Sekt statt Stille

Punktum

Die Zeiten sind hart, die Themen sind ernst, ja, die Welt ist eine andere geworden: bedrohlich, bitter, hoffnungslos. Was also tun? Richtig, sich endlich einmal wieder hingebungsvoll sogenannten First-World-Problems widmen, wie meine jüngere Tochter (Ohhh, Pabba …) es nennen würde. Wohlan: Sie kennen alle das „Pst-Zeichen“ in der Deutschen Bahn. Ein Gesicht mit einem Zeigefinger vor dem Mund. Manchmal begegnet einem auch noch das durchgestrichene Mobiltelefon. Beides soll wohl bedeuten, dass in diesem Bereich Ruhe im Zug herrschen soll. Aber leider kommt diese verschwiemelte Botschaft bei vielen Fahrgästen nicht an. Wahrscheinlich, weil sie gar nicht realisieren, dass sie in einem Ruhebereich sitzen.

Wie ruhig es da sein soll, ist auch nicht geregelt, ich habe jedenfalls nichts gefunden. Eine Grauzone also, ein Schild, das motivieren soll. Aber wozu eigentlich genau? Man kann, ich jedenfalls, sehr leise mit dem Smartphone telefonieren, wobei man natürlich auch zum Telefonieren woandershin gehen kann. Ach, und wenn die Erbengeneration mit drei süßen kleinen Kindern die Ruhezone der Ersten Klasse beglückt, dann mimt man nicht die Spaßbremse, sondern macht eher noch artige Komplimente oder heuchelt Interesse vor, egal, wie dringend der dienstliche Text gelesen oder geschrieben werden muss. Obwohl: Eher wäre die Frage angebracht, warum die Familie gerade dort gebucht hat.

Was ich aber letztens auf der Fahrt nach München erlebte, war epochal: Eine lustige Dame um die siebzig stieg in Kassel zu und begann das fröhliche Gespräch mit allen umsitzenden Reisenden, und als der Kellner aus dem Bordrestaurant kam, bestellte sie erst Kaffee und Kuchen, und als er das brachte, sagte sie: „Ich möchte einen Sekt!“ – „Sehr gerne“. Ich muss sie aus circa vier Metern Entfernung sehr böse angeguckt haben. Sie lächelte zurück: „Darf ich Sie einladen, junger Mann.“ Was hörte ich mich sagen? „Oh, wie freundlich. Sehr gerne …“. Und dann …, ach schade, mein Platz ist zuende. Aber es wurde dann eh privat … 

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