„Sind Sie ein Mensch?“

Wie gut, wenn sich manch alte Ordnungen auflösen
Foto: BHG Karlsruhe

Manchmal wendet sich mein Computer vor der Inanspruchnahme digitaler Leistungen mit der Aufforderung „Bitte bestätigen Sie, dass Sie ein Mensch sind.“ an mich. Man muss dann ein Häkchen in ein Kästchen setzen und sich so als Mensch qualifizieren. Regelmäßig löst dieser Vorgang Störgefühle in mir aus. Die Maschine fragt mich, ob ich ein Mensch bin – offenbar in Abgrenzung zu einer (anderen) Maschine, einem Bot vielleicht oder anderen unerwünschten Störern. Mit meiner Antwort behandelt sie mich wie einen Menschen, ohne je etwas Menschliches mit mir zu verbinden. Ich wundere mich auch: Ein Häkchen in einem Kästchen, und schon bin ich ein Mensch? Ich frage mich einerseits, ob man das Maschinen nicht beibringen kann: diese Frage sehen und ein Häkchen in ein Kästchen setzen. Ich frage mich andererseits,  ob es ausreicht, auf eine Frage ein Häkchen in ein Kästchen zu setzen, um ein Mensch zu sein?

Die Sache wird nicht besser, wenn ich lese, dass in Zukunft ko-evolutionäre Entwicklungen von Mensch und Künstlicher Intelligenz (KI) erwartet werden, die zu symbiotischen (Lebens-)Gemeinschaften zwischen Mensch und Maschine führen werden. Schon heute scheinen viele Menschen mit ihren Smartphones geradezu verwachsen zu sein, diese vermitteln uns durch ihre Algorithmen gefiltertes Wissen, das wiederum unsere Meinungen und Haltungen beeinflusst, ganz ohne dass wir es merken. Eine ähnliche Frage stellt sich beim Geschlecht. Die Frage nach Henne und Ei, nach Biologie und Prägung, nach Natur und Geist stellt sich auch hier in voller Schärfe: Wann ist ein Mann ein Mann, wann eine Frau eine Frau und wann ist jemand keinem oder einem weiteren Geschlecht zugehörig? Spielt das überhaupt eine Rolle? Was schließt diese Erkenntnis ein oder aus? Am liebsten würde ich sagen: nichts. Wir sind Menschen und als solche gleich. Punkt.

Wie wenig das wahr ist, zeigt unsere soziale Wirklichkeit. Nach wie vor werden an das Geschlecht hohe Erwartungen und Haltungen aller Art gehängt. Nach wie vor wird das Geschlecht als maßgeblich prägend für Rolle und Tun in der Gesellschaft wahrgenommen. Und nach wie vor werden an biologische oder psychische Zuschreibungen rechtliche Folgen geknüpft. Der Entwurf eines Gesetzes „über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“, ganz modern mit einem #SeiDuSelbst begleitet, wollte die Geschlechteridentität nicht auf­heben, aber einen „Wechsel“ erleichtern. Dagegen laufen viele Sturm (Bild: „Ein Mal pro Jahr darf jeder sein Geschlecht wechseln“), nicht zuletzt auch Teile der feministischen Community (Emma: „Schräges Transgesetz“).

In den christlichen Kirchen finden sich – wie stets – vielschichtige Stimmen. Unter anderem muss das Kirchenrecht entscheiden, ob einem ehemals weib­lichen Menschen nach einem Wechsel des Geschlechts die Priesterweihe verwehrt bleiben kann.

„Sind Sie ein Mensch?“: Je länger ich über die Frage nachdenke, desto besser gefällt sie mir. Denn sie löst Geschlechter­zuordnungen da auf, wo sie nichts verloren haben, sondern wo alle Menschen einfach gleich sind: vor Gott, vor dem Gesetz, vor der Mitmensch­lichkeit. Ja, ich bin ein Mensch!

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Bettina Limperg

Bettina Limperg (*1961) ist seit 2014 Präsidentin des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. 2021 war  evangelische Präsidentin des 3. Ökumenischen Kirchentages in Frankfurt/Main und seit 2023 ist sie Herausgeberin von zeitzeichen.


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