Christmas Countdown

Punktum

Früher war nicht alles besser, aber manches einfacher. Zum Beispiel die Sache mit den Adventskalendern. Es gab die mit Bildern oder die mit Schokolade und manchmal, aber ziemlich selten, die selbstgemachten mit den kleinen Überraschungen. Allen gleich war aber, dass sie ausschließlich für Kinder gedacht waren. Heute ist das anders, denn schließlich haben wir gelernt, dass sich auch Erwachsene um ihr inneres Kind zu kümmern haben. Es gibt Adventskalender für Männer (mit Craft-Bier, Werkzeug oder Modellautos), für Frauen (Kosmetika aller Art) dann noch für die Körper beider Geschlechter (Müsli, Tee, Sexspielzeug) und die für die Besinnung des Geistes mit klugen Sprüchen weiser Menschen (Jesus, Gandhi, Anselm Grün). Queere Kalender habe ich noch nicht gesehen, aber das liegt wahrscheinlich an meiner unzureichend gegenderten Wahrnehmung. Entdeckt habe ich aber schon Kalender mit Leckerlis für Hunde oder Katzen. Damit auch das Haustier so richtig in Vorfreude gerät und rechtzeitig den Wunschzettel für den Heiligen Abend schreibt.

Natürlich ist auch das Angebot für Kinder unendlich breit geworden - und damit auch die Ansprüche. Die mit Schokolade gehen immer, aber es sollte dann doch mindestens die gute aus der Schweiz sein. Oder doch lieber die Playmobil-Krippe in 24 Teilen? Ein Zauberkasten mit täglichen Tricks für die magische Vorweihnachtszeit? Oder der mit den Pixibüchern? Mit Plastik-Fantasy-Pferden? Alles nicht so pädagogisch wertvoll wie ein selbstgemachter, für die es unzählige Anregungen im Netz gibt und die selbst den durch Ikea-Bauanleitungen gestählten Vater an den Rand des Wahnsinns bringen. Aber man muss ja schließlich sehen, dass es selbst gemacht ist.

Der Trend zur Diversifizierung, Infantilisierung und fortschreitenden Kommerzialisierung des Christmas Countdowns dürfte noch lange nicht beendet sein, deshalb ein paar Vorschläge: Der Adventskalender für Nostalgiker mit den 24 schönsten Dieselmotoren, das Model für die Bahnfahrer mit den 24 größten Verspätungen des Jahres. Billigflieger dürfen sich über 24 Zitate vom Ryanair-Chef freuen, Weihnachtshasser über 24 Sterne, Kerzen und Minibäume zum lustvollen Zerstören.

Und dann noch ein paar Modelle für die politisch Interessierten: Für Grünen-Anhänger jeden Tag ein Zitat vom heiligen Habeck, für die Wähler der Unionsparteien Steckbriefe von 24 möglichen KanzlerkandidatInnen. Die Genossen und Genossinnen bekommen demnächst einen mit sepiafarbenen Bildern der früheren Parteivorsitzenden - die dafür nötigen 24 haben wir bald zusammen. Für die Liberalen reicht ein Starschnitt von Christian Lindner. Für die Linken fällt mir gerade nichts ein, feiern die überhaupt Weihnachten? Oh je, und da wäre da noch die AfD. Hmm - wie wäre es mit: „Die 24 größten Vogelschisse der deutschen Geschichte“?

Stephan Kosch

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