Waffen statt Fortschritt?

Welthungerhilfe und Brot für die Welt kritisieren geplante Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit
Bundesfinanzminister Christian Lindner vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz vor Beginn der Erläuterungen zum Bundeshaushalt 2025.
Foto: Picture Alliance/dpa
Bundesfinanzminister Christian Lindner am 17. Juli 2024 vor der Bundespressekonferenz

Das Bundeskabinett hat beschlossen, im kommenden Jahr etwa eine Milliarde Euro weniger für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Wenn der Bundestag das so durchgehen lässt, wäre das ein falsches Signal mit dramatischen Folgen, warnen zwei prominente evangelische Frauen an der Spitze von zwei Hilfsorganisationen. 

Jetzt ist es offiziell, die Bundesregierung will 2025 eine knappe Milliarde Euro weniger für die Entwicklungszusammenarbeit ausgeben als im Jahr davor. Der Haushaltsentwurf, den das Bundeskabinett heute verabschiedet hat, sieht für das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit 10,3 Milliarden Euro vor, ein Minus von 937 Millionen Euro. Knapp zehn Prozent weniger - das klingt nicht dramatisch. Aber die Folgen können es sein, warnen Expertinnen. 

„Eine Milliarde weniger, das kostet Menschenleben“, sagte Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt bei der Jahrespressekonferenz vor einigen Tagen. Und Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe und viele Jahre Mitglied im Rat der EKD, nannte die geplanten Kürzungen am Dienstag vor der Presse ein „falsches Signal“, vor allem für die am wenigsten entwickelten Länder (LDC’s), in denen die Armutsraten weiterhin hoch seien und die Investitionen in Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung seien. Die erreichten Erfolge würden durch die geplanten Kürzungen gefährdet „und die Existenz von Menschen bedroht“. 

Hungerkatastrophe im Sudan

Thieme verwies bei der Vorstellung des Jahresberichtes der Hilfsorganisation auf einen weiteren problematischen Posten im geplanten Bundeshaushalt 2025, nämlich der Kürzung des Etats für humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amtes um gleich 50 Prozent auf etwa eine Milliarde. „Das wird dem weltweiten Bedarf nicht gerecht“, monierte sie und auch die Zusage, dass bei großen Krisen spontan Geld bereitgestellt werden könne, beruhigt sie nicht. Das „macht die Hilfe abhängig von medialer Berichterstattung, das Geld wird dort bereitgestellt, wo die meisten Fernsehkameras stehen“. 

Viel zu wenig Aufmerksamkeit bekomme derzeit etwa die Krise im Sudan. 15 Monate Krieg hätten dort zur „die größte Hungerkrise der Welt“ verursacht, sagte Mathias Mogge, Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe. 750.000 Menschen seien aktuell vom Hungertod bedroht, 8,5 Millionen Menschen befänden sich in einer Ernährungsnotlage, über 25 Millionen Menschen in einer kritischen Ernährungslage. Die Welthungerhilfe ist dort mit 177 nationalen und internationalen Mitarbeiter:innen aktiv, musste ihr Landesbüro aber wegen Krieges zwischen den regierenden Militärregierung und der paramilitärischen RSF aus der Hauptstadt Khartum nach Port Sudan verlegen. Zehn Millionen Menschen seien derzeit im eigenen Land auf der Flucht. „Wir brauchen dringend mehr politischen Druck auf die Kriegsparteien und ihre Unterstützer, um ein Ende der Kampfhandlungen und freien Zugang zu den Hungernden durchzusetzen“, sagte Mogge.

Sinnvolle Radwege

Ein anderer Krieg, nämlich der gegen die Ukraine, dient Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) als Begründung für die Kürzungen im Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Es sei Zeit, die Bundeswehr wieder zu stärken, sagte er Ende Mai in „Welt TV“. Das bedeute: „An anderen Stellen der internationalen Zusammenarbeit kann es nicht so einfach weiterlaufen wie früher zu Zeiten der Großen Koalition." Konkret verwies er dabei auf „die Fahrradwege in Peru, die der frühere CSU-Entwicklungshilfeminister Müller auf den Weg gebracht hat und „die wir bis heute finanzieren". Die Entwicklungszusammenarbeit müsse „in einen Zusammenhang mit unserem deutschen Staatsinteresse gestellt werden".

Die Signalworte „Radwege in Peru“ dürfte Porsche-Fahrer Lindner dabei bewusst bedient haben, denn Skeptiker der Entwicklungszusammenarbeit sehen sie als Beispiel für sinnloses Geldausgeben im Ausland. Dabei hat sich Deutschland sowohl zu klimafreundlichen Investitionen im Süden der Welt als auch zu den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen verpflichtet und finanziert den Umbau des Verkehrssystems in Perus Hauptstadt Lima mit. Neben Fahrradschnellstrecken ist auch ein Bussystem geplant, aber auch der Bau von U-Bahn-Linien. Ein großer Teil des Geldes fließt als Kredit, genauere Informationen zu dem Projekt und seine Einbindung in die internationale Klima- und Wirtschaftspolitik finden sich auf der Homepage des BMZ.

Nationales Schneckenhaus

Doch es geht nicht nur um Lima, sondern um einen generellen Trend in der deutschen Politik, sagte die Brot-für-die -Welt-Präsidentin Dagmar Pruin. „Bei den aktuellen Debatten geht es nach unserer Überzeugung um etwas Anderes: Die Rolle Deutschlands soll neu definiert werden. Weg von Kooperation – weiter hinein ins nationale Schneckenhaus.“ Der Bundesregierung solle klar sein, dass sich Kürzungen im Bereich internationaler Zusammenarbeit langfristig rächen würden. „Entwicklungspolitik und Sicherheit dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie sind vielmehr eng miteinander verbunden. Entwicklungspolitik leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die Welt sicherer zu machen.“ Zudem halte Brot für Welt als christliches Entwicklungswerk es für ethisch geboten, Menschen zu helfen, wenn man dazu in der Lage sei. Doch es sei auch ökonomisch sinnvoll: „Studien der Weltbank zeigen: Jeder Euro, der heute in strukturbildende Entwicklung geht, spart am Ende vier Euro an humanitärer Hilfe“, sagte Pruin.

Auch Marlehn Thieme von der Welthungerhilfe verwies auf die wichtige langfristige Wirkung von Entwicklungszusammenarbeit, etwa in der Ausbildung von Jugendlichen. In den vergangenen zehn Jahren hätten fast 100 000 junge Menschen an Ausbildungsprojekten der Welthungerhilfe teilgenommen und seien nun Elektriker, Solaringenieure, Automechaniker oder Hotelangestellte. „Die Wirkung von Entwicklungszusammenarbeit beschränkt sich nicht nur auf den Bau von Schulen, Straßen oder Brunnen, sondern entfaltet auch Kraft und Zuversicht für langfristige gesellschaftliche Veränderungen“, erklärte Thieme. Auch deshalb seien die jetzt im Kabinett beschlossenen Kürzungen im BMZ-Haushalt das falsche Signal, weil sie „die wichtigen Investitionen in junge Menschen“ gefährdeten. 

Beide Hilfsorganisationen hoffen nun darauf, dass der Bundestag den jetzt vorliegenden Finanzplan nicht unverändert beschließen wird. Das Parlament wird nach der Sommerpause den Haushalt 2025 beraten.

Die Jahresberichte und weitere Informationen zu den Finanzen und Projekten von Brot für die Welt und der Welthungerhilfe finden sie hier und hier.

 

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Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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