Wöchentliche Nagelprobe

Das Wort zum Sonntag wird 60 und bleibt eine Mühsal für seine Macher
Warum braucht Gott einen Sendeplatz im TV? Foto: epd/Stephan Born
Warum braucht Gott einen Sendeplatz im TV? Foto: epd/Stephan Born
Ganz am Anfang war das Wort, weiß die Bibel. Das "Wort zum Sonntag" ist erst 60 Jahre alt, damit aber die zweitälteste Sendung im Deutschen Fernsehen. Ist sie noch zeitgemäß? Nachdem der TV-Kritiker Arno Frank im vergangenen Monat die Abschaffung forderte, blickt nun Johanna Haberer, Professorin für christliche Publizistik und selber vier Jahre lang Sprecherin des "Worts zum Sonntag" auf das Jubiläum.

Es war wieder eine würdige Feier, wie vor zehn Jahren, dem fünfzigsten. Eskortiert von den höchsten Repräsentanten der Kirchen und Rundfunkanstalten der ard wurde bereits im Januar die 60-jährige Geschichte des "Wort zum Sonntag" zelebriert: angefangen vom berühmten Kabelbruch, der die Premiere am 1. Mai 1954 verhinderte, bis hin zum Jubiläums-Wort von Annette Behnken, die darüber räsonierte, warum Gott im TV-Programm einen Sendeplatz braucht - direkt vor dem Boxen.

Ziemlich viele grauhaarige ältere Herren und Damen waren gekommen, die ehemaligen Sprecher und Rundfunkbeauftragten und mitten unter ihnen die aktuelle Truppe der Sprecherinnen und Sprecher, bei denen es vor allem die Frauen rein optisch mit jeder Anchorlady des deutschen Fernsehens aufnehmen können.

Zusätzlich wurde ein religiöses Jugendformat mit dem Titel "Freisprecher" für das digitale Programm Einsplus entwickelt und auch der Trailer des Wortes zum Sonntag ist optisch aufgepeppt: Nicht mehr der bläuliche ARD-Himmel flimmert dem Zuschauer entgegen, sondern abgestimmt auf die Kleidung des Sprechers, erscheint jeden Samstag Abend eine neue Farbkreation im Hintergrund.

Die Redaktion hat sich offenbar weitgehend verabschiedet von der Idee, die Sprecher ins Freie zu schicken und die Worte zum Sonntag im Klärwerk, im Kindergarten oder in der KZ-Gedenkstätte aufzuzeichnen.

Man ist zurückgekehrt zur ehrlichen schwierigen Vier-Minuten-Ansage eines einzelnen Menschen im Studio. Keine Gänge mehr und keine Interviews, keine Installationen und Anpassungen an die kurzgeschnittenen Sehgewohnheiten des Publikums. Gemäß der prophetischen Beobachtung des legendären Sprechers Jörg Zink "dass sich bisher jede noch so originell und abwechslungsreich gestaltete Unterhaltungssendung überlebt hat, sobald sie an das Ende der Einfälle kam, von denen sie sich abhängig gemacht hatte".

Man investiert statt dessen mehr Training in die Präsenz der Sprecher, die, wie es scheint, ihre Texte grundsätzlich nicht mehr ablesen, sondern nach Stichpunkten präsentieren und dabei weit vom Dilettantismus früherer Jahre entfernt sind, als sich anfangs die Sprecher mit dem Blatt in der Hand vor die Kamera begaben oder später dann starr in den Teleprompter blickten.

Trotzdem ist das "Wort zum Sonntag" bis heute eine Mühsal für die, die es verfassen, eine leichte Beute, für die, die es verspotten wollen und eine irritierende Unterbrechung für den Zuschauer.

Sie ist die einzige Sendung des deutschen Fernsehens, die den Zuschauer zwingt, fast ohne Cut einem Menschen ins Gesicht zu sehen. Anne Will, Günther Jauch, sie alle sind in einem Stück kaum länger als 30 Sekunden allein im Bild.

