Zur Sonne, zur Freiheit

Ölstudien – ein Zweig der Malerei auf dem Weg in die Zukunft
Heinrich Reinhold (1788 – 1825): Welle an der Küste Sorrentos, 1823.
Foto: Philipp Mansmann/© Courtesy Daxer & Marschall, München
Heinrich Reinhold (1788 – 1825): Welle an der Küste Sorrentos, 1823.

„Mehr Licht“ heißt die Ausstellung, die bis zum 7. Mai im Düsseldorfer Kunstpalast gezeigt wird. Sie widmet sich der Ölstudie als einer der größten formalen Revolutionen in der Kunst des 19. Jahrhunderts. Und sie fördert einen neuen Blick auf die Natur, wie Helmut Kremers bei einem Besuch feststellte.

Als Maler hinauszueilen mit Staffelei und Malkasten und dort, im Freien, Ölstudien aufs Papier zu werfen, um sie dann im Studio in Gemälde einzuarbeiten, das war etwas Neues. Bis dahin hieß es: Naturstudien in Kohle oder Bleistift und dann ab ins Atelier. Dieses Neue breitete sich unter Deutschlands Malern zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus, in der Zeit der Romantiker, die einerseits „mehr Licht“, andererseits auch die Mysterien der Nacht entdeckten, nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Malerei.

Doch die Ölstudien, die im Düsseldorfer Kunstpalast in der Ausstellung „Mehr Licht“ gezeigt werden, waren tatsächlich nur Studien, etwas Flüchtiges, keineswegs als Objekte gedacht, die man in einer fernen Zukunft in einer Ausstellung betrachtet. Gerade aber darin liege der Reiz für heutige Betrachter, meinen die Kuratoren mit einigem Recht: erlauben sie doch den Betrachtern einen spontanen Blick, als stünden sie neben dem Maler und sähen, was der sieht, seien es nun altrömische Ruinen, sonnige Bachtäler oder schattige Waldränder.

Die Gemälde, in die diese Skizzen später eingearbeitet wurden, sind in der Regel große, symbolisch aufgeladene Stücke, für deren Entschlüsselung heute kaum noch die „Anschlussfähigkeit“ und zumeist auch die Geduld fehlt.

Also: Diese Studien waren nicht als selbstständige Kunstwerke gedacht; von vielen weiß man nicht einmal, wer sie verfertigt hat – denn eher ausnahmsweise sind sie signiert. Öfter ist das genaue Datum eingetragen, so zum Beispiel bei einem felsigen Uferabschnitt am Mittelmeer, den Heinrich Reinhold (1788 – 1825) gleich zweimal in kürzestem Abstand gemalt hat, vielleicht gar vormittags und nachmittags, um den unterschiedlichen Wellenschlag festzuhalten – mit einer Kunstfertigkeit, die umso mehr erstaunt, als sich die bildende Kunst inzwischen weitgehend von handwerklichem Können gelöst hat. Wenn man so will, ist der Landschaftsabschnitt bei Pillnitz, den Carl Gustav Carus im Abstand von zehn Jahren gemalt hat, ein Gegenstück.

Aber hier ist die Rede von „Malern“? Nur Männer? Nun, es befindet sich auch eine Skizze von der Hand einer Frau in der Ausstellung: Rosa Bonheurs „Landschaft im Nebel“, o. J. Rosa Bonheur war Französin, und aus Frankreich stammte diese neue Manier der Ölstudien. Allerdings: Es entstand zu Beginn des Jahrhunderts auch schon die Freilichtmalerei, bei der vollständige Gemälde unter freiem Himmel geschaffen wurden. Über die nicht unerhebliche Rolle der englischen Maler hierbei erfährt man in der Ausstellung nichts. Die Malerei en plein air kulminierte schließlich bei den Impressionisten – Monet ist das exemplarische Beispiel dafür. Wenige Jahrzehnte später war es damit wieder vorbei; die Expressionisten brauchten für ihre gemalten Schreie nicht den Himmel über sich.

Unter freiem Himmel

Dass Rosa Bonheur (1822 – 1899) hier allein auf weiter Flur steht, ist nicht zu verwundern: Frauen war damals der Zugang zum Studium an einer Kunstakademie versagt. Man(n) stelle sich vor: Frauen beim Aktzeichnen! Erst 1921 durften sie in Deutschland dann doch. Aber diese Bonheur war von eigenem Kaliber. Eigentlich eine Tiermalerin (wie die Rosa bei Fontane, die selbstkritisch bemerkt: „Tiermalerin ist an der Grenze des Unerlaubten.“), lebte sie als Lesbierin, und, man höre, sie erstritt sich das Recht, in Männerhosen durch Paris zu gehen, „Permission de Travestissement“ nannte sich die Erlaubnis.

Nun aber: Bei der Einführung der Ölstudienmanier in Deutschland kam Johann Wilhelm Schirmer, geboren 1807, eine Schlüsselrolle zu. Er studierte erst einmal an der Dresdner Akademie, zunächst bei dem „kurfürstlichen Hofkupferstecher“ Adrian Zingg (1734 – 1816), einem Schweizer, der hier die Landschaftsmalerei neu begründete. Über einen von dessen Kupferstichen, entstanden nach einer Landschaft von Jacob van Ruisdael (1628 – 1682), begegnete Schirmer der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts.

