Unvergessene Kiwis

The Jean-Paul Sartre Experience
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Ein starker Indiepop-Gewinn, der sich mühelos auch gut dreißig Jahre nach dem ersten Erscheinen behauptet.

Prüfet alles, das Gute behaltet“, riet Paulus den Thessalonikern. Durchforstet die Archive und macht soviel Holz wie möglich, wurde bei den Musikfirmen daraus. Was mitunter schön wärmt, wenn etwa aus Bob Dylans sicher noch postmortal erscheinenden „Bootleg Series“ Neues von damals in die Hörkamine gelangt und wir behaglich stochern. Jüngst gab es Volume 12.

Von Amy Winehouse, die zu Lebzeiten nur zwei Alben vorlegte, gab es gar eine Acht-LP-„Collection“, wozu der Spiegel rhetorisch fragte: „Gibt es noch verlorene Schätze?“ Beide wurden zur Vorweihnachtszeit vorgelegt – und das nächste derartige Megaverkaufsfenster droht bald.

„I like Rain – The Story of The Jean-Paul Sartre Experience“ kam frei von derlei Kalkül heraus. Allerfeinstes der ersten so genannten „Kiwi-Popwelle“ aus den mittleren Achtzigerjahren, als das neuseeländische Label „Flying Nun Records“ mit Bands wie „The Chills“ oder „Straitjacket Fits“ und der berühmten „Tuatara“-Compilation Furore machte. Und eben mit „The Jean-Paul Sartre Experience“, das leider vor dem weltweiten Durchstarten schnöden Geldproblemen des Labels zum Opfer fiel.

Egal. Nun liegt alles von ihnen als „The Story of The Jean-Paul Sartre Experience“ auf drei CDs vor: Ein Genuss denen, die sie damals kannten, und den Nachgeborenen ein starker Indiepop-Gewinn, der sich mühelos auch gut dreißig Jahre später behauptet. Eine Band von vier jungen Männern, wie so oft. Nach der Schule Gelegenheitsjobs, Stütze, Gras und zuvor schon Inspiration durch Sartre, dessen La Nausée/Der Ekel mit seiner ausgewälzten Zufällig- und Sinnlosigkeit der Existenz den kreativen Ausbruch so gar nicht dämpfen konnte, im Gegenteil. Dave Yetton (Bass), Dave Mulcahy (Gitarre), Jim Laing (Gitarre) und Gary Sullivan (Drums) waren mit Punk aufgewachsen, überraschten jedoch mit angenehm warmem Kiwi-Pop. Ihre frühen Songs glänzen smart mit einem elegischen Minimalismus. Sehr entspannt, folky, sommerlich-melancholisch und doch fröhlich. Erste Demo-Kassetten verschickten die Jungs aus Christchurch in leeren Hundefutterdosen an Campusradios. Dann der Flying Nun-Vertrag und das erste wunderschöne Album „Love Songs“.

Dunkler, kühler, auch kräftiger und vom Gestus her stärker Artrock-beeinflusst war der Nachfolger „The Size of Food“ mit starkem Songwriting und selbstbewusster Soundarbeit. Wohl ihr Meisterwerk, doch der Erscheinungstermin zog sich wegen der Label-Probleme hin. Als es erschien, hatten sie das Material für „Bleeding Star“ schon zusammen, ihr letztes Album. Wieder mit packenden Melodien, aber krachiger als alles zuvor. Kurz darauf war Schluss. „I like Rain“ erzählt die ganze Geschichte, mit allen Singles und Demos. Licht, das uns Jahre nach ihrem Verlöschen erreicht. Zum Glück. Denn das Gute behalten wir.

I Like Rain. The Story of The Jean-Paul Sartre Experience (Fire Records/Cargo 2015), Euro 24,99

Udo Feist

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