Der umstrittene Psychoanalytiker Tilmann Moser macht vor keiner heiligen Kuh seiner Zunft halt. Ob Körpertherapie oder Religiosität - kein Tabuthema ist vor seiner analytischen Neugier sicher. Dabei geht der Freiburger Autor seine Fragen unorthodox persönlich an und zeigt damit auch ungeniert seine Wunden. Selber ein Opfer streng pietistischer Frömmigkeit, hat er sich in seinem 1976 öffentlich gemachten Befreiungskampf Gottesvergiftung gegen die Macht eines repressiven Gottesbildes gewehrt. Dass selbst Psychoanalytiker nicht gegen die nachhaltigen Wirkungen solcher angstmachenden Kindheitstraumata gefeit sind, räumt der Therapeut freimütig ein. Immerhin hat Moser sein vernichtendes Urteil gegenüber der krankmachenden Religion durch seine langjährigen Therapie-Erfahrungen revidiert.
Erneut hat sich Moser nun intensiv mit dem "grausamen Gott" seiner Jugendjahre beschäftigt. In einer vierjährigen psychoanalytischen Körpertherapie ist dieser ihm in der Aufarbeitung der Lebensgeschichte einer traumatisierten Pfarrerstochter erneut begegnet. Das klinische Bild der Patientin ist gekennzeichnet von Schlafstörungen, Albträumen, vielfachen Ängsten und einer depressiven Lebensgrundhaltung.
Zwischenüberschrift
Das Buch enthält neben einem knappen Vor- und Nachwort die transkribierten und redigierten Therapieprotokolle der umfangreichen Behandlung. Als Besonderheit sind darin die Gedanken und Gefühle des Therapeuten in kursiver Schrift abgedruckt. Damit eröffnet das Buch lebendige Einblicke in das Beziehungsgeschehen einer analytischen Behandlung. In den Gesprächsprotokollen geht es um mangelndes Selbstwertgefühl, ungenügenden Körperkontakt und zahlreiche mitmenschliche Konflikte zwischen Bindung und Autonomie. Ganz im Duktus der psychoanalytischen Kur werden diese Themen in der therapeutischen Beziehung neu inszeniert. Ungewöhnlich ist die Einbeziehung körpertherapeutischer Elemente - Berühren und Halten werden von Moser als behandlungstechnische Elemente eingesetzt. Dem Autor ist zu danken, dass die Protokolle tiefe Einblicke in die Gefühls- und Beziehungsdynamik der Patientin und des Therapeuten gewähren.
Der dicke Band macht jedoch auch deutlich, wie mühselig und - ja - phasenweise auch langweilig eine Psychoanalyse ist. Weil auch auf ein Inhaltsverzeichnis verzichtet wurde, muss sich der Leser durch die Protokolle quälen, die von dem Selbstzweifel und den Gefühlsschwankungen dieser Pfarrerstochter geprägt sind. Bedauerlicherweise fehlen systematische Querverweise oder theoretische Reflexionen. Der markante Buchtitel und das emotionale Gottesbild auf dem Umschlag vermitteln deshalb einen falschen Eindruck. Leider lassen die Interventionen des kirchengeschädigten Therapeuten im Hinblick auf das Gottesbild der Patientin erkennen, wie sehr der Therapeut selber noch in diese Themen verstrickt ist. Im Nachwort wird zweieinhalb Jahre nach Abschluss der Behandlung ein rundum positives Fazit gezogen: weniger Symptome, mehr Freude am Beruf, lustvollere Sexualität, Ansätze zur Entwicklung eines "guten Gottes".
Tilmann Moser: Der grausame Tod und seine Dienerin. Psychosozial-Verlag, Gießen 2010, 637 Seiten, Euro 39,90.
Michael Utsch
Michael Utsch
Michael Utsch ist Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin.