Umfassende Informationen notwendig
Die Vertreterinnen der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland haben sich ebenso wie zahlreiche Beraterinnen aus evangelischen Einrichtungen in den Sechziger- und Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts an der Debatte um den Pargraphen 218 engagiert beteiligt. Die derzeit stattfindende Diskussion um den Paragraph 219a scheint uns nicht geeignet, die Debatte um eine Streichung des Paragraphen 218 wieder neu zu eröffnen, wenngleich uns bewusst ist, dass beispielsweise die UN-Frauenrechtskonvention von Deutschland fordert, die Pflichtberatung und die festgelegte Frist für eine Entscheidung abzuschaffen. Andere europäische Länder haben dies bereits getan.
Zum einen geht es bei der Debatte um den Paragraph 219a darum, einen Paragraphen zu streichen, der eine schreckliche Vorgeschichte hat. Es handelt sich beim Paragraph 219a um eines der ersten Gesetzesvorhaben der Nationalsozialisten. Im Mai 1933 wurden alle Vorbereitungshandlungen zum Zweck der Abtreibung unter Strafe gestellt. Die Werbung für Abtreibungsmittel sowie die Hilfe beim Schwangerschaftsabbruch konnten mit Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren geahndet werden. Ziel war es, alles zu unterbinden, was „die Lebenskraft des deutschen Volkes“ beeinträchtigen könne. Jede und jeder, die oder der die Debatte nutzt, um eine Verschärfung des Paragraph 218 zu erreichen, sollte sich der Historie des Paragraph 219a bewusst sein.
Zum anderen - folgt man einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2006 - ist der Paragraph 219a verfassungswidrig. In dem Urteil heißt es: „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.“ Leider wurde es damals unterlassen, ein Normenkontrollverfahren in Folge dieses Urteils durchzuführen. Somit hatte der Paragraph 291a StGB, wie er im Schwangeren- und Familienhilfegesetz von 1992 überarbeitet wurde, weiterhin Bestand.
Hier setzt der Deutsche Juristinnenbund in einem Hintergrundpapier von Dezember 2017 an. Dort wird betont, eine sachliche Information von Ärztinnen und Ärzten, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, widerspreche dem Schutzkonzept des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes nicht. Vielmehr weist der Juristinnenbund darauf hin, dass die Kriminalisierung beziehungsweise Strafbarkeit einer sachlichen Information einen verfassungswidrigen Eingriff in die Berufsfreiheit aus Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz darstellt. Die Unterbindung unangemessener Werbung, die deutlich von einer sachlichen Information über das Portfolio ärztlicher Leistungen zu unterscheiden ist, ist bereits durch berufsrechtliche Regelungen für Ärztinnen und Ärzte gewährleistet. Der Deutsche Juristinnenbund fordert ebenso wie der Deutsche Ärztinnenbund die Abschaffung des Paragraphen 219a.
Im Konflikt
Ich unterstütze diese Forderung, weil der Paragraph der Realität in unserer Gesellschaft nicht entspricht. Welcher Arzt, welche Ärztin nimmt beispielsweise wegen eines „Vermögensvorteils“ - dies wird immer wieder unterstellt - einen Abbruch vor? Eine schwangere Frau hingegen, die sich in einer Konfliktsituation befindet, braucht zeitnahe, umfassende Informationen: juristische Informationen, Informationen über medizinische Methoden und Risiken eines Abbruchs, sowie über Kostenregelungen. Nicht zuletzt braucht sie psychosoziale Hinweise auf mögliche seelische Folgen ihrer Entscheidung und des Eingriffs. Beratungsstellen und Behörden dürfen Frauen informieren, welche Praxen legal Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, Ärztinnen und Ärzte nicht. Sie müssen schweigen, als täten sie etwas Verbotenes. Wenn Ärzte und Ärztinnen auf ihrer Homepage die für eine Frau und ihre Entscheidung notwendigen Informationen zur Verfügung stellen, dann fördern sie damit weder Schwangerschaftsabbrüche noch tragen sie zur Verharmlosung eines Abbruchs bei. Sie können vielmehr allein dafür bestraft werden, dass sie darüber informieren, dass sie etwas, das unter bestimmten Bedingungen legal ist, durchführen können und dazu bereit und dafür kompetent sind. Zudem wird durch die Regelung des Paragrafen 219a das Selbstbestimmungsrecht und Recht der Patientinnen auf freie Arztwahl in unzulässiger Weise eingeschränkt. Eine selbstständige und eine von Beratungsstellen unabhängige oder die Beratungsstellen ergänzende und vertiefende Information ist nicht möglich.
Der Paragraph 219a wird immer wieder von Abtreibungsgegnern dazu missbraucht, Ärztinnen und Ärzte einzuschüchtern und sie zu kriminalisieren und anzuzeigen. Wer Schwangerschaftsabbrüche verhindern will, sollte sich für intensive Informationsmöglichkeiten über Verhütung einsetzen, eine bessere und sachgerechtere Verteilung familienbezogener Leistungen, eine gesellschaftliche und finanzielle Besserstellung Alleinerziehender.
Im Übrigen ist die Zahl der Abbrüche in Deutschland zurückgegangen - gerade auch Dank der unterschiedlichen Angebote zur Information.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hat sich im Deutschen Ärzteblatt folgendermaßen geäußert: „Aus meiner Sicht haben Frauen in Notlagen ein Recht darauf zu erfahren, welche Ärztin, welcher Arzt ihnen helfen kann.“ Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
Susanne Kahl-Passoth
Susanne Kahl-Passoth
Susanne Kahl-Passoth ist Vorsitzende des Präsidiums der Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD). Die Pfarrerin und Kirchenrätin i.R. war von 2014 bis 2021 stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrats. Von 2002 bis 2013 war sie Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Seit 2015 ist sie beim Frauentag Sonderbeauftragte des Vorstands für das Politikfeld Prostitution.