Verheiratete Priester

Theresa Hüther hat die alt-katholische Bewegung in Hessen erforscht
Theresa Hüther
Foto: Volker Lannert

In ihrer Doktorarbeit zeigt Theresa Hüther (35), wie liberale Katholikinnen und Katholiken im 19. Jahrhundert gegen den Machtanspruch des Papstes kämpften. Dabei werden auch Parallelen zur Gegenwart deutlich.

Ich wuchs in einem Dorf in der Pfalz auf. Nach dem Abitur absolvierte ich an der Universität Mainz ein Magisterstudium mit Geschichte als Hauptfach und Politikwissenschaft und katholische Theologie als Nebenfächer. Obwohl mich Theologie sehr interessierte, wählte ich es nur als Nebenfach, weil ich nicht in der römisch-katholischen Kirche arbeiten wollte. Eine Freundin erzählte mir eines Tages, in Mainz gebe es einen Gottesdienst von Leuten, die nicht an die Unfehlbarkeit des Papstes glauben. Und sie bat mich, sie zu begleiten, weil sie sich nicht getraute, diesen Gottesdienst alleine zu besuchen. Ich meinte, ich würde auch nicht an die Unfehlbarkeit des Papstes glauben und begleitete sie. Der Gottesdienst entpuppte sich als alt-katholisch. Schlussendlich trat ich in die alt-katholische Kirche ein.

In Mainz hatte ich eine Hausarbeit über den Kulturkampf geschrieben und die Einstellungen des ersten alt-katholischen Bischofs Joseph Hubert Reinkens (1821–1896) und des römisch-katholischen Bischofs von Mainz, Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811–1877), verglichen. Dadurch interessierte mich die Entwicklung des Alt-Katholizismus im Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Das wurde vom Bistum Mainz abgedeckt und umfasste zum Beispiel die Städte Darmstadt, Mainz und Offenbach. Weil es dazu keine Literatur gab, wollte ich in einer Doktorarbeit der Sache auf den Grund gehen. Und mit diesem Vorhaben bewarb ich mich um die Stelle einer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Alt-Katholischen Seminar der Universität Bonn, und ich bekam sie.

Für meine Dissertation wählte ich den Zeitraum vom Ersten Vatikanischen Konzil 1870 bis zum Tod von Bischof Reinkens 1896. Denn damals gründeten Katholiken, die die Beschlüsse des Konzils (Unfehlbarkeit und Jurisdiktionsprimat des Papstes) ablehnten, alt-katholische Vereine, Kirchengemeinden und das Katholische Bistum der Alt-Katholiken. Dessen Bischof ließ sich in Bonn nieder, das zu Preußen gehörte.

In Offenbach sind es Fabrikanten, Handwerker, Beamte, Lehrer und Arbeiter, alles Laien, die die Bildung einer alt-katholischen Gemeinde vorantreiben, die zur größten im Großherzogtum Hessen-Darmstadt wird. Während die Regierungen Badens und Preußens die Alt-Katholiken als Teil der katholischen Kirche behandeln und ihnen daher die Mitnutzung römisch-katholischer Kirchengebäude ermöglichen, betrachtet die Regierung Hessen-Darmstadts die alt-katholische Kirche als neu entstandene Konfession. So wird die Offenbacher Gemeinde vom Staat 1874 als Pfarrei anerkannt, darf aber das römisch-katholische Kirchengebäude nicht mitbenutzen. Gottesdienste kann sie nur in evangelischen Kirchen feiern. Schließlich kann die alt-katholische Gemeinde Offenbachs 1901 ihre eigene Kirche einweihen.

