Das Orakel der Wissenschaft

Wo kein Gottesglaube ist, da ist nicht nichts

Gebannt lauschte während der Pandemie die Öffentlichkeit den Erläuterungen der Epidemiologen, Virologen, Infektiologen, Immunologen sowie weiterer Fachleute. Das Bedürfnis nach Erklärungen und Prognosen konnte kaum gestillt werden. Täglich kamen neue Experten zu Wort. Über Nacht gehörten sie zur Prominenz. Wie ein Orakel sind sie in der Presse, im Radio und Fernsehen befragt worden. Als Rettergestalten und Hoffnungsträger wurde dem Publikum die Schar von Forschern und Analytikern präsentiert. Man hing ihnen an den Lippen.

Die Suche nach Orientierung war auffällig. Die Zusammenhänge besser verstehen zu wollen, das ist völlig verständlich. Nun ist aber der Glaube an die moderne (Natur-)Wissenschaft auch sonst fast ungebrochen. Das Zählen, Messen und Berechnen beherrschen das Feld, empirische Studien nach dem Grundsatz: „Wirklich ist, was messbar ist“, sind längst auch in der Kirche anscheinend unerlässlich.

Das Problem: In der Berichterstattung und in der Wahrnehmung der Leute wird die Unsicherheit der wissenschaftlichen Ergebnisse ausge-blendet. Die erhobenen Befunde sind vorläufig, eingeschränkt gültig und beruhen auf bestimmten Prämissen. Im Hinblick auf die Zukunft sind die theoretischen Modelle mit Wahrscheinlichkeiten und unbekannten Faktoren behaftet. Werden sie falsch interpretiert und quasi zu Glaubenssätzen erhoben, so bricht in der öffentlichen Rezeption ein Glaubenskrieg aus – Stichwort „Klimaveränderung“. Die Wissenschaft wird – entgegen ihrem Selbstverständnis – in eine Rolle gedrängt, die sie aufgrund ihrer Voraussetzungen gar nicht übernehmen kann. Sie soll leisten, wozu sie nicht imstande ist, nämlich Glaubensgewissheit zu vermitteln.

Der Glaube an die Wissenschaft, ihre Verehrung, ja Vergötzung, ist die direkte Folge einer Gottlosigkeit, eines praktischen Atheismus. Denn wo kein Gottesglaube ist, da ist nicht nichts. Das wusste schon Luther: „Wo nämlich der Glaube fällt und das Wort vom Glauben verstummt, da tauchen nur zu bald an deren Statt die Werke auf und entsprechende Festschreibungen.“ Die Kategorienverwechslung von Glaube und Wissenschaft macht aus der Wissenschaft eine Heilslehre. Was errechnete Wahrscheinlichkeit ist, nimmt man als letztgültige Wahrheit. Durch diese Verwechslung erleiden beide Schaden: Die Wissenschaft durch die Erhebung in den status confessionis, der Glaube dadurch, dass er fällt, verstummt, nicht in Erscheinung tritt.

Der Glaube unterscheidet sich von allen Wissenschaften nicht einfach dadurch, dass er von Gott oder vom christlichen Gott spricht. Sondern er verdankt sich dem Wort Gottes, das den Menschen in den Glauben ruft. Er ist die Betroffenheit des Menschen durch Gott. Er ist, weit über die Wissenschaft hinaus und jenseits der falschen Alternative von Rationalismus und Irrationalismus, eine fundamentale Aufgabe des Denkens. Moderne Wissenschaft dagegen ist bestimmt durch den Menschen als Handelnden. Der Forscher untersucht den Gegenstand, eben zum Beispiel ein neuartiges Virus, mit seinen Instrumenten. Er denkt von sich auf das Objekt seiner Untersuchung hin. Der Glaube nimmt nun diesen wissenschaftlich oder sonstwie tätigen Menschen daraufhin in den Blick, dass und wie er als von Gott Angesprochener erscheint. Die Wissenschaft ist durchaus ein wichtiger Bezugspunkt des Glaubens und der den Glauben reflektierenden Theologie. Die Differenz von Wissenschaft und Glaube muss offen gehalten, eigens bedacht und vollzogen werden, eben weil die Rede von Gott, genauer vom am Menschen durch effiziente Urteile (Rechtfertigung) handelnden Gott, innerhalb der modernen Wissenschaft gar nicht möglich ist. Versteht sich der Mensch nicht als von Gott Betroffener, so ist er genötigt, sich als absolut und autonom handelndes Subjekt zu verstehen, dazu gezwungen, in der tosenden Werkstatt ans eigene Treiben geschmiedet (Hölderlin) und so in die Knechtschaft seiner Machenschaften geratend (Heidegger) zu agieren. Tritt die Wissenschaft an die Stelle des Glaubens, so verdirbt diese Verwechslung zwangsläufig beide.

Wer Glaube und Wissenschaft recht zu unterscheiden weiß, der wird im Falle einer Bedrohung durch eine schwere Krankheit in kritischer Distanz die Erkenntnisse der Wissenschaft ernst nehmen, sich an die begründeten Maßnahmen und Behandlungen halten, tun, was vernünftig ist, und sich vergegenwärtigen, dass das irdische Dasein ein Geschenk von Gott, aber auch endlich ist. Weder die persönliche noch die globale Zukunft der Menschheit liegt in der Hand der Wissenschaft, sondern zu guter Letzt in der Hand Gottes. Im Vertrauen darauf blickt der vor- und fürsorgliche Christenmensch von sich weg auf Gott und gebraucht seinen Verstand, seinen Intellekt recht.

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