Dante Alighieri sei „der größte Dichter Italiens und einer der tiefsinnigsten Dichter aller Zeiten“, befand Meyers Lexikon von 1925 bündig. Gestorben ist er am 14. September 1321, in Ravenna, 56-jährig. Viel Ganz-Genaues weiß man nicht über sein Leben. Das Meiste wurde mit detektivischer Akribie ermittelt. In sieben Jahrhunderten ist da einiges zusammengekommen.
Dante hat viel geschrieben und gedichtet, und zwar nicht nur, wie es Gelehrtenbrauch war, in Latein, sondern überwiegend in der Volkssprache, dem toskanischen Italienisch, weshalb er als Begründer der italienischen Schriftsprache gilt. Auch sein kolossales Hauptwerk, die Göttliche Komödie, ist in Italienisch verfasst („Göttlich“ nannte sie Giovanni Boccaccio (1313 – 1375), es war ein Lob wie in „Götterspeise“, keine theologische Aussage).
Die „Story“ ist diese: Dante habe sich verirrt, sei schrecklichen Ungeheuern, einem Luchs (Wollust), einer Wölfin (Gier) und einem Löwen (Hochmut) im düsteren Wald moralischer Verirrung begegnet und sei dann vom Schatten Vergils, seines im Jahre 19 vor Christus verstorbenen Dichterkollegen, herausgeführt worden. Der Weg allerdings führte durch das gesamte Jenseits, wie es sich die zeitgenössische scholastische Theologie vorstellte, die Hölle, das Fegefeuer und den Himmel, ein Ab- und ein Aufstieg, für die Leser eher ein abnehmender literarischer Spannungsbogen.
Etwas über die Hölle zu erfahren, das war verlockend. Nun also: Sie verjüngt sich nach unten in konzentrischen Kreisen, ein Trichter. Ganz unten sitzt der Imperator dieses Reichs, Luzifer. Wo sie liegt? Im Mittelpunkt der Erde. Nicht zu vergessen: Die Erde galt als Mittelpunkt der Welt.
Über dem Eingang der Hölle stand ihr Motto, „Es schufen mich die göttlichen Gewalten, die höchste Weisheit und die erste Liebe“ (3. Gesang), also die Liebe Gottes doch wohl: ein riesiges Folterlager, in dem die Insassen in alle Ewigkeit gequält werden. Der Leib als Medium des Schmerzes bleibt erhalten, so geschunden wie auch immer. Keine gnädige Ohnmacht verschafft zeitweise Linderung. Mehrfach musste Vergil den erschütterten Dante aufrichten. Allerdings: Ob es so seine Richtigkeit hat mit des Dichters Mitleid? Kunstvoll schildert er die Qualen so manchen, den er im Leben gekannt – und gehasst? – hat.
Das Fegefeuer dann. Es gleicht den Folterlagern aller irdischen Zeiten. Immerhin, am Ende winkte die Freilassung ins Paradies.
Und das Paradies. Auch dieses in Trichterform, diesmal aufsteigend, ganz oben der Thron Gottes. Den Besuch Dantes dort vermittelt Beatrice, die früh verstorbene, von ihm zur Heiligen stilisierte platonische Geliebte, von der man nicht weiß, ob sie als reale Person existierte.
Der reale Dante war ein Kind seiner Zeit, alles andere als ein Heiliger, ehrgeizig, von Jugend auf in die verwirrenden politischen Händel seiner Zeit verstrickt, insbesondere in die zwischen den Parteien der Ghibellinen und der Guelfen, nur oberflächlich als Kaiser- und als Papstanhänger zu charakterisieren. Wegen einer Unterschlagung, die er immer bestritt, wurde er aus seiner Heimatstadt verbannt, er blieb es bis zu seinem Tode, 19 lange Jahre. Eine Rückkehr nach Florenz unter Bußbedingungen hatte er abgelehnt. So blieb er in Ravenna, in absentia zum Tode, Verbrennen bei lebendigem Leib, verurteilt.
Die „Komödie“ teilt das Schicksal vieler klassischer Werke: hochverehrt und kaum gelesen. Nur noch historisch interessant ist der theologische Riesenbau, aktueller sind vielleicht die psychologischen Aufschlüsse, die dieser imaginierte geschlossene Kosmos bieten kann – denn die Sehnsucht nach einem solchen scheint unausrottbar.
Der größte Dichter Italiens, ein nationales Monument, unberührt und ungerührt auf seinem Sockel.
Helmut Kremers
war bis 2014 Chefredakteur der "Zeitzeichen". Er lebt in Düsseldorf. Weitere Informationen unter www.helmut-kremers.de .