Perry Schmidt-Leukel gehört zu den renommiertesten pluralistischen Religionstheologen. Und es ist nicht seine erste Studie, die sich mit dem Buddhismus befasst. Basierend auf Vorlesungen, die er 2017 in Peking gehalten hat, präsentiert der Religionswissenschaftler eine neue religionsvergleichende Methode. Dafür steht die Metapher des Titels: die buddhistische Vorstellung eines riesigen Netzes des vedischen Gottes Indra, in dem alle Welten enthalten sind. In jedem einzelnen, als Juwel betrachteten Knotenpunkt dieses Netzes spiegelt sich das ganze Netz. In einem Juwel ist alles enthalten. Der „andere Vergleich“, der hier also geboten wird, basiert auf dieser Einsicht: dass sich beide Religionen ineinander spiegeln, und zwar in jedem großen und kleinen Detail oder Bruchstück: „Das himmlische Geflecht entspricht somit einem ‚fraktalen’ Muster, das heißt einem Muster, bei dem sich gewisse Grundstrukturen in den einzelnen Komponenten der Struktur wiederholen.“
Für Schmidt-Leukel gibt es mithin nicht das Christentum und nicht den Buddhismus, die einander pauschal gegenübergestellt werden könnten, wie das so oft der Fall war. Vielmehr sind dieselben Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen beiden Religionen als typische Muster auch innerhalb dieser beiden Religionen zu beobachten und sogar noch auf der Mikroebene in der religiösen Biografie einzelner Menschen, für die exemplarisch der katholische Theologe und Religionswissenschaftler Paul F. Knitter steht („Ohne Buddha wäre ich kein Christ“), dem das Buch gewidmet ist. Nach der Einleitung folgen zwei Kapitel, in denen die Methode, fraktale Muster in der religiösen Vielfalt aufzuzeigen, entwickelt wird.
Die folgenden sechs Kapitel demonstrieren diese Hermeneutik anhand von sechs Vergleichspunkten, deren Auswahl nicht näher begründet wird. Wie ist das Verhältnis zur Welt: Flucht oder/und Zuwendung? Wie wird die Letzte Wirklichkeit begriffen: personal oder/und impersonal? Worin besteht das menschliche Defizit: in Verblendung oder/und Sünde? Wie gibt es Befreiung davon: durch Selbst- oder/und Fremderlösung? Wer rettet uns: ein erwachter Lehrer oder ein inkarnierter Gottessohn? Diese Aufzählung genügt, um deutlich zu machen, worin das Manko dieser Vergleiche liegt: dass die Auswahl der Vergleichspunkte den klassischen Loci der christlichen Dogmatik entlehnt ist.
Wären das für Buddhisten wirklich die zentralen Aspekte, um ihre Religion zu beschreiben? Es fehlen die lebenspraktischen Aspekte, wie sie etwa im „Achtfachen Pfad“ beschrieben werden. Was ist mit „rechter Sammlung“ der Anhänger: als Meditation oder/und Gebet? Was ist die beste Lebensführung: als Teil einer Ordensgemeinschaft oder/und einer Familie? Wie steht es mit dem Verhältnis der Geschlechter in beiden Religionen? Was ist mit der patriarchalen Dominanz der Mönche über die Nonnen? Wie agieren beide Religionen politisch: als Organe der Herrschaft zur Stütze der Regierenden oder/und als Instanzen des Widerstands oder gar als Befreiungs- und Friedensbewegungen in Zeiten des Krieges?
Derlei Vergleichspunkte zumindest neben die dogmatischen Loci zu stellen, wäre ein wirklich anderer Vergleich gewesen. Das erkenntnisleitende Interesse Schmidt-Leukels ist sympathisch. Doch es verbleibt zu sehr im Elfenbeinturm dogmatischer Spekulationen, an denen Siddhartha und Jesus nicht interessiert waren. In jeder Religion steckt ganz schön viel Mensch drin. Deshalb sind sie sich bis ins Detail so ähnlich. Das himmlische Geflecht ist ein allzu irdisches Geflecht. Es menschelt überall. Auch so ein fraktales Muster. Im Spiegelkabinett kann man leicht über seine vielen Füße stolpern. Einige haben das Projektion genannt.
Martin Bauschke
Martin Bauschke ist Theologe und Religionswissenschaftler. Er wohnt in Berlin.