Schief und ohne Schleife

Ein Punktum
Oft fühlte ich mich unterlegen, weil ich Geschenke nicht schön verpacken kann. Doch das ist nun vorbei.

Jetzt geht sie bald wieder los, die Quälerei mit den Geschenken. Das meine ich nicht grundsätzlich und schon gar nicht konsumkritisch. Ich bekomme und schenke gerne Geschenke, auch zu Weihnachten. Nein, das Problem ist eher oberflächlichen Charakters, es geht um die Verpackung. Denn für viele Menschen ist diese ja nun ganz und gar nicht oberflächlich, sondern unabdingbarer Bestandteil eines Geschenks. Dass vor ein paar Jahren bei uns schon mal fast ein Präsent gemeinsam mit dem Papiermüll entsorgt worden wäre, ändert an der Verpflichtung zur Verpackung ebenso wenig wie das ansonsten ganz gut ausgeprägte ökologische Gewissen. Wird ja alles recycelt, und schließlich ist ja Weihnachten.

Mein Vorbehalt gegen das Verpacken gründet sich auch gar nicht auf solch edle Motive, sondern entspringt allein dem Unvermögen, ein Geschenk ordentlich zu umhüllen. Manchmal mache ich es mir einfach und lasse alles im Laden einpacken. Aber das fällt meist auf und es wird die fehlende individuelle Note bemängelt. Letztere ist bei meinen Verpackungsversuchen allerdings sehr ausgeprägt. Auf Symmetrie verzichte ich mittlerweile ganz, sie gelingt sowieso nicht. Gerade Kanten mit der Schere zu schneiden ist auch nicht so mein Ding und so quetscht sich dann links eine dicke Papierkante unter einigen Metern Klebeband, während rechts schon wieder ein Stück Geschenk herausguckt. Da klebe ich dann einfach einen schiefen Rest Geschenkpapier drüber, manchmal auch ein ganz anders gemustertes. Das soll wie Patchwork aussehen, tut es aber selten. Schleifen um das Geschenk zu binden, versuche ich gar nicht erst. Wird eh' nix!

Weil Weihnachten das Fest der Liebe ist, blicken zwar alle lächelnd über die Misere aus buntem Papier hinweg. Aber dennoch konnte ich ein gewisses Gefühl der Unterlegenheit bislang nicht leugnen. Doch das ist nun vorbei. Professor Nathan Novemsky von der Yale Universität hat sich nämlich höchst wissenschaftlich mit Geschenkverpackungen beschäftigt. Und er hat herausgefunden, dass besonders hübsche Verpackungen zu einer besonders hohen Erwartungshaltung des Beschenkten führen können - die nach dem Auspacken unter Umständen enttäuscht wird. Verschiedene Probanden bekamen dasselbe Geschenk, jedoch unterschiedlich eingepackt. Das Ergebnis: Durch das Einpacken erhöhte sich die Erwartung, das Geschenk gefiel den Beschenkten aber weniger gut.

Das bedeutet doch im Umkehrschluss: Meine Geschenke tragen ein sehr geringes Enttäuschungspotenzial in sich. Wie wunderbar! Ganz egal, was drin ist, meine Lieben werden sich nach dem Auspacken freuen, dass es viel schöner ist, als es nach dem Einpacken aussah. Was will man mehr? Ach ja, selber Geschenke bekommen. Darüber freue ich mich immer, was drin ist, ist nicht so wichtig. Hauptsache, es ist eine Schleife drum!

Stephan Kosch

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