Der Gärtopf meiner Großeltern aus robustem Steingut hat alle Umzüge heil überstanden. Jetzt steht er als Schaustück in der Küche, und ab und zu wird sein 16-Liter-Bauch mit Ingwerbräu gefüllt, natürlich biologisch und hausgemacht. Zwei Kilogramm dickste Knollen müssen dafür in aufreibender Handarbeit geraspelt werden, das Sieden zieht sich über Stunden. Der scharfe Ingwerdampf des Braugeschehens erschließt die Sinne. Vergessen sind Smartphone und Laptop, wenn auf dem Gasherd der Sud brodelt. Wäre da nicht noch das kleine Küchenradio, versteckt hinter Pflanzen auf der Fensterbank. Zwar malt es in den schönsten Musikfarben, doch schafft es dieses Kerlchen immer wieder, mich aus den schönsten Ingwerträumen zu wecken. Gerade bin ich dabei, mit Hilfe eines Edelstahltrichters den erkalteten Sud zur weiteren Gärung auf Flaschen abzufüllen. Während das Gebräu goldgelb im Trichter schäumt und in die Flasche gluckert, tönen von der Fensterbank die Nachrichten. Die Hände sind beschäftigt, ausschalten geht nicht, also überschwemmt der Krisensud. Was einmal Corona war, ist heute Krieg, bleibt ewig Klima und oft Fake, nervt jedenfalls nachhaltig. Kommunikationspsychologen warnen vor digitalen Stressfaktoren. Dagegen empfiehlt die TU Dortmund zur Nachrichtenflut weise: den Überblick behalten und auf Kurs bleiben. Es geht um die Kunst des Abschaltens. Womit wir wieder in der Ingwerküche sind. Dickwandig strahlt der irdene Gärtopf souveräne Ruhe aus. Das Steingut kühlt den jungen Ingwersud, die fortschreitende Gärung entwickelt den spritzigen Charakter, am Ende ganz nach Art des Hauses. Es werden nette Menschen um den Tisch sitzen, Ingwerbräu perlt in den Gläsern, das Radio ist ausgeschaltet, die Gespräche werden gut sein. Der Tipp für Herbst und Winter: Seit Christi Geburt wird die vielseitige Wurzelknolle unter anderem empfohlen gegen Kopfschmerzen und Erkältungen. Heiß genossen mit einer Scheibe Zitrone wäre ein Ingwerbräu der ideale Drink für eine kleine Nachrichtenpause.

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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