Der Lernbedarf ist groß

Warum wir Impulse der Black Theology aufnehmen sollten

Black Theology ist immer noch ein neues Thema in Deutschland – erstaunlicherweise. Ich lernte es bereits vor einigen Jahren in den USA kennen. Aber in Deutschland dachte man lange, dass Rassismus ein amerikanisches, kein deutsches Problem ist. Rassismus wurde assoziiert mit Rechtsextremismus und Hassverbrechen, aber nicht mit alltäglichen Erfahr­ungen. Dass und inwiefern auch aufgeklärte liberale Menschen oder die Kirche rassistisch sein können, kam nicht in den Blick. Sarah Vecera hat in der jüngsten Vergangenheit mit ihren umsichtigen und präzisen Beobachtungen dafür sensibilisiert. Sie fragt: „Wie ist Jesus weiß geworden?“ Durch die Ikonographie, die Kunst und die Kinderbibeln, die uns vertraut sind, sind wir derart daran gewöhnt, Jesus weiß zu denken, dass sich kaum jemand bewusst macht, dass Jesus nicht ein weißer Mitteleuropäer war, sondern, wie wir heute sagen würden, eine Person of Color. Er wurde in der westlichen Welt weiß „gemacht“ und damit Teil einer europäischen Überlegenheitskultur.

Selbst in manchen Kirchen Afrikas hängen weiße Jesusbilder. Die Bilder vermitteln: Gott ist weiß, Gott ist wie Europäer, nicht wie Afrikaner. Damit geht eine Wertung einher, die weiß auf- und schwarz abwertet. Aufgeklärte Christ*innen verstehen zwar mit ihrem Intellekt, dass Gott weder männlich noch weiß ist, dass er ohnehin nicht „ist“ wie ein Ding, aber ganz tief drinnen wirken die tradierten Bilder weiter.

Selbstverständlich stellt sich die EKD gegen Rassismus und jede Form der Diskriminierung, aber in der Regel wird Rassismus dabei als etwas verstanden, das sich außerhalb der Kirche abspielt. Sarah Vecera nennt hingegen be­drückende Beispiele für Rassismus in der Kirche – angefangen beim Liedgut, aber auch in der Art, wie selbstverständlich „weiß“ gedacht und unreflektiert eine weiße Kultur unterstützt wird – bei Gebeten für Afrika oder auch mit Blick auf die Ökumene, der es vielfach immer noch schwerfällt, eine Partnerschaft mit afrikanischen Kirchen auf Augenhöhe zu gestalten und sie nicht nur als Objekte von Hilfsangeboten zu sehen. Nicht zuletzt sind unsere Gemeinden in aller Regel „weiß“ und viel zu wenig divers.

Sarah Vecera erzählt, dass sie, die in Ober­hausen geboren wurde und im Ruhrgebiet aufwuchs, ihr Leben lang mehrfach wöchentlich gefragt wurde und immer noch wird, woher sie denn komme. Die erwartete Antwort ist selbstverständlich nicht Oberhausen, sondern spielt auf ihre Hautfarbe an, die sie zu einer anderen Person macht und signalisiert: Du gehörst nicht dazu, Du bist hier fremd. Dieses Othering und die damit verbundenen subtilen Abwertungen und Mikroaggressionen werden von Weißen meist nicht als Diskriminierung wahrgenommen, tun aber weh, kosten Kraft und führen zu Ausgrenzungsgefühlen.

Die Black Theology macht auf solche Dynamiken aufmerksam. Sie setzt sich kritisch mit unserer christlich-westlichen Tradition und dem kolonialen Denken auseinander, um das Befreiungspotenzial des Evangeliums auch für nicht-weiße Menschen zu erschließen. Es ist höchste Zeit, diese Impulse aufzunehmen – der Lernbedarf ist groß. 

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