Für die Gründung der alt-katholischen Gemeinde in Gießen spielte die Katholisch-Theologische Fakultät eine wichtige Rolle. Sie war durch die Aufklärung geprägt. Deshalb unterhielt sie auch ein gutes Verhältnis zur Evangelisch-Theologischen Fakultät. 1849 wählte das Mainzer Domkapitel den Gießener Theologieprofessor Leopold Schmid (1808–1869) mit vier zu drei Stimmen zum Bischof. Schmid war ein Gegner der „Ultramontanen“, der Katholiken, die dem Papst die Machtfülle eines absoluten Monarchen zubilligten, Reformen in der Kirche bekämpften und Menschenrechte und Demokratie scharf ablehnten. Papst Pius IX. (1792–1878) inspirierte und förderte dies. Er weigerte sich, Schmids Wahl zu bestätigen, sodass 1850 Wilhelm Emmanuel von Ketteler Bischof wurde. Der errichtete in Mainz ein Priesterseminar, so dass angehende Geistliche nicht mehr in Gießen studierten. Das bedeutete das Ende für die Katholisch-Theologische Fakultät in Gießen.

Leopold Schmid erlebte das Erste Vaticanum nicht mehr. Er erklärte noch kurz vor seinem Tod im Jahr 1869, dass er „katholisch“ sei, aber nicht „römisch“. Und sein Fakultätskollege Anton Lutterbeck (1812–1882) gründete in Gießen mit anderen Akademikern eine alt-katholische Gemeinde. Aber sie waren sehr alt, und es gelang ihnen nicht, viele Mitglieder zu gewinnen.

Eine florierende alt-katholische Dorfgemeinde entstand dagegen im rheinhessischen Heßloch. Hier hatte es immer wieder Streit gegeben zwischen liberalen Katholiken und den ultramontanen Ortsgeistlichen. Und das war ein guter Nährboden für die Bildung einer alt-katholischen Gemeinde, der sich ein Fünftel der katholischen Gemeinde anschloss. In Heßloch wurden zweimal im Monat alt-katholische Gottesdienste gefeiert und auch Religionsunterricht erteilt. Und 1890 wurde die neu erbaute Kirche geweiht. Erst jetzt konnte bei alt-katholischen Beerdigungen geläutet werden. Denn die römisch-katholische Pfarrei hatte dies verweigert. Und öfter war es in Heßloch auch zu tätlichen Angriffen auf Alt-Katholiken gekommen.

Meine Doktorarbeit wird Ende des Jahres veröffentlicht. Für die Fertigstellung habe ich, wegen der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie, sieben Jahre gebraucht. Die Quellenlage war erstaunlich gut: Ich wertete den Deutschen Merkur aus, eine alt-katholische Wochenzeitung, Unterlagen in Archiven des Staates, des Bistums Mainz, des alt-katholischen Bistums und mancher Gemeinden. Besonders erhellend fand ich die Korrespondenz der alt-katholischen Gemeinden mit der Bistumsleitung in Bonn.

Weil Teile Hessen-Darmstadts gemischt-konfessionell sind, gab es im 19. Jahrhundert viele konfessionsverschiedene Ehen. Durch den Übertritt zur alt-katholischen Kirche konnten betroffene Frauen und Männer katholisch bleiben, ohne dass sie ihre Kinder römisch-katholisch taufen mussten, wie es das römische Lehramt verlangte.

Überrascht hat mich, dass im 19. Jahrhundert Fragen diskutiert wurden, die heute noch relevant sind: dass Rom zum Beispiel direkt in die Diözesen eingreifen kann. In den Quellen wird auch beschrieben, wie Orden geistlichen Missbrauch ausübten, indem sie in ihren Internaten Druck auf Schülerinnen ausübten, Ordensschwestern zu werden. Und immer wieder wurde die „Unsittlichkeit von Priestern“, also sexuelle Übergriffe auf Frauen und Minderjährige, thematisiert. Das war ein wichtiger Grund, warum die alt-katholische Kirche in Deutschland den Priesterzölibat, die Verpflichtung der Geistlichen zur sexuellen Enthaltsamkeit, 1878 aufhob. 

 

Aufgezeichnet von Jürgen Wandel

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Foto: Volker Lannert

Theresa Hüther

Theresa Hüther ist W issenschaftliche Mitarbeiterin am Alt-Katholischen Seminar der Universität Bonn.


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