Abwärts oder vorwärts

Anfang November entscheidet sich, wie es mit dem Weltkirchenrat weitergeht
Friedensdemonstration bei der ÖRK-Vollversammlung 2006 in Porto Alegre. Foto: epd / Norbert Neetz
Friedensdemonstration bei der ÖRK-Vollversammlung 2006 in Porto Alegre. Foto: epd / Norbert Neetz
Welche Rolle der Weltkirchenrat in Zukunft spielen sollte, skizziert Karl-Heinz Dejung, von 1995 bis 2004 Leiter des Ökumenezentrums der hessen-nassauischen Landeskirche und heute Lehrbeauftragter an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz.

Wird die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), die Anfang November im südkoreanischen Busan stattfindet, die letzte sein? Schon nach der Vollversammlung vor sieben Jahren in Porto Alegre sprach Margot Käßmann vom drohenden Bedeutungsverlust des Rates. Kann das ins Rentenalter gekommene Instrument der ökumenischen Bewegung noch stabilisiert werden?

Das Genfer Ökumeneschiff ist in den zurückliegenden zwanzig Jahren durch vielfältige Krisen gegangen, von der die Finanzkrise nur die sichtbarste zu sein scheint. Was unübersehbar ist: Das Selbstverständnis des ÖRK hat sich gewandelt: vom "privilegierten Instrument (Gottes) zur Erneuerung der Kirchen" zum "Raum und Symbol der Begegnung der Kirchen". Danach ist er weniger Motor und Impulsgeber als Forum des Austausches. Erkennbar ist dies nicht nur an der beklagenswerten Reduktion des Genfer Mitarbeiterstabes auf ungefähr ein Drittel derer, die noch 1990 dort arbeiteten. Überdeutlich wird die Reduktion des ÖRK auch auf inhaltlicher Ebene. Die theologische Arbeit wird mehr denn je von den konfessionellen Weltbünden beansprucht, nicht zuletzt, um die spirituellen Impulse des ÖRK, sichtbar in den Gottesdiensten, konfessionell zu domestizieren.

Zusätzliche Gründe für diesen Wandel werden darin gesehen, dass sich die hehren Vorstellungen vom ÖRK als Vorreiter von Frieden und Gerechtigkeit nicht erfüllt haben. Der von vielen geschätzte "Konziliare Prozess" hat mit den "Zehn Affirmationen" zwar einen grundlegenden Rahmen christlicher Weltverantwortung formuliert. Aber die von vielen mit dem ÖRK verknüpfte Erwartung einer eindeutigen und kämpfenden Ökumene, die die Fahne des christlichen Fortschritts voranträgt, hat sich als Illusion erwiesen.

Raum und Rahmen

Kein geringerer als der Altgeneralsekretär des ÖRK, Konrad Raiser, hat deshalb in den vergangenen Jahren wiederholt dafür plädiert, sich von der "romantischen Vorstellung" einer kämpfenden und einmütigen Ökumene zu verabschieden. Raiser setzt dagegen auf einen ÖRK, der Raum und Rahmen schafft für die Begegnung der Kirchen. In diesem Raum legen sie gegenseitig Rechenschaft ab und suchen in Versuch und Irrtum Prozesse der Heilung und der Versöhnung in einer gebrochenen Welt zu organisieren. Für Raiser besteht die Aufgabe des ÖRK in Zukunft also weniger in der Umsetzung eines zentral ausgebauten Programms, sondern im wechselseitigen Austausch, in kritischer Befragung und helfender Ermutigung.

Auch vor dieser Vollversammlung ist wieder der vollmundige Satz zu hören, der schon die beiden zurückliegenden Vollversammlungen begleitete: Im Zeitalter der Globalisierung werde der ÖRK mehr denn je gebraucht. Gäbe es ihn nicht, müsste er erfunden werden, konstatieren selbst die schärfsten Kritiker.

Dem widerspricht, dass die Mitgliedskirchen seit der Wende des Jahres 1989 die prophetische Rolle des ÖRK nach und nach beschnitten haben und bestreiten, dass er in zentralen Fragen für die nichtrömische Christenheit sprechen kann.

Paradigmenwechsel

Zu den unerträglichen Ärgernissen gehören auch die finanziellen Kürzungen. Die deutschen evangelischen Kirchen werden im Zeitraum 2004 bis 2016 ihre Zahlungen nach Genf auf ein Drittel reduziert haben, von 1,5 Millionen auf 505.100 Euro. So wird die einzige global und multilateral arbeitende Institution der Christenheit ausgehungert. Mit allen Folgen, die dies für die inhaltliche Arbeit und die Motivation des Genfer Stabes hat.

Angesichts dieses Paradigmenwechsels bleiben zwei beunruhigende Fragen: Wie kann verhindert werden, dass bei der spürbaren Rücknahme des Selbstverständnisses des ÖRK der Mehrwert ökumenischer Begegnung verloren geht? Ich meine damit einmal den Welthorizont, den Kirchen brauchen, wollen sie nicht in die provinzielle Selbstgenügsamkeit von Landeskirchen und Nationalkirchen zurückfallen. Und ich meine damit auch jene "Weisheit der Argumente", die nur in ökumenischer Begegnung gewonnen werden können und die nach dem schönen Satz von William Temple (1881-1944), Erzbischof von Canterbury und einer der Gründungsväter des ÖRK, allein die Autorität eines Weltrates der Kirchen sein kann.

Es kann kaum um den Versuch gehen, die Kirchen zu einem gemeinsamen Akt von Bekenntnis und Widerstand zu mobilisieren, um im Sinne des berühmten Diktums von Dietrich Bonhoeffer "gemeinsam das eine Wort zu sprechen, das die Welt nicht überhören kann". Mit solchen Erwartungen kam schon der "Konziliare Prozess" der Achtzigerjahre an seine Grenzen. Und ähnliche Hoffnungen dürften angesichts der Verschlechterung der ökumenischen Großwetterlage erst recht nicht zu revitalisieren sein, auch wenn die Dringlichkeit eines solchen Bekenntnisses gegenwärtig mehr denn je geboten scheint.

Fähig zur Entscheidung werden

Es gilt deshalb, die Chancen der bevorstehenden Vollversammlung zu benennen, die der gegenwärtigen Lage des ÖRK als ein Instrument der Kirchen entsprechen können. Ich setze auf Entscheidungen und Beschlüsse, die auch in der gegenwärtigen ökumenischen Gemengelage möglich sein und nachhaltig wirken könnten. Dabei kann es weder um ein Maximal- noch um ein Minimalprogramm gehen, sondern um Vorschläge, die die Kommunikation und Kooperation der Mitgliedskirchen nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Denn sonst werden automatisch die starken Kirchen das Sagen haben, und die schwachen werden allenfalls zu Objekten von deren Großzügigkeit. Das kann nicht gut gehen und ist theologisch auch nicht zu verantworten.

Es ist Konsens der Mitgliedskirchen, dass den Vollversammlungen die entscheidende Bedeutung für die zukünftige Gestalt des ÖRK zukommt. Deshalb entscheidet die Vollversammlung in Busan darüber, ob sich der institutionelle Abwärtstrend fortsetzen wird oder es zu einem neuen Aufbruch kommen kann. Daher muss die Vollversammlung mehr sein als ein ökumenischer Markt der Möglichkeiten. So muss sie ein klares Signal für die Prioritäten der ökumenischen Zusammenarbeit in den kommenden sieben Jahren geben, und sie hat zudem aufzuzeigen, wie der ÖRK zur Erfüllung dieser Aufgabe ausgerüstet wird. Im Ablauf der Vollversammlung sollte es für die Klärung der Mandatsfragen deshalb genügend Raum geben. Sie darf nicht in der Dauerreflexion verharren, sondern muss entscheidungsfähig sein.

Die ökumenische Bewegung war immer dann zukunftsfähig, wenn die Mitgliedskirchen sich für die Jahre zwischen zwei Vollversammlungen auf ein inhaltliches Thema verpflichteten, das diese als Zeichen der Zeit erkannten und als gemeinsamen Bezugspunkt ihres Denkens und Handelns annahmen. Im Rahmen solcher gemeinsamen Verpflichtungen konnte die gegenseitige Rechenschaftslegung der Kirchen eingeübt, Prozesse der Heilung und der Versöhnung in Gang gesetzt und in Versuch und Irrtum Lösungen erarbeitet werden, die den lokalen Bedürfnissen der Kirchen und der globalen Verantwortung der Christenheit entsprechen. Solche Lösungen mussten nicht notwendig einmütig erfolgen, aber sie blieben aufeinander bezogen und waren deshalb offen für eine bessere Praxis. Sie spiegelten eine dynamische Gemeinschaft und waren deshalb mehr als die Festschreibung des zwischenkirchlichen Status quo.

Armut, Mission, Klima

Die gegenwärtigen ökumenischen Diskussionen lassen unterschiedliche Zugänge zu einer gemeinsamen Thematik erkennen, die mit den Stichworten "Klimagerechtigkeit", "Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens" und "Transformatorische Kirche" umschrieben werden können. Dazu hat der ÖRK in den vergangenen Jahren auf mehreren großen Konferenzen wegweisende Erklärungen und Dokumente auf den Weg gebracht, die die Delegierten im Reisegepäck haben: ein zeitgemäßes Missionspapier, ein neues Konsenspapier zur Einheit und eine gewichtige Stellungnahme zu Armut, Reichtum und Klimagerechtigkeit.

Es gibt also für eine solche Thematik eine breite Mehrheit unter den Mitgliedskirchen. Im vergangenen Monat wurden auf einer Vorbereitungstagung zur ÖRK-Vollversammlung im hessischen Arnoldshain Fingerübungen zur Formulierung eines solchen Schwerpunktthemas versucht, das in folgende Richtung weisen könnte: "Auf dem Weg zu Gerechtigkeit und Frieden transformatorische Kirchen werden, Becoming Transformative Churches on a Pilgrimage of Justice and Peace."

Ein solcher Fokus für die nächsten sieben Jahre erfordert aber eine Konzentration von Ressourcen und Kompetenzen, wie sie mit dem kleinen Genfer Stab kaum zu erreichen ist. Wenn dieser Engpass auf absehbare Zeit nicht überwunden werden kann, bedarf es einer klugen Verknüpfung regionaler und lokaler Ressourcen auf der Grundlage konstruktiver Arbeitsteilung. Hier können und müssen die vielfältigen Kompetenzen der Mitgliedskirchen und Konfessionsbünde ins Spiel gebracht und der ökumenischen Bewegung als Ganzes bereit gestellt werden, wie dies in der Geschichte des ÖRK immer wieder geschah. Im Vorfeld von Busan könnte und sollte damit begonnen werden, solche vielfältigen Ressourcen und Kompetenzen sichtbar zu machen, um dann auf der Vollversammlung selbst zu verbindlichen Absprachen über Forschung, Spiritualität, Handlungsperspektiven und Kampagnen zu gelangen.

Rolle des Vermittlers

Der ÖRK als Organisator einer konstruktiven Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedskirchen hat in solchen Prozessen eine aktive Rolle. Er ist nicht nur Einberufer, sondern auch Vermittler. Er steuert die Auswertungen, erinnert an die gemeinsamen biblischen Überlieferungen und mahnt Verbindlichkeit an. In alledem konkretisiert er seine elementare Rolle als einziges global und multilateral arbeitendes Instrument der Christenheit, dessen Glieder zu Gemeinsamkeit und Erneuerung rufen. Und um - nicht zu vergessen - den aus theologischen Gründen notwendigen Streit um die Grenzen unbestreitbarerer Pluralität im Leben zu halten. Für Busan stellt sich im Gefälle solcher Überlegungen die zentrale Frage: Erkennen die Mitgliedskirchen dem ÖRK bei der Entwicklung und Entfaltung eines solchen verbindlichen Themas eine aktive Rolle zu und eine dafür belastbare Logistik?

Noch ein Wort zu den gastgebenden Kirchen der Vollversammlung: Die südkoreanischen Kirchen leben wie viele in Asien, Afrika und Lateinamerika als Minderheit in einem multireligiösen Umfeld. Für sie bietet der ÖRK den einzigen Rahmen zur Teilnahme an der Gemeinschaft der Weltchristenheit. Sie brauchen dieses Instrument mehr als die im Vergleich zu ihnen immer noch reichen und dominanten Kirchen Europas und Nordamerikas. Die Koreaner können sich nicht die im Norden oft diskutierte Frage leisten, ob sie den ÖRK als Instrument der Ökumenischen Bewegung noch brauchen.

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Karl-Heinz Dejung

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