Ein Campus in der Wüste
Scheinbar im Nirgendwo türmt sich ein futuristisch anmutendes Bauwerk auf. Der neue Campus der „Learning Lions“ in Loropio, Kenia. Junge Menschen sollen hier eine moderne, digitale Ausbildung bekommen. Ludwig von Bayern, Prinz aus dem Hause Wittelsbach, steht als Ideengeber und Visionär hinter diesem Vorhaben. Kann es gelingen, einer krisengeplagten Region neues Leben einzuhauchen?
Wie ein Termitenhügel erhebt sich das Gebäude in die Landschaft, mit seinen rotbraunen Mauern und den natürlichen Lüftungsschächten. Willkommen auf dem Campus der „Learning Lions“, den „lernenden Löwen“ vom Lake Turkana, im äußersten Norden von Kenia! Das Bauwerk ist der vorläufige Höhepunkt einer Reihe von Ideen, hinter denen kein Geringerer steckt als Prinz Ludwig von Bayern, der Nachfahre jener bayerischen Könige, die sich ebenfalls einen Namen gemacht haben als Erbauer spektakulärer Schlösser.Es ist kein Zufall, dass dieses Bauwerk sich so passend in die einheimische Landschaft einfügt. Francis Kéré, Architekt aus Burkina Faso mit Büro in Berlin, Träger des Pritzker-Preises, hat sich beim Design an die Bauten von Termiten erinnert. Afrikanische Elemente, afrikanische Symbole, und damit ein Gebäude aus Afrika, für Afrika – das war das Ziel.
Nur jede zehnte Bewerbung hat Erfolg und führt zu einer Ausbildung bei den „Learning Lions“. Mourine Apuu hat es geschafft und bietet mittlerweile Kunsthandwerk aus der Region im Internet an.
Die Sonne sticht herunter, und wenn Brizan Were vom Campus auf dem Hügel hinunterblickt, kann er das nahe Ufer des Sees sehen. Brizan Were ist einer der Mitgründer und Manager des Ortes. Heute hat er gleich mehrere Gäste, denen er das Gelände zeigt. Eine Schulklasse mit ihren beiden Lehrern informiert sich, wie man sich bewerben kann. Die Plätze sind begehrt, auf 30 Ausbildungsplätze kommen fast 300 Bewerbungen von jungen Frauen und Männern, die ihre Schulausbildung abgeschlossen haben und große Pläne schmieden für ihre Zukunft. Die „Learning Lions“ bieten eine mehrstufige Ausbildung im Bereich Computertechnologie, mit Kursen in Webdesign, IT, Programmierung.„Die meisten Menschen in unserem Alter wollen für die Regierung arbeiten oder für eine internationale Organisation“, sagt einer der Schüler. Dort gebe es gutes Geld, für eine nicht allzu anstrengende Arbeit. Hier ist es anders – die jungen Leute wollen durchstarten, ein eigenes Projekt auf den Markt bringen, Unternehmer werden, aus kreativen Ideen Wirklichkeit werden lassen.
Eine, die das bereits geschafft hat, ist Mourine Apuu, 28, geboren in der Region Turkana. „Ich war bei den Ersten, die hier ihre Ausbildung machen konnten“, sagt sie, während sie an einem offenen Laptop sitzt. Sie ist gerade dabei, eine Internetseite an den Start zu bringen. Für ihre eigenen Produkte, wie sie erklärt. Sie bietet Kunsthandwerk an, das Frauen aus ihrer Heimatregion herstellen. „Der Internet-Shop ist nur ein Teil meines Geschäfts“, sagt sie. „Ich möchte auch einen eigenen Laden aufmachen.“ Mourine Apuu hat ihren Geschäftsplan im Kopf, es geht hier schließlich nicht nur um schnelle Ideen, die genauso schnell wieder verpuffen. Nachhaltig und dauerhaft soll die Ausbildung sein und den Absolventen eine echte Chance auf einem hart umkämpften Markt geben.
Bekannt in Europa
„In Kenia kennt man uns noch zu wenig“, sagt Wycliffe Omondi. Der junge Mann trägt Sonnenbrille und Fußballtrikot, wie es in Kenias junger Generation gerade angesagt ist. Er arbeitet in der Agentur der „Digital Lions“. Hier schließen sich die Besten zusammen, bieten ihre Dienste auf dem digitalen Markt an. Nicht nur in Kenia, denn, wie gesagt, an der Bekanntheit im eigenen Land arbeiten sie noch – „aber dafür sind wir in Europa schon ziemlich bekannt“, sagt Wycliffe Omondi. Die Kontakte ihres Gründers Prinz Ludwig helfen da natürlich, und so bekommen Omondi und seine Kollegen inzwischen Anfragen aus Deutschland und besonders aus Bayern: ein Tennisclub, der sich ein Vereinslogo gestalten lassen möchte? Oder eine politische Stiftung aus Deutschland, die sich für ihr Büro in Kenia eine neue Internetseite programmieren lässt? Sie alle sind schon Kunden hier geworden.
