Ein falsches Wort

Gefahren der Identitätspolitik

Man kann es etwas überspitzt so sagen: Nachdem auf dem deutschen Buchmarkt drei, vier Jahre lang Bücher zu Antirassismus und zu den Vorteilen von, sagen wir „Identitätspolitik“, so umstritten dieser Ausdruck ist, schwer in Mode waren, meist geschrieben von „People of Color“ mit Rückgriff auf eigene leidvolle Rassismus-Erfahrungen, ist das Pendel nun in die andere Richtung ausgeschlagen. Derzeit häufen sich die Bücher, die zumindest die extremen Formen linker Identitätspolitik vor allem in den USA, aber auch zunehmend in Deutschland sehr kritisch sehen. Der Autor dieser Zeilen, das als Transparenzhinweis, gehört ebenfalls zu den Verfassern eines Werkes der letztgenannten Richtung.

Nun hat René Pfister, Leiter des „Spiegel“-Büros in Washington, mit Ein falsches Wort ein Buch vorgelegt, das bereits im Untertitel die Kernthese des Werks gut zusammenfasst: „Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht“. Es gehe, so schreibt Pfister, schon früh mit einem nicht unangemessenen Pathos „um den Kern der liberalen Demokratie“: „Sie wird nicht nur angegriffen von einer populistischen Rechten. Sondern auch von einer doktrinären Linken, die im Namen von Antirassismus, Gleichberechtigung und des Schutzes von Minderheiten versucht, Prinzipien zu untergraben, die essenziell sind: die Rede- und Meinungsfreiheit; die Idee, dass jeder vor dem Gesetz gleich ist; den Grundsatz, dass niemand wegen seiner Hautfarbe oder seines Geschlechts benachteiligt werden sollte.“

Die Stärke von Pfisters Buch ist, dass er diese These einleuchtend und gut lesbar belegen kann. Komplizierte soziologische und philosophische Ideen und Entwicklungen bringt er prägnant auf den Punkt, gesättigt durch aufwändige eigene Recherche in den USA, wo die linke Identitätspolitik in den letzten Jahren gerade an den Universitäten, die ja eigentlich das gesellschaftliche Labor der Zukunft sein sollten, zu oft so absurden wie traurigen Phänomenen geführt hat. Schon der Titel dieses Kapitels sagt alles: „Wie Universitäten zu geistigen Klöstern werden“.

Besonders gelungen sind in Pfisters Werk die Passagen, in denen er die philosophisch-ideologischen Grundlagen einer linken, noch heute wirkenden und exkludierenden Identitätspolitik vorstellt, angefangen mit einem bahnbrechenden Essay Herbert Marcuses von 1965 mit dem Titel „Repressive Toleranz“. Darin schreibt der Soziologe, in der „totalitären Demokratie“ würden die Herrschenden immer Wege finden, sich an der Macht zu halten. Deshalb müssten politische Kräfte, die seiner Ansicht nach dem Fortschritt im Wege stehen, aus dem öffentlichen Diskurs verbannt werden. Pfister analysiert: „Es ist ein Argumentationsmuster, das in kaum abgewandelter Form in den vergangenen Jahren an amerikanische Universitäten zurückgekehrt ist. Inzwischen gibt es fast wöchentlich einen Fall, in dem ein Professor suspendiert oder eine Gastrednerin ausgeladen wird, weil sie Meinungen vertreten, die als unsensibel, rückständig oder verletzend gegenüber Minderheiten gelten. Insofern war Marcuse einer der Pioniere des Gedankens, dass Meinungsfreiheit, die konstitutiv für jede Demokratie ist, im Kern nichts weiter darstellt als einen Knüppel in der Hand der Herrschenden.“

Verheerend war auch die Abscheu des französischen Philosophen Michel Foucault gegenüber den Ideen der Aufklärung, der parlamentarischen Demokratie, ja der Sprache an sich: Denn alle drei seien de facto bloß Machtinstrumente der Herrschenden. All dies wirke bis heute nach.

Pfister hat mit Ein falsches Wort eine sehr gute Grundlage geliefert, um die Gefahren einer radikalen linken Identitätspolitik aufzuzeigen, ohne dabei die Abgründe einer rechten Identitätspolitik à la Trump kleinzureden. Und das alles sachlich und ohne Schaum vor dem Mund. Das Buch ist ein Dienst an der Demokratie. Es ist zu hoffen, dass es viele lesen.

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