Auf die Älteren kommt es an

Was sich in der Arbeitwelt in den nächsten Jahrzehnten ändern muss
"...ruft euch hervor der alte Meister": im Qualifizierungszentrum von VW Kassel. Foto: dpa/Uwe Zucchi
"...ruft euch hervor der alte Meister": im Qualifizierungszentrum von VW Kassel. Foto: dpa/Uwe Zucchi
Der Erfolg der neuen Rentenreform wird entscheidend davon abhängen, ob es in Zukunft gelingt, die Erwerbstätigkeit von Älteren zu erhöhen. Ob und wieweit das möglich ist, beschreiben Lutz Bellmann und Ute Leber vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Nicht nur die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft sieht sich mit großen Herausforderungen durch den demografischen Wandel konfrontiert - auch der Arbeitsmarkt gerät durch den Rückgang der Erwerbsbevölkerung und ihre Alterung unter Anpassungszwang. Der Gesetzgeber hat auf die sinkende Anzahl an Beitragszahlern in der Sozialver­sicherung, die zunehmende Anzahl von Rentenempfängern und die längere Rentenbezugsdauer mit einer Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ("Rente mit 67") reagiert. Der Erfolg dieser Maßnahme hängt entscheidend davon ab, ob und inwieweit es gelingt, die Erwerbstätigkeit der Älteren zu erhöhen: Von 2005 bis 2009 hat sich nach dem Bericht der Bundesregierung "Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt" die Erwerbstätigenquote der 55- bis unter 60-Jährigen von 63,3 Prozent auf 69,9 Prozent ebenso deutlich erhöht wie die der 60- bis unter 65-Jährigen von 28,1 Prozent auf 38,4 Prozent. Zwar bewegt sie sich damit insgesamt auf einem deutlich niedrigeren Niveau als die Er­werbstätigenquote der Jüngeren, doch ist ihr Anstieg gerade in den vergangenen Jahren beachtlich.

Dennoch ist trotz dieser erfreulichen Entwicklung nach wie vor ein großer Anteil der über 60-Jährigen nicht mehr erwerbstätig oder geht vor Erreichen der regulären Altersgrenze in den Ruhestand. Dies erscheint nicht zuletzt angesichts der sich immer stärker abzeichnenden Probleme bei der Deckung des Fachkräftebedarfs problematisch. So ist die deutsche Wirtschaft auf die verstärkte Nutzung des Potenzials von Älteren angewiesen - neben der Erhöhung der Anzahl der Hochschulabsolventen, von weiblichen Erwerbstätigen, der Förderung der Zuwanderung und von Personen mit Migrationshintergrund sowie der Verstärkung der betrieblichen Aus- und Weiterbildung.

Ältere Fachkräfte sind nötig

Was muss sich nun in der Arbeitswelt ändern, damit wir den demographischen Wandel bewältigen können? In der inzwischen sehr umfangreichen Literatur zum alters- und alternsgerechten Arbeiten werden die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit Älterer einhellig als wichtige Voraussetzung für ein längeres Arbeiten dargestellt. Dabei sind mit den Stichworten Gesundheit, Kompetenz und Motivation notwendige, aber noch lange nicht hinreichende Voraussetzungen benannt. Sie zeigen den Erwerbstätigen und Betrieben gleichermaßen die wichtigsten Handlungsfelder alters- und alternsgerechten Arbeitens auf. Beschäftigungsfähigkeit bedeutet jedoch mehr. Dafür müssen zusätzlich die Ar­beitsmärkte auch für Ältere aufnahmefähig und die Betriebe bereit sein, Ältere zu beschäftigen und einzustellen. Im Folgenden sollen nicht nur zentrale Argumente und Indikatoren, sondern auch Praxisbeispiele präsentiert werden, die zeigen, was getan werden muss, um eine höhere Erwerbstätigkeit Älterer zu realisieren.

Setzt man zunächst an der Kompetenz und der Motivation an, so spielt die Weiterbildung eine bedeutende Rolle. Zwar besteht Einigkeit darin, dass Qualifizierungsmaßnahmen über den gesamten Erwerbsprozess hinweg durchgeführt werden und nicht erst im Alter ansetzen sollten. Dennoch kommt auch der Weiterbildung Älterer eine große Bedeutung zu. So werden Unternehmen künftig ihren Qualifikationsbedarf nicht mehr allein durch junge, frisch ausgebildete Fachkräfte decken können, sondern verstärkt auch auf ältere Mitarbeiter setzen.