Denn die gab es lange vor den Romantikern. Sie war in ihrer Zeit begehrt, die reichen Kaufleute kauften sie – auf der Künstlerseite gab es sogar Spezialisten für alle möglichen Landschaftsmotive. Einer von denen, die hinsichtlich Vielseitigkeit und Kunstfertigkeit an der Spitze standen, war jener Jacob van Ruisdael. Die Romantiker verehrten ihn entsprechend.

Schirmer ging dann an die berühmte Düsseldorfer Akademie; damit kam er fast nach Hause, denn er war einer der wenigen Rheinländer aus der Düsseldorfer Malerschule, geboren 1807 in Jülich. Aber nicht Heimweh führte ihn nach Düsseldorf; er folgte viel mehr dem – seit 1826 – neuen Leiter der Akademie, Wilhelm Schadow (seit 1845 „von Schadow“, Sohn des bedeutenden Berliner Bildhauers Johann Gottfried Schadow). Der war zwar zunächst Nazarener, seit 1813 Mitglied des „Lukasbundes“, doch sammelte er schnell junge Maler um sich, von denen nicht wenige der neuen Leidenschaft der Landschaftsmalerei frönten (so etwa Carl Friedrich Lessing). Schirmers Spezialität war die naturgetreue Darstellung von Pflanzen, die er so genau darstellte, dass es heutigen Botanikern nicht schwer fällt, sie zu bestimmen.

Düsseldorfer (Oswald auch nach seinem Geburtsort) waren die Brüder Andreas (1815 – 1910) und Oswald (1827 – 1905) Achenbach, beide zeitweise das „A & O der Landschaftsmalerei“ genannt. Natürlich malten sie ebenso wenig wie die anderen „Landschafts-“maler nur Landschaften, sondern ebenso gern Architekturansichten, wenn nur das Licht stimmte. So findet sich unter den Architekturbeispielen vornehmlich Klassisches oder Idyllisches aus Italien. In der ausgestellten Ölstudie „Venedig“ von Oswald Achenbach sehen wir dann auch keineswegs eine der berühmten Ansichten der Lagunenstadt, sondern eine Nebengasse mit dem obligatorischen Kanal. Das Wichtigste war eben das Licht, das Licht unter freiem Himmel. Und das gab es vornehmlich in Italien, dem Pflichtziel europäischer Maler schon seit Dürers Zeiten: Keiner, der nicht Italien bereist hätte, und so ist Italien auch der geografische Ort, an dem die meisten dieser Ölstudien entstanden.

Das vielleicht strahlendste italienische „Lichtstück“ in der Ausstellung ist „Terrasse auf der Insel Capri“ (seit 2022 Lord Frederic Leighton zugeschrieben), das dem Betrachter mit einer Leuchtkraft gewissermaßen „ins Auge springt“ und dem heutigen Capribesucher einen nostalgischen Seufzer entlocken mag.

Nostalgische Seufzer

Allerdings hielten die Maler auch Schlechtwetter im Bild fest, da war Rosa Bonheur keine Ausnahme, und auch andere Landschaften als italienische konnten faszinieren. So ließ sich Carl Gustav Carus (eines der letzten Universalgenies, er war nicht nur Maler, sondern Anatom und Arzt) auf einer Rügenreise von der Insellandschaft faszinieren, die ihn an Ruisdaels Werke erinnerte.

Übrigens zitiert der Titel der Ausstellung Goethes (gestorben 1832) legendäres „letztes Wort“: „Mehr Licht“. Dabei hatte gerade der große Alte in Weimar nicht allzu viel Verständnis für die jungen Wilden mit ihren Freilichtexzessen. Er meinte, der Landschaftsmaler solle das „Skizzieren nach der Natur“ lieber lassen und gleich lernen, „einen würdigen Gegenstand unmittelbar geschmackvoll in einen Rahmen zu beschränken“. Und dies, obwohl der junge Goethe viele Wolkenbilder in seinen Skizzenbüchern festgehalten hatte und der nicht mehr ganz so junge sich für das Werk Luke Howards, des Begründers der noch heute geltenden Wolkeneinteilung, begeisterte. Aber gerade Wolken faszinierten die jungen Romantiker; zahlreiche Studien, insbesondere von Johann Wilhelm Cordes und Johann Jakob Frey zeigen es.

Wie aber entstanden diese Ölstudien? Haben die Künstler sie wirklich so aus dem Handgelenk aufs Papier bannen können? – Nun, ganz so flott ging es nicht, sie zeichneten durchaus zunächst mit dem Bleistift fein die Hauptlinien vor – das weiß man von den nicht seltenen unvollendeten Skizzen.

Es war nebenbei die Zeit, in der die Fotografie erfunden wurde (1826 Niépce, Daguerre 1837) – ihr sprach man alsbald die Kompetenz zu, „die Wirklichkeit“ authentisch, also platt, abzubilden, mit der sie in dieser Hinsicht die Malerei überflügele. Bis die Fotografie zu einem Zweig der Kunst wurde, sollte es noch dauern, auch wenn etwa Delacroix schon Fotos als Vorlagen nutzte.

Vielleicht lässt sich das Erlebnis dieser wunderbaren Ausstellung nicht besser zusammenfassen als mit einem Zitat von Florian Illies. Er meint nämlich, die Ölstudien böten „die Möglichkeit, in der scheinbar altmodischen, romantischen oder biedermeierlichen Malerei der ersten sechs, sieben Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts auch Lebendigkeit und Neugier wahrzunehmen – ja, gar einen Lichtstreifen der Moderne.“ Eben: scheinbar. Dem ist nichts hinzuzufügen. 

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