Der rote Punkt

Das Stift Obernkirchen lockt mit einer wundersamen Erscheinung
Jedes Jahr am 2. September wirft die Sonne einen roten Punkt unter das Kreuz.
Foto: Sybille Schlusche
Jedes Jahr am 2. September wirft die Sonne einen roten Punkt unter das Kreuz.

Imposant und immer noch dominant ragt die Stiftskirche St. Marien aus der Kulisse des kleinen Städtchens Obernkirchen im Schaumburger Land von der Hügelspitze.

Die Lage zwischen Stadthagen und Bückeburg war einst exponiert, Bodenschätze, Zugänge zu Handelswegen erweckten Begehrlichkeiten vieler Herrscher. Das 1167 gegründete Augustiner-Chorfrauenstift gehörte zuerst zum Bischofstum Minden, später zu Hessen, zum Königreich Westfalen, dann zu Preußen und seit 1947 zu Niedersachsen. In der langen Geschichte war die Kirche ein Marien-Wallfahrtsort, das Stift wurde über einen kurzen Zeitraum zum Kloster, dann evangelisches Stift, einmal sollte es ganz aufgelöst werden, stabilisierte sich und beherbergte im frühen 20. Jahrhundert eine Landfrauenschule. Immer war es ein Rückzugsort und ein Ort der Bildung für Frauen. Inzwischen wird es kulturell und spirituell genutzt und bietet Raum für vier Kapitularinnen, wie die Stiftsdamen heute heißen, darunter eine Äbtissin.

Ort der Bildung

Noch immer ist dieses Stift von einer intakten Mauer umgeben, die den Blick ins Innere verwehrt. Will man es besichtigen, trifft man sich samstags im Wirtschaftshof, der hinter einem der großen Sandsteintore liegt, die in Folge einzelne Bereiche voneinander trennen. Bis heute wurde der Grundriss der klassischen Klosteranlage aus dem 12. Jahrhundert bewahrt. Und so gibt es zuvorderst alte Wirtschaftsgebäude, die zeigen, wie autonom man hier einst lebte. Eine Wassermühle, deren Wasserlauf verlegt wurde, ein Schafstall, der mit seinen 700 Jahre alten Balken und Steinen Teil der Stiftsmauer ist.

Der Rundgang führt durch das zweite Tor, vorbei am Haus der Äbtissin, in den vielversprechenden Paradiesgarten. Er wird noch immer von den Damen gepflegt und bewirtschaftet, hat lauschige Ecken und Winkel und einen Nutzgarten.

Weiter durch den Kreuzgang mit den alten Grabplatten, die Geschichten erzählen, in den schlicht gehaltenen Innenhof. Der Blick fällt auf steile Dächer, Steine, die Veränderungen, Brände und Umbauten dokumentieren. Von hier gelangt man in die Stiftskirche St. Marien, heute das Zuhause der evangelisch-lutherischen Gemeinde von Obernkirchen. Immer noch können die Damen die Kirche über die „Prieche“, ihre Empore, erreichen, um dort am Gottesdienst teilzuhaben. Alte Schätze, wie eine Marienretabel aus dem Jahr 1540 oder ein Antependium, ein Altartuch, mit der Mailänder Madonna und ihren Heiligen, gestickt von den frommen Frauen um 1430, faszinieren.

Unten liegt die gotische Hallenkirche mit drei gleich großen Schiffen neben der romanischen Westanlage – viel Architektur vereint unter einem Kirchendach.

Was hat sich in dem mittelalterlichen Wandschrank mit den vielen Schlössern wohl verborgen, der hinter dem Hochaltar ins Gemäuer eingelassen ist? Es war ein Archiv, in dem alle wichtigen Urkunden aufbewahrt wurden, erfährt die Besucherin.

Mittelalterlicher Wandschrank

Eindrucksvoll ist eine kleine romanische Seitenkapelle mit einem schlichten Kreuz. Ihm genau gegenüber findet sich in der dicken Mauer ein kleines Fenster mit einer roten, runden Glasscheibe. Am 2. September leuchtet die Sonne am späten Nachmittag durch diese Scheibe und richtet einen roten Punkt genau auf die freie Stelle zwischen Taufbecken und Holzkreuz – eine für die mittelalterlichen Gläubigen wundersame Erscheinung, war doch dieser Tag der Geburtstag der Jungfrau Maria vor der Einführung des gregorianischen Kalenders, also bis Ende des 16. Jahrhunderts. Heute ist der Geburtstag am 8. September, wonach diese Lichterscheinung sich aber nicht richtet. Wer es erleben möchte, sollte sich am 2. September einfinden. Aber nicht nur dann, denn Stift und Kirche sind immer einen Besuch wert. 

Information
Öffentliche Führungen gibt es von April bis Oktober samstags um 15 Uhr,  Stift Obernkirchen, Bergamtstraße 12, 31683 Obernkirchen, Telefon 057 24/84 50.

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