Wenig Weiterbildung

Dies wiederum hat zur Folge, dass auch die älteren Beschäftigten ihre Fähig- und Fertigkeiten weiterentwickeln müssen, um mit technischen und organisatorischen Änderungen standhalten zu können und um nicht zuletzt das Lernen zu verlernen. Gegenwärtig ist allerdings die Ausgangsposition in Deutschland für die Intensivierung der Weiterbildungsbeteiligung nicht besonders günstig. Im langfristigen Vergleich ist die Weiterbildungsbeteiligung zwar angestiegen, doch stagniert sie in den vergangenen Jahren und ist in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise sogar gesunken. Im internationalen Vergleich nimmt unser Land nach wie vor nur einen unteren Platz in der Rangliste der weiterbildungsaktiven Länder ein.

Auswertungen aus dem Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) - einer jährlichen Befragung von Betrieben aller Branchen und Größen - zeigen, dass insgesamt jeder zweite Betrieb seine Mitarbeiter im ersten Halbjahr 2008 für die Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen freigestellt und/oder sich an den Weiterbildungskosten beteiligt hat. Anders stellt sich das Bild aber dar, wenn das betriebliche Weiterbildungsengagement Älteren gegenüber betrachtet wird: So haben 2008 nur sieben Prozent der Betriebe, die überhaupt über 50-jährige Mitarbeiter haben, diese auch in Weiterbildung einbezogen, und nur zwei Prozent haben spezielle Weiterbildungsangebote für ihre älteren Beschäftigten getätigt. In den vergangenen Jahren hat sich an der geringen Verbreitung der betrieblichen Weiterbildung für Ältere nicht viel geändert.

Leistungswandel statt Leistungsabfall

Wie lässt sich die unterdurchschnittliche Weiterbildungsbeteiligung Älterer aber erklären? Vorliegende Untersuchungen weisen darauf hin, dass sowohl Faktoren auf Seiten des Arbeitgebers als auch solche auf Seiten des älteren Arbeitnehmers hierbei eine Rolle spielen. Da bei älteren Beschäftigten das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben in nicht allzu ferner Zukunft liegt, wird oftmals die Rentabilität der Weiterbildung in Frage gestellt. Dagegen lässt sich allerdings argumentieren, dass die Halbwertszeit des Wissens angesichts technischer und organisatorischer Neuerungen in der Vergangenheit gesunken ist, so dass sich auch die Weiterbildung Älterer durchaus lohnen kann. Außerdem nimmt die Mobilitätsneigung mit zunehmendem Alter ab. Beide Argumente zusammengenommen bedeuten, dass der verbleibende Amortisationszeitraum für die Weiterbildung Älterer noch hinreichend lang sein kann.

Ältere Mitarbeiter galten lange Zeit als weniger leistungsfähig als jüngere. Inzwischen ist aber belegt, dass ältere Personen nicht weniger leistungsfähig sind, sondern dass vielmehr von einem Leistungswandel gesprochen werden kann. Auch die Ergebnisse des IAB-Betriebspanels zeigen, dass die Betriebe durchaus die bessere Arbeitsmoral/-Disziplin, das stärkere Qualitätsbewusstsein und das Erfahrungswissen der Älteren schätzen, wohingegen sie bei den Jüngeren Eigenschaften wie die körperliche und psychische Belastbarkeit sowie die Lernfähigkeit und -bereitschaft betonen.

Angst vor dem Lernen

Bei älteren Beschäftigten, die länger nicht gelernt haben, kann sich jedoch eine gewisse Lernentwöhnung einstellen. Diese kann sich darin äußern, dass die eigene Lernfähigkeit als gering eingeschätzt wird, aber auch darin, dass bestimmte Fertig- und Fähigkeiten durch Nichtgebrauch abhanden gekommen sind. Die Angst vor dem Lernen an sich, vor Miss­erfolg oder auch dem Einsatz bestimmter Medien können die Folge sein, und die Bereitschaft, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen, kann sich entsprechend verringern. Wie vorliegende Studien deutlich machen, hängt die Lernkompetenz wesentlich von der Lernförderlichkeit der Arbeitsumgebung ab. Insbesondere wenn Arbeitnehmer über eine lange Zeit die gleiche, monotone Tätigkeit ausgeübt haben, wird es für sie immer schwieriger, Neues zu erlernen. Insofern erscheint es wichtig, auf eine entsprechende Ausgestaltung des Arbeitsumfeldes zu achten.

