pro und contra

Trauung von Schwulen und Lesben?
Foto: privat
Ab 1. Oktober dürfen in Deutschland schwule und lesbische Paare heiraten. Damit stellt sich die Frage, ob die Kirchen sie trauen sollen. Dafür ist Christian Stäblein. Als Propst vertritt er den Bischof der Evangelischen Kirche Berlin- Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Und er ist theologischer Leiter des Konsistoriums.

Kirchlicher Auftrag

Die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare stärkt die christliche Ehe

Bevor die Evangelische Kirche Berlin- Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) vor gut eineinhalb Jahren Traugottesdienste für eingetragene Lebenspartnerschaften eingeführt hat, gab es einen ausführlichen Konsultationsprozess auf allen Ebenen der Landeskirche. Dabei zeigten sich sehr unterschiedliche Einschätzungen, nicht nur in der inhaltlichen Bewertung, sondern auch in der Bewertung des Vorgangs. Für die einen schien es eher ein kleiner, in der Logik des bisherigen Handelns – seit vielen Jahren war die mögliche Segnung gleichgeschlechtlicher Paare Praxis in der EKBO – konsequenter nächster Schritt (nun eben der Traugottesdienst), die große Aufregung darum also eher unverständlich. Manche andere empfanden die Ausweitung des Begriffs Traugottesdienst dagegen als einen viel zu großen Schritt in eine als ohnehin falsch empfundene Richtung.

Dass die Landessynode das Gesetz zur Einführung der Traugottesdienste schließlich mit großer Mehrheit verabschiedet hat, war auch das Ergebnis dieses Diskussionsprozesses. Denn es wurde nicht nur viel über die Achtung des Anderen geredet, sondern diese ein Stück eingeübt. So kam es schließlich zu dem Kompromiss, dass das Gesetz einen persönlichen (Gewissens-)Vorbehalt ebenso vorsieht wie die Evaluation der Inanspruchnahme dieser Regelung nach einigen Jahren. Den theologischen Begründungen für den Traugottesdienst eingetragener Lebenspartnerschaften (zukünftig auch staatlicherseits: „Ehe“) sei also die gut evangelische Empfehlung vorangestellt: „Debatte für alle!“

Theologisch unterscheide ich die Ebenen der Begründung: Weder die alttestamentlichen, noch die neutestamentlichen Aussagen, insbesondere auch nicht die des Paulus, haben jene Form freier, gleichberechtigter, auf Dauer angelegter Homosexualität vor Augen gehabt, um die es heute geht, sie können es auch gar nicht. Praktisch ausnahmslos stehen hinter der biblischen Verurteilung homosexueller Praxis konkrete Vorstellungen sexualisierter Gewalt zur Demütigung anderer. Und diese verurteilen wir mit jenen Bibelstellen bis heute scharf! Was bei der Auslegung der Bibel aber immer zu beachten ist, gilt auch hier: Es geht darum, den tieferen Sinn der biblischen Aussagen freizulegen und ihn in angemessener Weise für heute zu entfalten und zu übertragen.

Notwendig ist schließlich auch eine Sachkritik einzelner Bibelstellen und deren Gewichtung. Maßstab ist dabei allein die Mitte der Schrift. Diese ist die Liebe des vergebenden und menschenfreundlichen Gottes in Jesus Christus, mit Luther: das „was Christum treibet“. Reformatorische Schriftauslegung hat diesen Maßstab gegenüber ordnungstheologischen Verfestigungen und Isolierungen kulturell zeitverhafteter Lebensformen kritisch in Anschlag zu bringen.

Unter dieser Voraussetzung sind sowohl die Eheformen biblischer Zeit als auch aktuelle Lebensformen kritisch wahrzunehmen. Die leitende Frage ist dabei immer: Was ist christusgemäß? Das Eheverständnis hat sich seit biblischer Zeit sehr gewandelt, nicht jedes Eheverständnis der Geschichte ist „unser“ Eheverständnis. Das heutige Modell etwa, in dem „romantische Liebe“ konstitutiv mitgedacht wird, rührt aus dem 18./19. Jahrhundert. Davor war die Ehe eher in Ausnahmen ein Institut freier oder freiwilliger Entscheidungen einzelner Personen.