Die Vier-Minuten-Zumutung eines nahen menschlichen Gesichts - auch das ist das "Wort zum Sonntag". Und Jörg Zink behielt bis heute recht, als er zum 40. Jubiläum formulierte: Diese Sendung "gehört zum Schwierigsten, das beide, die Kirche und das Fernsehen, an Laien des Sprechergewerbes zu vergeben haben, und ich sehe unter den Beteiligten keinen, der nach ersten harten Erfahrungen Lust hätte, sich und seine Erfolge zu feiern."

Sicherlich fürchtet jeder Sprecher den Augenblick im jüngsten Gericht, in dem Gott ihm oder ihr gesammelte Worte zum Sonntag als Bußübung vorhält.

Zum Scheitern verurteilt

Das "Wort zum Sonntag" ist die wöchentliche Nagelprobe der Kirche, ob ihre Verkündigung der Welt, in der wir leben, gewachsen ist. Es ist der wöchentliche Zwang zur Zeitgenossenschaft theologischer Reflexion. Es ist die wöchentliche Sprachübung christlicher Verkündiger mitten auf dem vielstimmigen Areopag moderner Weltanschauungspluralität.

Dass diese Sprachübung zum Scheitern verurteilt ist, scheint evident. Die Frage ist nur jeden Samstag wieder, auf welchem Niveau einer scheitert. Dass sie um der Kirche und der Gesellschaft willen jede Woche wieder geübt werden will, ist für das Fernsehen, die Zuschauer und die Kirchen eine bewährte Vereinbarung. Oder wie es ein Kommentar zum Loccumer Vertrag 1955, der das Verhältnis von Staat und Kirche regelt, formuliert: "Mit der Anerkennung des Öffentlichkeits-anspruchs der Kirchen gibt das politische Gemeinwesen zu erkennen, dass es sich die öffentliche Verkündigung der Kirchen, die daraus resultierende Anrede an Gesellschaft und Staat (...) gefallen lässt, diesen ernst nimmt, dessen begehrt und ihn fördert."

Das "Wort zum Sonntag" betreffend gab es durchaus Krisen und Debatten da-rüber, ob sich die Zuschauer diese fromme Anrede an die Gesellschaft weiter gefallen lassen sollen. Versuche der Programmplaner, diese Sendung in die tiefe Nacht zu verlegen, scheiterten jedoch am Widerstand des Publikums. Auch akademische Analysen, wie beispielsweise die der Sozialwissenschaftlerin Ruth Ayas, haben zwar scharfsinnig eine gewisse sprachliche Ritualisierung dieser frommen Sendung diagnostiziert und damit die Debatte um die religiöse Rede in den Medien auf eine neue Stufe gehoben, die Existenz der Sendung jedoch nicht gefährdet. Ihre Kritik allerdings bleibt bis heute aktuell und produktiv: Die Redeformen im "Wort zum Sonntag" seien "hochgradig konventionalisiert", schreibt sie. Sie seien "geschlossen", ohne dem Zuschauer Spielraum für Interpretationen zu lassen. Thema, Sprache und Lösung seien einlinig und vermittelten dem Zuschauer das Gefühl, er sei ein wenig begriffsstutzig.

Pathos des Bekenntnisses

Regelmäßig würden in der Dramaturgie der Sendung die Zuschauer mit einem "fatischen" (schicksalhaften), kontaktstiftenden, aber inhaltslosen "Auftakt" konfrontiert, dem "Sinkflug" über Jesus von Nazareth und der "Keule des kategorischen Schlussakkords", durch die ein Zuschauer dann in eine feste Position gepresst werde, aus der er nicht mehr entweichen könne. Der "persuasive" Effekt der Rede, der durch Redundanz entstehe, versetze den Zuschauer in die Rolle des notorisch verstockten "Nichtverstehers", der geradezu zugeschüttet werde mit Wiederholungen und Paraphrasen. Zermürbt von diesem "Geist der Abgeschlossenheit" fliehe der, eine offene Kommunikationsform geübte Zuschauer, in eine "feindlich-ironische Abwehrhaltung".

Diese kluge Diagnose erklärt die berühmten Parodien, die es auf das "Wort zum Sonntag" gibt - von Otto Waalkes bis Hanns Dieter Hüsch. Sie legt aber auch offen, wie allergisch Teile der Gesellschaft auf ein Pathos des Bekenntnisses reagieren, auf Menschen, die schlicht und geradlinig von ihrer Glaubensüberzeugung sprechen. Sie legt bloß, wie zeitgemäß die kommunikationsoffene, ironisierende, ja die uneigentliche Rede auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Diskurses geworden ist.

