie, so erzählt es die Tradition, als weiblichen Apostel losgeschickt. Deshalb ist Thekla „die einzige Frau, die das als Attribut tragen darf“, sagt Rickelt. Jedenfalls auf Ikonen, ergänzt man jetzt im Stillen und denkt an den Kirchenlehrer Tertullian, der die Paulusakten rasch eine Fälschung nannte: Was nicht sein soll, könne auch nicht sein! Der Museumsleiter formuliert es so: „Da werden gewisse Freiheiten für die Frau in der frühen Kirche sichtbar, die institutionell aber schnell eingehegt wurden.“

Passage in die Wüste

Westliche Augen halten Ikonen mitunter für frömmlerisch oder verklärend, doch ihr subversives Potential ist beträchtlich. Realisiert wurde es gleichwohl nicht, das zeigt die Kirchengeschichte. Die Normen fürs Heiligsein haben dazu kräftig beigetragen. Gleichheit und gar Überlegenheit gestehen sie Frauen nur zu, solange dies nicht die Machtfrage berührt, etwa im „mannhaften“ Ertragen von Folterqualen. Sonst gilt die zugewiesene Unterlegenheit, wie auch Fomaϊdas Schicksal im da bereits christianisierten Römischen Reiche zeigt: Fomaϊdas Schwiegervater ist ihr Verhängnis. Er findet, er als Mann und als Älterer habe das Recht, über sie zu verfügen. Er tötet sie mit dem Schwert, als sie sich ihm verwehrt. Ihre Vita-Ikone, wieder mit vielen Szenen fast comichaft erzählt, ist ergreifend, hinterlässt indes angesichts des Konzeptes von Heiligkeit Skepsis: die Keuschheit bewahrt, Gott gehorsam standhaft gelitten – um dann tot zu sein?

MeToo-Debatten

Immerhin macht Fomaϊda Karriere als eine in Männerklöstern bei jenen beliebte Heilige, die in Stunden der Versuchung durch fleischliches Begehren eine brauchen, die sie um Hilfe anrufen können. Dass ihr Martyrium, jedenfalls vordergründig, keine religiöse Ursache hat, aber doch den Heiligenstatus begründet, verunklart diesen an MeToo-Debatten gemahnenden Konflikt und hüllt die Machtfrage in Nebel. Da fragt man sich, ob Frauen beim Betrachten und Beten davor über die Jahrhunderte ähnlich dachten. Sie glaubten wohl der Verkündigung der Kirche, haben dabei aber doch einiges mehr gewusst – und den Alltag still mit diesen Bildern der Heiligen zur Deckung gebracht. Für traditionell anonym arbeitende, ihre Werke nicht mit Namen zeichnende Ikonen-Malstuben sind Fomaϊda wie Thekla denn auch nur selten ein Motiv gewesen.

Herrscherinnen wie Helena, die Mutter von Konstantin dem Großen, oder Olga von Kiew sind ebenfalls ein gut bebildertes Thema, anziehender wirkt aber in der Schau die Abteilung zu Nonnen und Eremitinnen: Drei Ikonen der Maria von Ägypten ragen hier heraus, wobei deren Herkunft exemplarisch spiegelt, dass IKONA ein gelungenes und zudem erstmaliges Kooperationsprojekt ist. Die Idee dazu hatte Rickelt und lief damit bei den Kolleginnen der kleineren Häuser in Frankfurt am Main und Kampen in den Niederlanden offene Türen ein. Die Umsetzung der Ausstellung haben die Museen gemeinsam erarbeitet. Die 74 Exponate der Schau, deren Tiefe besticht, stammen aus den Beständen aller drei Häuser.

Die moralische Fallhöhe der Maria von Ägypten, einer Büßerin, ist wie bei Maria aus Magdala besonders groß. Zwei Vita-Ikonen aus Frankfurt und Kampen schildern ihr Leben, letztere sehr detailliert. Der durchaus lustvoll praktizierenden Prostituierten greift in der ersten Szene ein Mann an die Brust – die allerdings bekleidet ist. Maria von Ägypten erlebt eine Erweckung, doch zahlt sie die Überfahrt nach Jerusalem – mit christlichen Pilgern, wohlgemerkt! – mit ihrem Körper. Sie folgt danach dem Ruf als Eremitin in die Wüste, wo sie 47 Jahre lang, verwildert, nackt, mit offenem Haar und im Gebet erfüllt, lebt.