Neben der Erhaltung und der Erhöhung der Kompetenz und der Motivation durch das Angebot an Weiterbildung und die entsprechende Gestaltung des Arbeitsumfeldes spielen auch Maßnahmen der Gesundheitsförderung eine wichtige Rolle, um die Beschäftigungs- und Arbeitsfähigkeit bis ins Alter hinein aufrechtzuerhalten. Auch hier besteht Nachholbedarf, wie die Ergebnisse verschiedener Betriebsbefragungen zeigen. Dennoch gibt es interessante Beispiele von Unternehmen, die "Demographieprogramme" eingerichtet haben, um Fehlzeiten wegen Überlastung zu vermeiden. Bei der Continental AG in Hannover zum Beispiel hebt eine kleine Krananlage bis zu 80 Kilogramm schwere Lkw-Reifen für die Schadensanalyse auf den höhenverstellbaren Arbeitstisch - das schont den Rücken. Außerdem erleichtern Beleuchtung und Lupen gezielt die Feinarbeit.

Kleinere Betriebe offener für Ältere

Für die bereits beschäftigten Älteren wird demnach zumindest in manchen Betrieben einiges getan. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die Weiterbildung, die Arbeitsplatzgestaltung oder die Gesundheitsförderung, sondern zum Beispiel auch für Arbeitszeitmodelle, die hier nicht näher betrachtet werden. Anders stellt sich die Situation aber oftmals für die Älteren dar, die ihren Arbeitsplatz verloren haben und die einen neuen Arbeitsplatz suchen. So sind die Chancen der Älteren bei der Einstellung nach wie vor unterdurchschnittlich - was auch ihre hohe Arbeitslosigkeit zumindest teilweise erklärt. Ergebnisse des IAB-Be­triebspanels machen deutlich, dass sich insbesondere Großbetriebe bei der Rekrutierung Älterer oftmals zurückhalten. Für kleinere und mittlere Betriebe gilt dies hingegen weniger, doch liegen diesen Betrieben oftmals gar keine Bewerbungen Älterer vor. Dies kann bedeuten, dass Ältere nur ein eingeschränktes Suchspektrum haben, dass sie die Arbeitsbedingungen in kleineren und mittleren Betrieben möglicherweise nicht attraktiv genug finden oder ihnen die offenen Stellen dieser Betriebe zu wenig bekannt sind.

Dennoch gibt es auch im Hinblick auf die Rekrutierung Älterer positive Beispiele aus der unternehmerischen Praxis. Bekanntheit haben in diesem Zusammenhang Stellenanzeigen der Fahrion GmbH & Co. KG, einem mittelständischen Ingenieurbüro in Kornwestheim, erlangt. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen und die besonderen Kompetenzen Älterer zu nutzen, hat man sich hier dazu entschlossen, gezielt ältere Beschäftigte zu rekrutieren. Mit der Annonce "Mit 45 zu alt - mit 55 überflüssig? Wir suchen Ingenieure, Techniker und Meister bis 65" ist es diesem Unternehmen gelungen, neue (ältere) Mitarbeiter zu gewinnen und deren Erfahrungen in altersgemischten Teams mit dem Elan jüngerer Mitarbeiter zu verbinden.

In Zukunft wird es noch mehr als heute wichtig sein, Ältere in das Arbeitsleben zu integrieren, sie einzustellen und im Betrieb zu halten. Dies erfordert entsprechende Aktivitäten auf Seiten der Betriebe, aber auch der älteren Mitarbeiter selbst. Auch wenn es derzeit schon eine Reihe an Beispielen guter Praxis gibt, gilt es, die Herausforderungen - und auch den Nutzen - des demographischen Wandels stärker sichtbar zu machen und in den Köpfen zu verankern.

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Lutz Bellmann/Ute Leber

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