Aussie-Generation

"Down Under"-Popfolk
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Überraschend, mag man meinen. Nach erstem Anhören folgt indes die Korrektur: Endlich!

Sie waren die Rhythmussektion und Backgroundsänger der einflussreichen "The Go-Betweens", bis 2006 Grant McLennan starb - einer des Songwriter-Gespanns der Alternativpop-Band. Mit dem anderen, Robert Foster, sind Adele Pickvance (Bass) und Glenn Thompson (Drums) bis heute unterwegs und liefern nun mit "Carrington Street" ein eigenes Album ab. Überraschend, mag man meinen. Nach erstem Anhören folgt indes die Korrektur: Endlich! Versierte MultIInstrumentalisten mit feinem Gespür für Melodien, Timing, Soundfarben, große Songwriter und im Wechsel der Leadstimme von Song zu Song souverän bezaubernd. Zunächst bietet das Album Anlass, sich die Wiederbegegnung mit den "Go-Betweens" zu gönnen. Folk in der Hand von Musikern jener von New Wave und Punk geprägten Aussie-Generation hat bis heute eine faszinierend milde Kraft, ist zugleich ernst und leicht, eben aufgeklärt, mitunter angeraut und stets ungemein popgewandt. Eine oft an "Big Star" (vgl zz 3/2010) aus den frühen Siebzigerjahren erinnernde Tradition, in der Adele & Glenn im besten, aber eigenständigen Sinne stehen. Die zehn Songs erzählen Schicksale und Alltagsgeschichten aus dieser Nachbarschaft in Sydney, diesem Viertel, einfühlsam und genau beobachtet, mal bloß mit akustischer Gitarre und Keyboardspuren, dann wieder üppig arrangiert, zu einprägsamen Song Stories verdichtet, und mit hohem Wiedererkennungswert. Da geht es um die etwas seltsame Nelly, die aus Mangel an Freunden mit sich selber spricht, Marihuana raucht, in ihrem kleinen Haus mit Garten aber ein Zuhause hat. Den Transfer in ein Altersheim, für den der bieder verheiratete Bruder sorgt, überlebt sie bloß ein paar Jahre. Eine Folkballade, gefolgt von dem wehmütigen Freundschaftsschwur: treibende Basslinien und fliegende Drum Beats inszenieren einen Western Stomp, zu dem die Background-Harmonien sehnsuchtsvoll süßer nie klangen. Glenn singt, die Orgel schmachtet und der Rest ist Gänsehaut hart am Rand der Ganzkörpererektion. Punkig atemlos dagegen "City of Sound" - Achtziger-Turbo-Psychedelium. Doch am Schluss steht wieder eine Ballade mit einem Regenbogen aus Melodien und fein instrumentierten Akzenten, was die Magie von Adele & Glenn noch einmal fokussiert. Es geht um eine sms an einen Freund, der schon lang tot ist, und einen schlüssigen Reim darauf: Saug dich voll mit Erdenluft, blas sie zurück in die Atmosphäre - bevor auch du verschwindest! "Carrington Street" ist darauf die Nagelprobe. Ein intensives Sommergefühl; reifer Genuss, der um Herbst und Winter weiß. Leider bloß eine halbe Stunde lang.

Adele & Glenn: Carrington Street. Glitterhouse/Indigo 2012.

Udo Feist

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