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Über die Siebenbürger Sachsen
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Ein Buch, das einmal mehr die besondere Anfälligkeit einer auf sich selbst bezogenen Volksgruppe gegenüber Machtversprechungen zeigt.

Sperrig ist dieser Roman, gelegentlich sogar eher thesenhaft vortragend als tatsächlich gestaltend. Trotzdem gibt er ein dichtes Bild der siebenbürgischen Gesellschaft im Januar 1941. Diese siebenbürgische Gesellschaft ist der eigentliche Protagonist des Romans. Zwar gibt es einzelne besonders hervorgehobene Figuren wie Maria, die zu Schnäppchenpreisen das Eigentum geflohener Juden kauft, wie die Geschichtenerzählerin und Chronistin Leontine Philippi und den Arzt Franz Herfurth, der sich von den einmarschierten Deutschen, den "Erneuerern", eine Modernisierung der traditionellen siebenbürgischen Lebensweise erhofft. Aber sie sind keine "Hauptpersonen" in dem Sinne, dass sie die Handlung voranbrächten. Jahrhunderte lang hatten sich die Siebenbürger Sachsen von ihren rumänischen und ungarischen Nachbarn abgeschottet, machten, wie es Leontine ausdrückt, den Erhalt ihrer "eigentümlichen Sachsenwelt zum Daseinszweck".

Da die Sprache Ursula Ackrills, die 1974 im rumänischen Brasov/Kronstadt geborene wurde, häufig Anklänge an die antiquierte Ausdrucksweise der Siebenbürger Sachsen enthält, bekommt der Leser einen Eindruck davon. 1918 war Siebenbürgen zu Rumänien gekommen und fürchtete um seine Privilegien. Als in Deutschland der Faschismus mächtig wurde, hofften viele Siebenbürger, ihre Stellung innerhalb Rumäniens würde sich verbessern. Wie in den meisten besetzten Ländern stießen die Nazis in Rumänien bei der Judenverfolgung auf wenig Widerspruch. Im Roman ist es einzig Leontine, die Antisemitismus und Judenverfolgung ablehnt. Argumenten über angebliche wirtschaftliche Vorteile, die durch die Vertreibung der Juden entstünden, hält sie entgegen: "Ob die Entmachtung einer Volksgruppe denn nicht ein Verbrechen an sich ist, gleichgültig wie rentabel oder ungünstig sie sich auf die anderen auswirkt?" Und sie stellt die alles entscheidende Frage: "Soll es mich denn etwa beschwichtigen, dass ich gegen Übergriffe der Regierung nicht protestieren kann, ohne meine Freiheit zu riskieren?"

Mit dieser Haltung steht Leontine zunehmend allein, ist sie Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt. Am 22. Januar 1941 verlässt sie in einem Viehwaggon ihre Heimat, gemeinsam mit für die Waffen-SS rekrutierten "neunzehnjährigen Halunken".

Weshalb dieses Buch trotz der Schwächen, vor allem bei der gelegentlich zu flächigen Personenzeichnung, große Aufmerksamkeit verdient: Das Buch zeigt einmal mehr die besondere Anfälligkeit einer auf sich selbst bezogenen Volksgruppe gegenüber Machtversprechungen. Der fast sprichwörtliche Fleiß und das Streben nach sozialem Ausgleich innerhalb der Siebenbürger Dörfer und Städte werden nicht geleugnet und nicht denunziert. Aber die Autorin zeigt deutlich, und in Leontines Reden erscheint es fast zwingend, dass eine Gemeinschaft, deren Streben mehr auf Bewahren als auf Entwicklung geht, lebensuntauglich wird.

Zum anderen verdient die Komposition Bewunderung, denn um die Ereignisse vom Januar 1941 in der siebenbürgischen Kleinstadt Zeiden, vor allem die Judenverfolgung, in einen größeren Zusammenhang zu stellen, geht die Autorin bis ins 19. Jahrhundert zurück. In kurzen und längeren Texten werden genau datierte Ereignisse erzählt, nicht chronologisch, sondern so, wie sie inhaltlich zu einzelnen Ereignissen in den Jahren 1940 und 1941 gehören.

Ursula Ackrill: Zeiden, im Januar. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2015, 253 Seiten, Euro 19,90.

Jürgen Israel

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