Zurück zu den Chancen

Ein Plädoyer für einen anderen Umgang mit Russland
Foto: privat
Die vorherrschende Einseitigkeit im Urteil der westlichen Welt ist weniger als die halbe Wahrheit.

Dass im Zuge der westlichen Strafmaßnahmen gegen Russlands Präsident Wladimir Putin im Schloss Elmau ein G7-, nicht ein G8-Gipfel zusammentrat, war ein gravierender politischer Fehler. Angesichts dramatischer Krisen in der Welt, ob in der Ukraine oder im Nahen Osten, die nicht ohne und schon gar nicht gegen Russland zu lösen sind, ist es absurd, sich Lösungen vom Reden über Putin zu erwarten, wo allein Reden mit Putin die Chance zu Lösungen in sich hätte.

Schwarz-Weiß-Maler haben selten Recht. Auch bei der Krise um die Ukraine, die in besonderer Weise das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland belastet, gilt diese Erfahrung. Die vorherrschende Einseitigkeit im Urteil der westlichen Welt ist weniger als die halbe Wahrheit. Russland und seinem Präsidenten die Alleinschuld an einer Entwicklung zu geben, welche die Erinnerungen an den Kalten Krieg wieder aufleben lässt, ist bequem und schließt die Reihen. Mit der politischen Wirklichkeit hat diese Sicht der Dinge nur wenig zu tun.

Es kann nicht darum gehen, der Anti-Putin-Einseitigkeit eine Pro-Putin-Einseitigkeit entgegenzustellen. Putin ist weit davon entfernt, der "lupenreine Demokrat" zu sein, als den ihn seine - wenigen - Freunde im Westen sehen.

Zusammenbruch des Vertrauens

Das politische und militärische Geschehen um die Ukraine kann nur verstanden und in seiner Gefährlichkeit überwunden werden, wenn sich der Westen bemüht, auch die andere, die russische Seite zu begreifen. Der Ur-Fehler, der von Europa und Amerika begangen wurde, war verhängnisvoll. Das sowjetische Imperium brach zusammen, als es zur historischen Wende in Europa kam. Deutschlands Weg zur Wiedervereinigung wurde geöffnet. Der Warschauer Pakt, das Militärbündnis des ehemaligen Ostblocks, löste sich auf. Die historische Gelegenheit, eine neue und große Partnerschaft zwischen West und Ost aufzubauen, in Gleichrangigkeit und auf Augenhöhe, wurde versäumt. Wir haben gesiegt, und wir allein entscheiden, wie es in Zukunft zwischen Ost und West weitergehen soll - so wurde vor allem in Washington gedacht. Und so wurde gehandelt.

Gegen den Geist und den Inhalt der Gespräche, die in der Zeit der Wende mit Michail Gorbatschow geführt wurden, wurde die Chance zum Bau einer neuen Welt weder gesehen noch ergriffen. Unter amerikanischer Dominanz ging es weiter wie bisher. Während Russland davon ausgehen konnte, dass das Zeitalter eines neuen Miteinanders gekommen sei, setzte sich die westliche Politik in altem Denken und auf eingefahrenen Gleisen fort. Moskau war auf Grund vieler Gespräche der sicheren Überzeugung, dass es in einer neuen Periode west-östlicher Politik keine Ausdehnung der NATO geben werde. Amerika entschied anders, Europa folgte. Diese Ausweitung der NATO musste von Russland als bedrohliche Einkreisung gewertet werden. Und das ist nicht nur die Sicht Putins. Gorbatschow, dessen mutige Entscheidung Europa und Deutschland die Überwindung einer jahrzehntelangen Spaltung gebracht hat, ist nicht weniger enttäuscht und spricht von einem "Zusammenbruch des Vertrauens".

Über Jahre nahm es Moskau geduldig hin, wie Staaten des längst aufgelösten Warschauer Paktes in die NATO wechselten. Zuviel musste es ihm werden, als sich auch noch die große Ukraine mit Hurrageschrei zum Marsch in die NATO aufmachte und in dieser Absicht durch vielfältige Verlockungen und Versprechungen von westlicher Seite bestärkt wurde. Um sich das Bild einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine in seinem ganzen für Russland unerträglichen Ausmaß vor Augen zu führen: Auf der Krim, als ein Herzstück russischer Geschichte und Haupthafen der Schwarzmeerflotte für Russland unaufgebbar, führt ein amerikanischer NATO-Admiral das Oberkommando: Wer im Westen nicht sehen und begreifen will, dass eine solche Perspektive für Moskau nicht hinnehmbar sein kann, ist mit Blindheit geschlagen.

Horizont verdunkelt

Als am 30. August 1994 die letzten russischen Truppen Deutschland verließen und Tausende von Soldaten zu einer Abschiedsparade im Treptower Park in Berlin angetreten waren, sangen sie ein Lied, das allen, die damals dabei waren, tief im Gedächtnis geblieben ist. "Deutschland, wir reichen dir die Hand", hieß es darin und "wir bleiben Freunde allezeit". Der neue Horizont, der sich damals zwischen Europa und Russland und zwischen Deutschland und Russland leuchtend und greifbar auftat, ist 20 Jahre später in gefährliches Dunkel gehüllt. Zur notwendigen Aufhellung und zur Sicherung des Friedens bedarf es auch im Westen einer Änderung der Politik gegenüber Russland: Weg von einer antirussischen Einseitigkeit und zurück zu den Chancen und Möglichkeiten, die es in der Zeit der Wende in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts gab.

Wilfried Scharnagl ist Publizist und war bis 2001 Chefredakteur der CSU-Parteizeitung "Bayernkurier". Im Mai erschien im Keyser Verlag sein aktuelles Buch "Am Abgrund - Streitschrift für einen anderen Umgang mit Russland."

Wilfried Scharnagl

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