Unsere Sprache ist eine lebendige Angelegenheit. Sie verändert sich unablässig. Immer wieder tauchen neue Begriffe und Wendungen auf, die dann unversehens für eine bestimmte Zeit in aller Munde sind, bis ihre Konjunktur wieder vorbei ist. Diese Lebendigkeit der Sprache ließe sich auch an den "Unworten des Jahres" und ihrer öffentlichen Inauguration zeigen. Zudem werden um der Verständlichkeit willen abgenutzt erscheinende Wendungen durch neue Formulierungen ersetzt. Bisweilen tauchen neue Sprachregelungen auf, ohne dass nachvollziehbar ist, welche bisherige Konvention mit ihnen beerbt werden soll und wofür sie dann tatsächlich stehen. Eine solche Karriere hat in den Kirchen die inzwischen allseits zu vernehmende Rede vom "gelingenden Leben" gemacht.
Offen gestanden musste ich ziemlich stutzen, als ich die Wendung in einer Predigt das erste Mal vernommen habe. "Gott will, dass unser Leben gelingt." Es klingt so überaus plausibel, und doch verspürte ich spontan ein grundsätzliches Unbehagen. Es hatte den Anschein, als sollte diese Formel den ganzen Inhalt des christlichen Glaubens auf einen eingängigen Begriff bringen. Doch bei genauerem Hinhören erweist sie sich als unbeholfen und missverständlich. Es wird eine semantische Gemengelage suggeriert, in der unsere Lebensanstrengungen im Blick auf ihren Erfolg irgendwie mit dem Geheimnis Gottes verwoben werden. Es ist wohl das 'irgendwie', das diesen faden Geschmack hinterlässt.
Mir jedenfalls drängen sich folgende Fragen auf: Was würde eine Person damit sagen wollen, die ihr Leben als gelungen betrachtet, und wie kommt der Wille Gottes dabei ins Spiel? Was wäre ein nicht gelungenes Leben und wie verhält sich der Wille Gottes zu diesem nicht gelungenen Leben? Von wo aus wird eigentlich das Gelingen thematisiert und was ist der kritische Punkt, an dem sich das Gelingen vom Nicht-Gelingen unterscheidet? Ist Gott der Erfüllungsgehilfe für unsere Lebensoptionen? Ist das verheißene Reich Gottes die Versammlung all der Menschen, die ihr Leben als gelungen bezeichnen können? Ob Abraham und Mose, Jeremia oder Hiob, Paulus oder Petrus darauf gekommen wären zu sagen, dass ihr Leben gelungen sei? Wenn wir die Barmherzigkeit Gottes auf uns beziehen können, ist dann unser Leben gelungen - aber was würde das tatsächlich besagen? Wird der Begriff des Gelingens nicht immer diffuser und subjektiver, je mehr versucht wird, seiner Aussage auf die Spur zu kommen? Soll hier etwa eine neue Sprachregelung für die Rechtfertigung des Menschen gefunden werden? Ist da nicht selbst der problematische Ersetzungsversuch der Rechtfertigungsfrage durch die "Sinnfrage" noch deutlich belastbarer gewesen?
Gewiss kann nicht jede Formulierung auf die Goldwaage gelegt werden. Aber wenn eine Wendung so ins Zentrum der christlichen Verkündigung gerückt wird, sollte sie doch ein wenig treffsicherer und tragfähiger sein als die vom "gelingenden Leben". Nur zu gern halte ich mich offen für eine plausible theologische Verteidigung dieser Wendung, aber bis dahin werde ich wohl den Eindruck nicht abschütteln können, dass es sich hier doch eher um ein theologisches "Unwort" handelt.
Michael Weinrich ist Theologie-professor em. in Bochum und Herausgeber von zeitzeichen
Michael Weinrich
Michael Weinrich
Michel Weinrich ist Professor em. für Systematische Theologie in Bochum und Herausgeber von Zeitzeichen.