Vielleicht ist das "Wort zum Sonntag" hier sogar eine heilsame Irritation in der Allgegenwärtigkeit der diplomatischen Lautsprecher und munteren Witzler im Programm, wenn Christen ohne Hintertüren von ihren Glaubensüberzeugungen sprechen.

Mit dieser ernsthaften Ansprache, die keinen doppelten Boden duldet, wurde das "Wort zum Sonntag" in seiner langen Geschichte bisweilen auch zum Glücksfall der Nation: als Jörg Zink am Abend der Flugzeugentführung in Mogadischu im September 1977 in einem Akt der öffentlichen Seelsorge die angstvolle Fernsehnation zusammenführte, als Heinrich Albertz, der sich der RAF selbst als Geisel angeboten hatte, mitten im bleiernen Herbst an die Humanität der RAF-Sympathisanten appellierte, als Andrea Schneider am Abend der Explosion einer Feuerwerksfabrik mit vielen Opfern im holländischen Enschede ein Gebet sprach oder der Berliner Bischof Kruse nach dem Mauerfall sein geistliches Wort an die Menschen in Deutschland richtete, die gerade erfahren hatten, was ein Wunder ist.

Dass das "Wort zum Sonntag" von Beginn an nicht von kirchlichen Hierarchen gesprochen werden sollte, erwies sich als kluge Programmatik: nicht volksmissionarische Interessen sollten bei diesem religiösen Zwischenruf im Vordergrund stehen, auch nicht institutioneller Eigennutz. Das "Wort zum Sonntag" sollte keine Werbung für den Kircheneintritt machen, kein Geld für Projekte einsammeln, keine Kontonummern durchgeben, keine Presseerklärung der Kirchenleitung in skandalträchtigen Zeiten an einem prominenten Programmplatz verbreiten.

Das "Wort zum Freitag"

Das "Wort zum Sonntag" sollte immer das Wort der Christen an die Gesellschaft sein, es sollte sich um die Seele der Zivilgesellschaft kümmern, Seelsorge also am demokratischen Gemeinwesen. Das bedeutet, dass es kein Thema gibt, das nicht besprochen werden kann, dass jedes Thema allerdings transparent gemacht werden will - auf Gottes Zukunft hin.

Bei einer solchen Programmatik sind Fehleinschätzungen einzukalkulieren und die Fettnäpfchen säumen den Weg. Was tut man, wenn sich die Missbrauchsfälle in kirchlichen Internaten häufen? Wie einen prunksüchtigen Bischof kommentieren?

Und: was sagt die evangelische Sprecherin des "Worts zum Sonntag", wenn die Gesellschaft über den Ausstieg der katholischen Kirche aus der Schwangerenberatung debattiert? Wo endet die konfessionelle Eintracht beim Reformationsjubiläum? Und: wie stellt sich das Einwanderungsland Deutschland auf seine multireligiöse Wirklichkeit ein?

Es ist an der Zeit, dass sich Kirchen und öffentlich-rechtliche Anstalten gemeinsam um einen prominenten religiösen Beitrag zur Gesellschaft auch aus der islamischen Perspektive bemühen. In Zeiten, in denen es Lehrstühle für islamische Theologie an Universitäten gibt, warten die Bürger auf ein Wort aus dieser Religionstradition an die mediale Öffentlichkeit. Vorurteile könnten abgebaut, Differenzen offengelegt und Missverständnisse aufgeklärt werden.

Denn es gilt, in der Öffentlichkeit die friedens- und gemeinschaftsfördernden Potentiale von Religion in Öffentlichkeit stark zu machen. Dies zumindest hat das "Wort zum Sonntag" in seiner 60-jährigen Geschichte überzeugend geleistet. Ein "Wort zum Freitag" wäre da auch keine schlechte Idee.

Johanna Haberer

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Foto: privat

Johanna Haberer

Johanna Haberer ist emeritierte Professorin für christliche Publizistik und beratende Mitarbeiterin von zeitzeichen.


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