Es ist immer lohnenswert, wenn sich Politik und Zivilgesellschaft mit der Frage beschäftigen, in welcher Gesellschaft sie leben wollen. Deshalb ist die breite Debatte, ob der neue Bluttest zur vorgeburtlichen Untersuchung als Kassenleistung übernommen werden soll, wichtig. Aber sie tritt auf der Stelle und greift viel zu kurz. Denn im Kern geht es darum, wie wir mit Menschen mit Behinderung umgehen, mit alten und kranken Menschen und mit denen, die unseren eigenen Leistungsansprüchen vermeintlich nicht genügen.
Der Gemeinsame Bundesausschuss, das Gremium, das im August entscheiden wird, ob ein neuer vorgeburtlicher Bluttest bei einer Risikoschwangerschaft von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden soll, hat vor kurzem das Verfahren eröffnet. Der Deutsche Ethikrat, die Bundesärztekammer, die Gendiagnostik-Kommission und andere wissenschaftliche Fachgesellschaften sind nun aufgefordert, ihre Stellungnahmen einzureichen (siehe auch zeitzeichen 2 und 3/2019).
Dazu muss man wissen: Der Test, der seit 2012 zugelassen und auf dem Markt ist, kann Chromosomen-Veränderungen wie zum Beispiel die Trisomie des ungeborenen Kindes schon in einem frühen Stadium anzeigen. Bislang muss er von den werdenden Eltern selbst bezahlt werden. Ihn generell als Kassenleistung für alle zu übernehmen, wäre ein falsches gesellschaftliches Signal und ist auch nicht in dem Beschlussentwurf vorgesehen.
Bislang konnten sich Frauen, bei denen sich in der Schwangerschaft Auffälligkeiten zeigten, einer Amniozentese unterziehen, einer so genannten Fruchtwasseruntersuchung, die als Kassenleistung übernommen wird. Nicht ungefährlich, denn laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht dieser Eingriff mit einem Risiko von einem halben bis zwei Prozent einher, dass es zu einer Fehlgeburt kommt. Wenn Frauen mit Risikoschwangerschaften stattdessen auf den Bluttest zurückgreifen können, ist es ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, diesen Test von den gesetzlichen Krankenkassen zu finanzieren. Schließlich darf es nicht sein, dass der Geldbeutel des Paares entscheidet, ob die Schwangere auf die herkömmliche, mit Risiken behaftete Diagnostikmethode zurückgreifen muss oder nicht.
Rahmen und Grenzen dieses Tests müssen klar festgelegt sein. Denn er erweitert nicht die vorgeburtlichen Untersuchungen oder ist gar eine neue Screeningmaßnahme. Im besten Fall hilft er, die Anzahl der nicht ungefährlichen invasiven Diagnostik zu reduzieren.
Wichtig dabei: Es darf kein Druck auf werdende Eltern aufgebaut werden, sich einem Test zu unterziehen. Hier gilt das Recht auf Nichtwissen zu verankern. Gute ärztliche Beratung muss deshalb vor und nach dem Test stehen. Denn wenn sich Eltern für den Test entscheiden, müssen sie bestmöglich informiert sein, um eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können. Und auf die Kirchen kommt die Aufgabe zu, das Gewissen in diesen Fragen zu schärfen. Damit die Einzelne in evangelischer Freiheit von ihrem Gewissen her eine Entscheidung treffen kann. Und es braucht letztlich mehr Unterstützung für Kinder mit Behinderungen und deren Familien sowie eine breite gesellschaftliche Debatte, wie wir mit Krankheit und Schwäche umgehen wollen. Denn der Weg in eine inklusive Gesellschaft ist noch weit.
Kathrin Jütte
Kathrin Jütte
Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.