Nun ist das Reformationsjubiläumsjahr vorbei. Eine lange Dekade haben wir uns darauf vorbereitet. Dann über ein ganzes Jahr hinweg: feiern, gedenken, diskutieren. Singen und beten. Veranstalten, ausstellen, schauen, staunen. Menschen begegnen, ihnen zuhören und selbst erzählen. Begeistern und begeistert sein. Auch manche Enttäuschung erfahren. Gelegentlich Missverständnisse entdecken. Schön war’s. Nicht alles, aber das meiste.
Im ökumenischen Miteinander ist Vertrauen gewachsen - in die Tiefe gewachsen und von gegenseitiger echter Wertschätzung getragen. Trennendes wurde ausgesprochen und dabei weder bagatellisiert noch skandalisiert. Wie stärkend für unseren gemeinsamen Auftrag, dass das Verbindende im Vordergrund, der Verbindende in der Mitte stehen kann.
Auch das Miteinander der Kirchen der Reformation ist gestärkt, aus der „Lutherdekade“ wurde über die Jahre im innerprotestantischen Sprachgebrauch ein „Reformationsjubiläum“. Wie gut, dass die Reformation auch in den Niederlanden, in Neuseeland, in Namibia und an vielen anderen Orten gefeiert wurde: Ja, die Reformation ist Weltbürgerin geworden. Ein wichtiges Signal in herausfordernder Zeit: In Christus ist nicht Ost noch West, in ihm nicht Süd noch Nord. Ein alternatives world wide web verbindet uns. Das ist in einer auf das Ökonomische fokussierten Globalisierung ein alternatives Netz für Gerechtigkeit.
Auch unsere Gemeinden sind gestärkt. In Mitteldeutschland haben wir überraschend neue Erfahrungen gemacht und neue Perspektive gewonnen. Insbesondere über das Format „umsonst und draußen“: Wenn wir die Mauern von Kirchengebäuden und Gemeindehäusern verlassen und auf Straßen und Plätze hinausgehen, dort an gedeckte Tische einladen, ohne weiteres Programm - dann kommen überraschend viele Menschen. Und es entspinnen sich Gespräche über Grundfragen des Alltags und des Lebens. Jeder und jede ist Experte. Wo wir öffentlich einladen und uns mit anderen Gestaltern der Zivilgesellschaft zusammentun, wo wir gemeinsam feiern, wo wir Glaubensthemen aus der Öffentlichkeit aufnehmen, ist die Gefahr gebannt, den Blick allein auf dem Fortbestand und die Bedeutsamkeit von Kirche zu verengen. Wer in die Augen des Bruders, der Schwester schaut, weiß, was zu tun ist. Hier finden wir Auftragsklarheit. Und neue Horizonte für unsere Abendmahlspraxis.
Hinausgehen heißt auch, sich auf offene Prozesse einlassen, nicht planen können, was passieren wird. Wir erleben gerade, wie sehr viele in unserer Gesellschaft, auch in den Gemeinden, davon verunsichert sind. Wohin geht unser Weg? Werden Grenzen zu weit überschritten, wird der regressive Ruf nach den vermeintlichen Fleischtöpfen früherer Zeit laut. Wie sieht unser Beitrag zu Gemeinschaft und Beheimatung aus, wohl wissend, dass unsere Heimat im Himmel ist? Wort und Sakrament sind Halte- und Ruhepunkte auf dem Weg, die Vertrauen stärken, ja, auch öffentlich auf Plätzen und Straßen.
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Ilse Junkermann ist Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKMD) und Herausgeberin von zeitzeichen.
Ilse Junkermann
Ilse Junkermann
Ilse Junkermann ist Landesbischöfin a.D. und Leiterin der Forschungsstelle „Kirchliche Praxis in der DDR. Kirche (sein) in Diktatur und Minderheit“ an der Universität Leipzig.