Die freie Journalistin Juliane Marie Schreiber möchte mit ihrem widerständigen Buch die Ideologie des Positiven entzaubern. Das flüssig geschriebene Buch ist gespickt mit Beispielen, wie das suchtartige Streben nach Wohlbefinden, nach Selbstoptimierung und Glücksberauschung Menschen zunehmend in die Enge und Unfreiheit drängen will. Immer schneller, höher, weiter sei die Lebensmaxime der Stunde, die jedoch trotz intensiver Trainings und mentaler Tools zum Scheitern verurteilt sei. Diese Haltung verdeutlicht die Autorin an zahlreichen Beispielen des Alltags, der Werbung, des Coachings und der Beratungsliteratur. Die Geschichten sind gut recherchiert, unterhaltsam und stellenweise amüsant, manchmal erschreckend und teilweise auch entlarvend. Besonders die Ansätze der Positiven Psychologie mit ihrem quasireligiösen Optimismus werden an den Pranger gestellt, weil sie mit ihrem neoliberalen Konservatismus vor allem Geld in die eigenen Kassen spülen wollten. Allerdings verliert sich Schreiber auch in Details, wenn sie beispielsweise das Überangebot des Konsumismus anprangert: Warum erwischt man aus zweihundert Varianten Staubsaugerbeutel immer den falschen?
Die unverhohlene Kritik und das lauthalse Schimpfen über den neoliberalen Wohlfühlterror ist nicht neu. Bemerkenswert sind die Atemlosigkeit und die Variationsbreite, mit der den Lesern in immer neuen Anläufen in zwölf Kapiteln vor Augen geführt wird, in welchen Sackgassen die krankhafte Fixierung auf das Positive enden kann. Neuartig ist die Konsequenz, mit der die Autorin mit der Diktatur des Positiven abrechnet, und welche Folgen sie daraus zieht. Sie spricht von einem „Happiness Syndrome“ als psychische Störung und wirft dieser Haltung einen Mangel an Information vor. Dagegen stellt sie ein „Manifest des Nein“, das sie in die Formel „Nein oder Nichtsein“ gipfeln lässt. Zufriedenheit und Wohlgefühl hält sie für eine rosarote Selbsttäuschung. Als Lösung plädiert sie für die Freiheit der Negativität. Negatives sei der Motor der Geschichte, ohne Schmerz gäbe es keine Kunst, und Wut sei der Motor des Fortschritts.
Der einseitigen Kampfschrift kann von der Perspektive eines christlichen Menschenbildes frische Luft zum Durchatmen zufließen. Zugegeben, das Credo der Selbstoptimierung ist ein Irrweg, und viele Glücksversprechen haben vor allem die Profitsteigerung der Anbieter im Sinn. Aber ein natürliches Korrektiv menschlicher Fortschrittshoffnung ist seine Endlichkeit. Alltagsweisheit blickt vom Ende her auf den Lebensverlauf. Dann kann der freiwillige Verzicht ein Weg zu mehr Freiheit und Unabhängigkeit werden. Schon der Sohn Gottes hat vorgelebt, wie revolutionär sich das Nein gegenüber dem breiten Weg des Mainstreams auswirkt. Dennoch fehlte der entscheidende Schlussstein, würde man das Evangelium nur als opportunistische Kampfschrift lesen. Schreiber outet sich am Ende ihres Buches als depressive Realistin, die aufgehört habe, weiter nach Glück zu streben und sich die Welt schönzureden. Traurige und Melancholische hätten ein größeres Herz, und die Welt würde nicht von Glücklichen verändert, sondern von den Unzufriedenen. An dieser Stelle bietet der Glaube mit seiner Auferstehungshoffnung eine gänzlich neue Perspektive. Die unsichtbare Gegenwart Gottes ermöglicht es Christinnen und Christen, zuversichtlich in einer gefallenen Welt zu leben und sich trotz aller Begrenztheit für das Gute, Wahre und Schöne einzusetzen.
Michael Utsch
Michael Utsch ist Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin.