Nur wenige Wochen sind seit dem 11. Februar vergangen, als um die Mittagszeit ein katholischer Kollege durch eine SMS mit den Worten "Wir sind nicht mehr Papst" die Nachricht von der Rücktrittsankündigung Benedikts XVI. auf seinem Handy empfing. Dann geschah in rascher Folge: ein würdevoller Rücktritt, ein erstaunlich kurzes Konklave und der Beginn eines neuen Pontifikats, das durch die Namenswahl des neuen Papstes einen programmatischen Akzent erhalten hat. "Vergiss die Armen nicht!", habe ihm ein Kardinalskollege nach der Wahl zugeraunt, berichtete der Papst. Das sei ein Anstoß gewesen, das neue Pontifikat unter den Namen von Franz von Assisi zu stellen, der sich selbst als den "kleinen Bruder" bezeichnete.
Papst Benedikt XVI. war ein souveräner Kenner der reformatorischen Theologie. Bei aller Kritik ist seine Überzeugung, dass das geschichtliche Gegenüber von römisch-katholischer Kirche und den reformatorischen Kirchen beide zu einem kritischen Korrektiv und einer konstruktiven Inspiration füreinander mache, ein tragfähiger Zugang zur theologischen Verständigung. Mit seinem Rücktritt hat er deutlich gemacht, welche Annäherungen an ein evangelisches Amtsverständnis selbst im höchsten Amt der römisch-katholischen Kirche möglich sind.
Wie wird sich das nun darstellen bei dem ersten Jesuiten auf dem Stuhl Petri, dessen Wahrnehmungen des Protestantismus auch durch das signifikante Wachstum der pfingstlich-charismatischen Kirchen in Lateinamerika geprägt sein werden? Welches Programm verbindet sich für den Papst mit dem Namen des kleinen Bruders?
"Wir sind Bettler"
Martin Luther hat Franz von Assisi bekanntlich hoch geschätzt. Nach Luthers Auffassung hatte er seine Ordensregel direkt auf das Evangelium gegründet. Es lassen sich viele Beziehungen zwischen dem Armutsideal des kleinen Bruders und der Lebensorientierung des Reformators aufweisen. Dessen letzter geschriebener Satz lautet: "Wir sind Bettler. Das ist wahr." Allerdings hatte Luther dabei mehr als den Verzicht auf äußeren Reichtum im Auge. Es geht um die radikale, in der Bibel bezeugte Armut des Menschen vor Gott, die sich ganz der Gnade Gottes anvertraut, weil sie vor Gott nichts vorzuweisen hat. Deshalb kann sie mit dem ganzen Reichtum der Fülle Christi beschenkt werden. Dieses Verständnis der Armut liegt den reformatorischen Unterscheidungen zwischen Gottes Werk und Menschenwerk, zwischen geistlicher Herrschaft und weltlicher Herrschaft und zwischen einer Kirche der Macht und einer Kirche der Freiheit aus Gnade zugrunde.
Es ist gut, durch Papst Franziskus an diese Dimension des Christseins erinnert zu werden. Es erweckt Hoffnung, dass am Reformationsjubiläum 2017 gefeiert werden kann, was die evangelischen Kirchen und die römisch-katholische Kirche von der Reformation gelernt haben und weiter zu lernen haben. Der Bitte des neuen Papstes für ihn zu beten, sollten evangelische Christen und Christinnen von Herzen nachkommen. Was können wir Besseres füreinander tun als die Armut geschwisterlich zu teilen, die in Luthers letztem Satz zum Ausdruck kommt: "Wir sind Bettler. Das ist wahr"?
Christoph Schwöbel ist Theologieprofessor in Tübingen und Mitherausgeber von zeitzeichen.
Kommentar zu Papst Franziskus
Interview zu Papst Franziskus
Christoph Schwöbel