Wenn der Schauspieler Matthias Brandt den ersten Satz vorzulesen beginnt, dass es dunkle und glückliche Geheimnisse gebe, teilt sich sofort die Atmosphäre der gesamten folgenden Erzählung mit: ernst und zugleich humorvoll, selbstironisch und melancholisch, dankbar und traurig. Und je länger wir zuhören, umso aufrichtiger und dadurch schutzloser erscheint uns der Ich-Erzähler.
Der 1968 geborene österreichische Schriftsteller Arno Geiger erzählt, vermutlich weithin autobiografisch, die Lebensgeschichte eines erfolgreichen Schriftstellers, der weiß, dass auch seine Bücher irgendwann als Altpapier in Tonnen landen werden. Als Student und noch Jahre danach hat er Papiertonnen nach Büchern, Briefen, Tagebüchern, auch nach unbedrucktem Papier durchwühlt. Die Schilderungen dieser „Runden“, wie er sie nennt, gehören zum Farbigsten der Erzählung. Dabei verklärt sie der Autor nicht. Trotz anfänglicher Erfolglosigkeit bleibt in ihm der Wunsch, Schriftsteller zu werden, immer lebendig. Und am Ende nehmen Überlegungen zur Schriftsteller-Existenz, zum Schreiben und Lesen überhaupt immer größeren Raum ein.
Der Erzähler verschließt die Augen nicht davor, dass Lesen gegenwärtig seltener wird; aber er ist überzeugt, dass Bücher wieder bedeutsamer werden. Konsequenz und Stringenz, mit der die Entwicklung vom Altpapierjäger zum ehrlich reflektierenden, dabei nie kalt beobachtenden Schriftsteller geschildert werden, sind bewundernswert. Bewundernswert ist auch die Leistung des Vorlesers: Unaufdringlich passt er Stimme und Modulation der jeweiligen Situation an. Die Intensität, mit der er das immer selbstbewusster und zugleich bescheidener werdende Leben erzählt, macht das Zuhören zum Kunstgenuss.
Jürgen Israel
Jürgen Israel ist Publizist und beratender Mitarbeiter der "zeitzeichen"-Redaktion. Er lebt in Neuenhagen bei Berlin.