Eine bemerkenswerte Frau. Geboren 1889, der Vater, k.u.k.-Offizier, war da schon sechzig, die Mutter, Lehrerin, aber auch leidenschaftliche Gesellschaftsdame, fünfundvierzig. Das Kind kaum lebensfähig, halbseitig fast gelähmt, Verdacht auf Wasserkopf, der sich nicht bestätigte. Klein und zart blieb Alma M. Karlin ihr Lebtag. Zu ihrem Kummer schielte sie, die meisten Fotoporträts lassen das nur ahnen. Ihren Namen - Alma, das Seelchen - bekam sie, weil sie nur ein Seelchen zu bleiben schien; das M stand für Maximiliane, weil man auf einen Maximilian gehofft hatte. Mit acht verlor sie den geliebten Vater. Die Mutter trieb ihr mit Turnen und Orthopädie-Torturen die körperliche Schwäche aus und stärkte nebenbei ihren unbändigen Widerspruchsgeist.
Im slowenischen Städtchen Cilli, zur Donaumonarchie gehörend, war die Oberschicht deutschsprachig. Die Slowenen blieben die „immer gut behandelten“ Untertanen.
Alma wollte früh weg von zu Hause. Sie wusste, dass sie sich dann selbst ernähren musste, die Mutter wollte oder konnte sie nicht unterstützen. Endlich war sie in Paris, dann in London, wo sie im Büro eines Verlags arbeitete. Daneben gab und nahm sie Sprachunterricht. Denn Alma Karlin war ein Sprachengenie. Sie lernte neben ihrer Brotarbeit zehn - zehn! - Sprachen, Montag diese, Dienstag jene, und so weiter, und sie legte in jeder einzelnen dieser Sprachen binnen kürzester Zeit die schwierige englische Staatsprüfung mit Auszeichnung ab. Privat hungerte und fror sie in ihrem Zimmerchen. Als ihr das Dasein in England durch den Ersten Weltkrieg immer mehr verleidet wurde, wich sie nach Norwegen aus, dann nach Schweden, heiratete - aber nur beinahe! - das reiche Söhnchen eines chinesischen Mandarins, schrieb ihren ersten Roman Mein kleiner Chinese und brach endlich, nach dem Krieg, auf in die weite Welt, ohne Geld, immer in Not, eine veritable Hungerkünstlerin, nach Peru, Japan, Südamerika, die Südsee und immer weiter.
Darüber schrieb sie Bücher und wurde eine der erfolgreichsten Reiseschriftsteller der Zwanzigerjahre. 1931 vollendete sie die Autobiographie ihrer ersten dreißig Jahren - in poetischer, aber auch sarkastischer Sprache, in ihren Kommentaren nicht immer politisch korrekt nach heutigem Geschmack, manchmal wehleidig, aber nur im nicht immer stillen Kämmerlein. Ihr trockener Humor verband sich wunderbar mit der Fähigkeit, diskret und klar auszusprechen, was dem bürgerlichen Publikum immer noch heikel bis unsagbar galt. Aber siehe da, ihr deutscher Verlag, der an ihren Reisebüchern gut verdient hatte, lehnte die Veröffentlichung ab. Wer den kulturgeschichtlich wie individuell fesselnden Bericht liest, staunt, was man damals dem Publikum nicht zumuten zu können glaubte.
Zur Zeit des Naziregimes war Karlin wieder in Cilli. Kriegsgegnerin und Gegnerin allen Chauvinismus war sie von jeher; selbstverständlich, dass sie gegen das Nazigift immun war. Zweimal wurde sie inhaftiert - sie hatte auch Juden geholfen - , um das KZ kam sie herum. Nach dem Krieg durfte sie ihren neuen Staat, Jugoslawien, nicht verlassen, sie starb an Brustkrebs mit 61 Jahren, verarmt, wenn schon nicht ganz verlassen, denn seit Jahren lebte sie mit einer „Seelenfreundin“ zusammen. Nachdem Slowenien selbstständig wurde, entdeckte man sie dort wieder, ihre Bücher wurden aus dem Deutschen in die Landessprache übersetzt, in ihrer Heimatstadt, heute Cilje, steht gar ein Bronzedenkmal, eine kleine Frau im wehenden Mantel, den Koffer in der Hand, den Kopf zurückgewendet in ihre Heimatstadt. Die spannende Autobiographie ihrer ersten dreißig Jahre erschien nun zum ersten Mal in Deutschland. Alma M. Karlin sollte wenigstens als feministische Pionierin wiederentdeckt werden.
Helmut Kremers
Helmut Kremers
war bis 2014 Chefredakteur der "Zeitzeichen". Er lebt in Düsseldorf. Weitere Informationen unter www.helmut-kremers.de .