Der kritisch-hermeneutische Blick in Exegese und historische Entwicklungen führt in den Debatten nicht selten zu dem Einwand, damit sei alles dem Wandel und dem Zeitgeist anheimgestellt. Aber ja: vom Zeitgeist ist keiner frei, nicht der, der bewahren, und nicht der, der verändern möchte. Auf der einen Seite steht die Überzeugung: Das Zentrum christlichen Eheverständnisses bildet eine freie, lebenslang angelegte Partnerschaft, die in gegenseitiger Verantwortung und Treue aus der Vergebung Christi lebt. Auf der anderen Seite wird geltend gemacht, erst die aus der Möglichkeit von gemeinsamen leiblichen Kindern erwachsene, lebenslange Bindung könne jene Hingabe einüben und ausdrücken, die im christlichen Verständnis von Ehe grundgelegt ist. So überzeugend diese Begründung von der (potenziellen) Fortpflanzungsfähigkeit auf den ersten Blick wirkt, hier wird die Segnung eines Paares weniger kreuzestheologisch verankert, als „ordnungstheologisch“ verortet. Und genau dies scheint mir der Kern der Ablehnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften bis hin zur Forderung eines „Abstandsgebots“ zwischen eingetragenen Lebenspartnerschaften und Ehen zu sein. Letztlich wird so die Geschöpflichkeit gleichgeschlechtlicher Paare abgewertet, weil sie auf eine bestimmte natürliche Möglichkeit beziehungsweise Unmöglichkeit reduziert wird. Diese faktische Diskriminierung lässt sich meines Erachtens weder mit dem Evangelium noch dem Auftrag kirchlichen Handelns verbinden. Die Einführung von Traugottesdiensten eingetragener Lebenspartnerschaften ist nicht ein freundlich herablassendes Zugeständnis an eine Minderheit, sondern vielmehr Konsequenz des kirchlichen Auftrags, stark zu machen, was Christum treibet.

Bleibt neben der Ebene der theologischen Auslegung noch die kirchenpolitische Frage: Kann eine solche Veränderung, die einerseits nicht zum Bekenntnisfall taugt, andererseits bei vielen Menschen das Grundverständnis der Schrift berührt, mit Mehrheit beschlossen werden? Wäre es nicht angemessen, auf einen Konsens zu setzen? Bei dieser Frage kommt es nun wieder auf die oben angesprochene Einordnungsdifferenz an: Geht es um eine fundamentale Neuerung in der Kirche oder um eine selbstverständliche Erneuerung des Fundaments? Reformatorisch gehört beides zusammen! Ich halte den Weg für angeraten, der eine Debatte eröffnet, die Kontroverse sucht und dann in der Synode Entscheidungen herbeiführt, die auf möglichst breiter Basis getroffen werden. So sind wir in der EKBO zu folgendem Beschluss gekommen: Der Traugottesdienst für eingetragene Lebenspartnerschaften/gleichgeschlechtliche Ehen ist kirchlicher Auftrag und kirchengesetzliche Regel, begründete Gewissensentscheidungen von Gemeinden sowie von Amtsträgerinnen und Amtsträgern werden zugleich respektiert und machen Ausnahmen von dieser Regel möglich.

Am Ende leidenschaftlicher Debatten habe ich in der EKBO erlebt, wie vor allem eine Frage immer wieder nachdenklich gestimmt und Offenheit befördert hat: „Wie würden Sie denken, wenn es bei der Frage einer konkreten kirchlichen Trauung einer gleichgeschlechtlichen Ehe um Ihre eigene Familie ginge?“ Schließlich: Der Traugottesdienst für gleichgeschlechtliche Paare stärkt das biblisch begründete Leitbild der christlichen Ehe. Und um das geht es uns: um ein Leben zweier Menschen, die sich gegenseitig tragen und füreinander da sind und so die unverdienten Vergebung und Liebe Jesu Christi zu uns deutlich machen.

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Christian Stäblein

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