Doch so sehr die jungen Menschen die moderne Kommunikationstechnologie für sich nutzen und an sie glauben – das tägliche Leben der Menschen ist weiterhin geprägt von großen Schwierigkeiten. Oft sind es die einfachsten Dinge, die fehlen. Was ist zum Beispiel, wenn jemand in einer abgelegenen Siedlung krank wird?Eine kleine Gesundheitsstation, sie liegt noch etwas weiter nördlich, immer noch ganz in der Nähe des Sees, und auch schon nahe der Grenze zu Äthiopien. Mitten im angestammten Land der Turkana-Nomaden also. Die Einrichtung wird von der katholischen Kirche betrieben. Gerade bricht hier Unruhe aus, ein Geländewagen fährt mit lautem Motor vor, er wirbelt den Sand der Straße auf. Ein Notfall! Eine schwangere Frau liegt auf der Rückbank, die Geburt kündigt sich an, es scheint Schwierigkeiten zu geben. Zu schwierig für uns, entscheiden die Verantwortlichen schnell. „Gebt ihr noch eine Infusion“, ruft eine Mitarbeiterin. „Dann müssen wir die Frau nach Lodwar bringen.“ Schon fährt der Wagen wieder ab, sie wollen Lodwar, die größte Stadt der Region, ansteuern. Die Fahrt kann ungefähr vier Stunden dauern. Ob sie es rechtzeitig schaffen?
So sind die meisten Menschen in dieser Region noch immer jeden Tag damit beschäftigt, auch den nächsten Tag noch zu überleben. Jahrelang hat sich die Zentralregierung im fernen Nairobi kaum gekümmert um die Ränder ihres Staatsgebietes, diese Landstriche wurden weitgehend sich selbst überlassen. „Die katholische Kirche hat hier die Regierung ersetzt“, sagen manche, und tatsächlich gibt es in der Region Turkana zahllose Schulen, Krankenhäuser und Wasserbrunnen, die ohne den Einsatz der Kirchenleute nicht stehen würden.
„Wir versuchen, den Turkana zu helfen“, erklärt Denis Odongo, ein katholischer Priester, der in der Missionsstation von Nariokotome lebt. Gerade ist er unterwegs am nahen Ufer des Turkana-Sees. Er möchte sehen, wie es dort um die Landwirtschaft steht. Die Nomaden der Turkana halten seit Jahrtausenden Kühe und Ziegen und ziehen mit ihnen übers Land. Doch die zunehmende Trockenheit macht das Leben für Mensch und Tier immer schwieriger. „Sie brauchen Alternativen“, sagt Denis Odongo. Wenn es zum Beispiel eine künstliche Bewässerung gäbe, also Brunnen, Wasserleitungen und Bewässerungsanlagen, dann könnten sie vielleicht Ackerbau betreiben, Gemüse anbauen und so das Überleben sichern. Denn dieses Überleben kann ihnen die Tierhaltung alleine nicht mehr garantieren.Aber die Natur ist ein übermächtiger Gegner. Vor allem, wenn sie vom Menschen herausgefordert wird. Jahrelang haben Wissenschaftler prophezeit, dass der See austrocknen werde – zu wenig Regen, und zu viel Wasser, das anderswo durch Dämme und Staumauern abgezapft wird. Doch zur Zeit steigt der Wasserspiegel wieder, und kaum jemand weiß genau, warum. „Unsere Felder hier am See werden überflutet“, sagt Dismas Ekaru. Er ist ein Fischer am See, fängt mit seinen beiden Netzen Nilbarsche und Tilapia, die häufigsten Fische der Region. Aber die Erträge sind unzuverlässig und die Preise auf dem Markt schlecht. „Früher hatte ich sieben Netze, heute habe ich nur noch zwei.“
So ist die traditionelle Lebensweise der Turkana durch viele Einflüsse gefährdet, die auf die eine oder andere Art mit dem Wandel des Klimas und der Ausbeutung der Natur zu tun haben. Aber nicht nur das. Seit einiger Zeit schon dringt eine Art Moderne herein, die den Menschen zusätzliche Krisen beschert.
Hoffnung auf Profite
Wie ist das zum Beispiel mit dem Erdöl, das angeblich unter der Erdoberfläche schlummert? Zeitungen und Fernsehnachrichten berichten davon, dass „Tullow Oil“ dieses Öl fördern möchte und es große Reichtümer geben könnte. Ob etwas daraus wird? Zwar gibt es einige erste Erdölunternehmungen, doch so richtig sprudeln bisher weder Öl noch die daraus gewonnenen Gelder. Gleichwohl hat allein die Nachricht über das Öl ausgereicht, um unter benachbarten Gemeinden große Begehrlichkeiten zu wecken. Es häufen sich die bewaffneten Raubzüge verfeindeter Volksgruppen – Turkana gegen Pokot zum Beispiel. Wo es früher um den Diebstahl von Vieh oder Waffen ging, dreht sich heute vieles um Landbesitz. Gleichzeitig dringen Spekulanten herein, kaufen Ländereien auf, in der Hoffnung auf Profite durch einen Öl- und Bauboom.
Zugang zum Campus und zu hochwertiger Ausbildung – in einem Land voller Krisen besonders wichtig.
Es gilt also, gerüstet zu sein, wenn sich die Welt weiter in diesem Tempo wandelt. Junge Leute, die nicht abhängig sein wollen von Hilfsgütern aus dem Ausland oder der wankelmütigen Sozialpolitik ihrer Regierung, brauchen eine moderne Ausbildung. Dann können sie in der modernen Wirtschaft ihren Mann und ihre Frau stehen. Vielleicht als Agraringenieur, um die Landwirtschaft oder die Fischerei voranzutreiben. Oder als Technikerin in einer der Ölfirmen. Oder eben im Bereich der IT, Grafik, Werbung, Webdesign – so wie es auf dem Campus der „Learning Lions“ gelehrt wird. Dann gibt es hier auch eine Zukunft, eine Perspektive.
Christian Selbherr
Christian Selbherr ist Redakteur beim mission-magazin in München.
Jörg Böthling
Jörg Böthling begann 1985 als Seemann auf Fahrten nach Afrika und Asien zu fotografieren. Er studierte Fotografie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und arbeitet als Freelancer.