Genau so zeigen auch die Ikonen die immens populäre Maria von Ägypten, nämlich als einzige Heilige in einer Einzeldarstellung mit freiem Oberkörper. Doch der ist flach, wie amputiert. Auf der intim strahlenden, mit Eitempera auf Holz gemalten Portraitikone aus Recklinghausen wirkt das beinah drastisch. Als tilgte das Heiligsein die Frau, indem es potenziell erotische Brüste brachial nivelliert. Man mag es schlüssig finden oder perfide und fragt sich, wie Frauen im Gebet davor mit solchem Einhegen von Weiblichkeit wohl umgingen. Aufschlussreich ist es allemal.

Heilende Muttermilch

Hat man erst diese Spur, stößt man in der alltags- und kulturgeschichtlich interessanten Abteilung über Heilerinnen sowie Alltags- und Nothelferinnen gleich wieder auf ähnliche Vorstellungen. Die alle überstrahlende Mutter Gottes (die ‚Freude aller Leidenden‘ ist ein eigener Ikonentyp) taucht dort mit etlichen Funktionen mehrfach auf, etwa als Ikone für Geburtshäuser oder als „Heilende“, sprich: Ärztin.

Wir sehen einen Kleriker siech auf seinem Bett. Oft rief er auch die Gottesmutter an, die ihm nun erscheint. Auf der Ikone entblößt sie ihre Brust und spritzt segensreiche Milch auf den Mann, was ihn natürlich heilt. Doch von Nacktheit mag man hier nicht reden, lässt die hart anti-erotisch stilisierte Gestalt der Brust die Blickerwartung doch ins Leere laufen. Fachleute nennen dies Bild denn auch salopp „Maria mit der Birne“. Sie spielen damit auf Dürers berühmte „Maria mit der Birnenschnitte“ an, nehmen so aber vor allem die Verschränkung von Malregeln und Normen des Heiligseins trocken hin, die stets den Ausschlag geben. Die Weiblichkeit der Frau bleibt darüber, so scheint es jedenfalls, auf der Strecke – alles offene und nicht negativ konnotierte Sexuelle sowieso.

Neben herausragendem ästhetischen Genuss und gedanklicher Anregung besteht der größte Reiz dieser famosen Ausstellung darin, wie sie ins Sehen und Hören der Geschichten bringt, nämlich hingerissen-fasziniert und kritisch-genau zugleich. Die genuine Materialität von Ikonen, die von vornherein ein Schillern erzeugt, trägt gewiss dazu bei. Denn gemalt sind die filigranen Bilder meist auf grobe, an den Rändern gut sichtbare Holzbretter, die teils – vor allem bei älteren – nahezu roh oder gar schrundig sind, was sehr körperlich wirkt.

Die sonst strikt eingehegten Frauen erscheinen vielleicht auch deshalb darin so gut aufgehoben. Diesseits vom gläubigen Gebrauch zu Hause, auf Reisen und in der Kirche, wo sie in einer geschnitzten Bildwand (Ikonostase) stehen, die die Gläubigen vom Altarraum trennt, und wo sie wegen des Kerzenrußes oft etwas Düsteres haben, leuchten sie hier, so weit restauratorisch möglich, unverstellt. Sie offenbaren ihre feine effektsichere Malarbeit. Farbgestaltung, Komposition, Licht, Kontrast und Details wirken unverhohlen.

Kennerschaft verlangen Ikonen nicht, nur Offenheit und wachen Geist. Dann haben sie viel zu bieten. Und mit den „heiligen Frauen“ haben sich offenbar auch die drei Häuser jetzt endgültig gefunden. Das Thema der nächsten Kooperation steht bereits: „Hölle und Dämonen“. Wir gehen auf jeden Fall hin. 

Hinweis
„IKONA. Heilige Frauen in der orthodoxen Kunst“ ist noch zu sehen bis zum 17. März 2024 im Ikonen-Museum Recklinghausen, dann vom 6. April bis 5. Oktober 2024 im Ikonenmuseum Kampen (Niederlande) und schließlich vom 17. Oktober 2024 bis 19. Januar 2025 im Ikonenmuseum Frankfurt am Main.

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