Zeitenwende, auch in meiner Sockenkiste. Kürzlich schenkte mir die große Tochter Socken, die markant aus dem seit Jahrzehnten vorherrschendem grau-blauen Einerlei hervorstechen: senfgelb und quietschgrün, mit Schallplatten drauf. Damit liege ich voll im Trend, vielleicht nicht farblich, aber doch bei der Motivwahl. Denn der Vinylhype bei den Tonträgern hat neue Höhen erreicht. „In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der verkauften Schallplatten in Deutschland versechsfacht. 2020 erzielte die US-amerikanische Musikindustrie erstmals wieder einen höheren Umsatz aus dem Verkauf von Schallplatten als von CDs.“ Das kann man auf dem Blog „Media Bubble“ der Universität Tübingen nachlesen. Klar, der große Umsatz der Musikindustrie kommt nach wie vor aus den Streaming-Diensten, aber für jemanden wie mich, der die CD als großen Fortschritt feierte (und Musik noch immer am liebsten darüber hört), ist das schon eine erstaunliche Entwicklung.
Das Staunen wächst noch durch folgende Information: Nur etwa die Hälfte derjenigen, die Vinylplatten kaufen, hören sie auch. Die anderen nutzen sie als Deko. Das kann ich bestätigen, die jüngere Tochter hat mich neulich nach einigen Stunden auf „Pinterest“ um einige alte Scheiben aus der Kiste in meinem Keller gebeten. Es war vollkommen egal, was drauf ist, sie kamen einfach an die Wand.
Was sagt das dem gestandenen Protestanten für den Umgang mit kirchlicher Tradition? Erstens: Vermeintliche Anachronismen sollten nicht zu schnell entsorgt werden, sie können morgen wieder im Trend liegen. Zweitens: Beim Festhalten an alten Dingen, kann man auch ziemlich daneben liegen. Für meine Videokassetten und die sorgfältig zusammengestellen Musik-Tapes aus dem vergangenen Jahrtausend interessiert sich nämlich keine Sau. Drittens: Was die Jungen mit den alten Sachen machen, haben wir nicht in der Hand. Aber wenn wir Glück haben, tragen wir es irgendwann an den Füßen.
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".