Von Werbebotschaften und Wahlsprüchen
Damit meine müden Beine den Weg in die Schule auch finden, wecke ich unterwegs schnell noch einige sportliche Emotionen in mir. Via Instagram. Meine Lieblingssportlerin, die amtierende Cyclocross-Weltmeisterin Fem van Empel, hat aktuell zwar keine neuen Bilder hochgeladen, trotzdem erfreue ich mich an Rad- und Rennsportatmosphäre. Dazu das angegebene Motto von ihr: „Life begins at the end of your comfort zone.” (Leben beginnt am Ende deiner Komfortzone.) Scheint nicht ganz zu stimmen, denn mein Leben beginnt ganz sicherlich nicht in der Schule.
In der ersten und zweiten Stunde Mathe. Also gleich auf Durchzug schalten. Heute interessiere ich mich zur Abwechslung mal für die Lehrer. Ob ich von denen auch etwas für das Leben lernen kann, also neben dem Schulstoff? Zu einer bürgerlichen Existenz haben sie es zumindest geschafft. Spießiges Reihenhaus und so weiter. Mir fällt zumindest auf, welcher Lehrer immer denselben Pullover trägt und welcher Lehrer sich mit geschickten Fragen aus der Schülerschaft durchaus vom Lernstoff abbringen lässt.
In Wirtschaftskunde stehen heute die Werbestrategien und die Claims, also die Werbeslogans, großer Unternehmen auf dem Stundenplan. Interessant finde ich die Homepage von nike.com. Das Missionsstatement von Nike lautet: „Bring inspiration and innovation to every athlete in the world.” (Bring Inspiration und Innovation zu jedem Athleten in der Welt). Zum „athlete” (Athleten) findet sich der Zusatz: „If you have a body, you are an athlete.” (Wenn du einen Körper hast, bist du ein Athlet.) Soll sich wohl jeder als Athlet angesprochen fühlen.
Als dann die großen Elektronikunternehmen dran sind, schweife ich per iPad zum Radsport ab. Wie präsentiert sich eigentlich die Fahrradmarke Canyon vom mehrfachen Radweltmeister Mathieu van der Poel? Der beherrscht mehrere Radsportarten und hat auf Instagram immerhin eine Million Follower. Und siehe da: Bei Canyon finde ich ein eigenes Mathieu-van-der-Poel-Cyclocross- sowie ein -Straßenrennrad-Modell. Das hat einen eigenen claim: „poetry in motion“ (Poesie in Bewegung). Was soll das denn heißen? Ich dachte, wir sind hier beim Profisport und nicht im Deutschunterricht.
Mein Leben fühlt sich irgendwie nicht so nach Poesie und Bewegung an. Ich erinnere mich noch an das Gespräch neulich am Abendbrottisch. Da war die Rede meiner Eltern davon, dass Achtsamkeit heute wichtig wäre, dass man Dinge ganz bewusst tun müsse. Etwas mehr Umweltschutz als früher ist ja O.K., aber ich muss mich ja nicht gleich in Therapie begeben.
Zurück zum Unterricht. Da geht es gerade ans Eingemachte: Religion! Erst neulich hatte mir ein Kumpel aus dem Sportverein erzählt, dass er beim katholischen Weltjugendtag in Lissabon war. Während des Unterrichts senden wir uns untereinander auf unseren iPads – immerhin passend zum Thema – Bilder der deutschen Bischöfe zu. Für mich zählen sie schon zu den alten weißen Männern und damit nicht zu meiner bevorzugten Spezies. Einer der Mitschüler findet dann im Internet die Wahlsprüche der Bischöfe, also so eine Art Missionsstatement des einzelnen Kirchenmanns.
Der Wahlspruch von Bischof Ipolt aus Görlitz lautet: „Den Duft der Erkenntnis Christi verbreiten.“ Was soll das denn heißen? Für mich sind Riechen, Schmecken, Sehen und Fühlen immer noch eigene Sinneswahrnehmungen. Das muss irgendwie im übertragenen Sinne gemeint sein. Oder der Wahlspruch hier von Bischof Oster, Passau: „Der Sieg der Wahrheit ist die Liebe.“ Irgendwie passt das alles nicht zusammen. Ich kann doch nicht um die Champions League spielen und am Ende die Liebe gewinnen.
Es gab doch mal Zeiten, da hieß es „Wir sind Papst!“ Wie hieß er noch, der Head of Church? Ach ja, Papst Benedikt. Der hatte als Wahlspruch, wie ich im Internet finde: „Mitarbeiter der Wahrheit“. Aha, es geht also wieder um die Wahrheit. Scheint bei den Kirchenmännern beliebt zu sein. Was mich an den älteren weißen Herren in schwarzen Gewändern schon beeindruckt, ist, dass sie ihr ganzes Leben der Kirche, also letztlich Gott, gewidmet haben. Das ist echtes Commitment, das kann sich sehen lassen!
Auf dem Nachhauseweg frage ich mich: Was nehme ich aus dem heutigen Tag mit? Life begins at the end of your comfort zone. Lehrer müssen also erstmal ihr Reihenhaus verlassen, um mit dem Leben zu beginnen, oder was? Es gibt Kirchenmänner, die reden öfter von der Wahrheit und kommen traditionell rüber. Ob die auch für die Themen Innovation und Inspiration zu begeistern sind? Vielleicht sogar für Poetry-Slam? Immerhin: Sie investieren ihr Leben konsequent für eine höhere Sache, also für Gott, und setzen somit alles auf eine Karte. Ob ich dazu bereit wäre? Was am Ende des Schultages bleibt: ein nach Orientierung und tragfähigen Antworten suchender Teenager.
Daniel Reichwald
Daniel Reichwald ist Psychologe. Er arbeitet mit drogenabhängigen Straftätern im Maßregelvollzug.