Michael Köhlmeier: Zwei Herren am Strand

Schwarze Hunde

Über Churchill und Chaplin
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Was wirklich so war und was so hätte sein können, bleibt offen, ist aber auch gar nicht relevant.

Sie treffen sich zum ersten Mal am Strand, danach immer wieder, mal am Strand, mal an ganz anderen Orten. Und immer wieder geht es um ein Thema: Der schwarze Hund Depression, der beide Männer immer wieder anfällt und sie an Selbstmord denken lässt. Doch sie helfen einander und überleben, auch durch die "Methode des Clowns", der Irrsinn mit Irrsinn bekämpft. Zum Glück überleben sie, denn die Welt wäre eine andere, wahrscheinlich schlechtere, wenn Winston Churchill und Charlie Chaplin früh gestorben wären.

Der österreichische Bestsellerautor Michael Köhlmeier erzählt in seinem neuesten Roman die Geschichte der beiden Männer, beschreibt ihren Kampf gegen Hitler, den sie auf unterschiedliche Weise fochten, der eine als Krieger, der andere als Künstler, dringt aber auch tief ein in die Seelenwelt der Protagonisten. Köhlmeiers Erzähler, selber ein Clown, der wiederum auf die biographischen Arbeiten seines Vaters zurückgreift, zitiert unendlich viele Quellen. Aber er verweist auch darauf, dass es um eine Geschichte geht, nicht um Geschichte. Was wirklich so war und was so hätte sein können, bleibt offen, ist aber auch gar nicht relevant.

Denn Köhlmeier, der in der Hörbuchversion sein eigenes Werk mit gekonnten Variationen seiner sonoren Stimme vorträgt, gelingt auch akustisch das Spiel auf den unterschiedlichen Ebenen. Er führt die Handlungsstränge immer wieder spätestens dann zusammen, wenn der Hörer sie zu verlieren droht. Und er zeichnet ein facettenreiches Bild zweier genialer Menschen, über die man so vieles zu wissen meinte und offenbar doch so wenig weiß.

Michael Köhlmeier: Zwei Herren am Strand. Der Hörverlag, München 2014, 7 CDs.

Stephan Kosch

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Weitere Rezensionen

Martina Plieth: Auch Tote sind nicht gern allein

Bilder ohne Scheu

Kinder malen den Tod
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70 Bilder über den Tod, gezeichnet von Kindern hauptsächlich zwischen neun und elf Jahren.

Kinder möchte man vor den schmerzhaftesten Erfahrungen schützen - nicht zuletzt vor der Begegnung mit Sterben und Tod. Doch Kinder sind neugierig, wollen das Leben kennenlernen, stellen zahllose Fragen nach dem "Was", "Warum" und "Wieso" - kleine Philosophen, wie Janusz Korczak sie beschrieb, von dem ein Zitat deshalb passenderweise an den Beginn des Buches von Martina Plieth gestellt wurde.

Erwachsenen verschlägt es oft die Sprache, wenn es um den Tod geht - vielleicht, weil Worte ein Element des Dialogs, des Lebendigen sind. Etwas, das sich zerschlägt und nicht mehr standzuhalten vermag, wenn es die Endgültigkeit eines Abschieds erfassen soll, der Bindungen zerreißt. Kinder, die - wie die Autorin erklärt - ihr "verbales Sprachvermögen" ohnehin erst entwickeln müssen, sind dennoch nicht ohne Vorstellung, was den Tod und das Sterben betrifft.

Über 70 Bilder hat Martina Plieth zusammengetragen, von Kinder hauptsächlich zwischen neun und elf Jahren. Leider wird nicht erzählt, in welchem Kontext sie entstanden sind. Überall in ihnen findet man Elemente wieder, die stark kulturell und kirchlich geprägt sind, die ihren Ursprung in Kunst oder Comic haben: Uhren, die ablaufen, ein Lebensfaden, der mit einer Schere zerschnitten wird, ein Himmel, der weint; es gibt Skelette, Sensenmänner in wehenden Umhängen und Schutzengel: Sprachliche und andere Bilder, die die Kinder für sich übernehmen, sie aber auch umdeuten.

Berührend ist, zu sehen, wie sehr den Kindern die Bedürfnisse der Hinterbliebenen (oder: Hinterbleibenden, wie Martina Plieth das lieber formuliert) bewusst sind: "Wenn jemand stirbt, den du mögst(!)", heißt es zu einem Bild, "dann bist du sehr verletzt". "Wenn du stirbst, dann bricht alles zusammen." Tränen sind erlaubt und Trost notwendig. Verstorbene sollen auf einem Friedhof gemeinsam mit anderen bestattet werden, denn: "Ein Toter ist nicht gern allein." Oft wird gegen die Grausamkeit des Todes quasi mit Farben und bunten Blumen Widerspruch eingelegt.

Vor allem aber ist eins deutlich: Die Kinder haben keine Scheu, ihre Ängste auszudrücken: Vor der Plötzlichkeit des Todes, vor seiner Unabwendbarkeit. Bilder vom Sterben können gar erschreckend drastisch und blutig daherkommen, vor allem, wenn sie von Jungen gemalt sind - inklusiver abgeschnittener Körperteile.

Wie sehr solche Bilder dazu dienen können, sich als Erwachsener mit eigenen Todesvorstellungen auseinanderzusetzen, wie die Autorin sich das wünscht, sei dahingestellt. Sie öffnen aber sicherlich einen Weg, über dieses Thema mit Kindern offen und ohne falsche Angst zu sprechen.

Martina Plieth: Auch Tote sind nicht gern allein. Kreuz Verlag, Freiburg im Breisgau 2014,160 Seiten, Euro 16,99.

Natascha Gillenberg

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Natascha Gillenberg

Natascha Gillenberg ist Theologin und Journalistin. Sie ist Alumna und Vorstand des Freundes- und Förderkreises der EJS.

Weitere Rezensionen

Lutz Seiler: Kruso

Am äußersten Rand

Sehnsucht auf Hiddensee
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Ein ungemein dicht formulierter, stilistisch anspruchsvoller und anspielungsreicher Roman, der mit seinem Ideenreichtum begeistert.

"Ein Roman von alttestamentarischer Wucht" titelt etwas schräg "Die Welt", das "erste würdige Gegenstück der deutschen Literatur zu Thomas Manns Zauberberg" lobt "Der Spiegel". "Dieser Roman hat eine geschichtsphilosophische Dimension: Es ist eine große Meditation über verschiedene Formen der Freiheit" sendet die 3sat "Kulturzeit" und "ein Buch wie ein Leuchtturm" schließt sich die "Süddeutsche" an. Das Erscheinen des ersten Romans von Lutz Seiler ruft wahre Lobeshymnen in der deutschen Feuilletonkritik hervor, wie kaum eine anderer Roman in den vergangen Jahren. Nun hat der Roman auch noch den deutschen Buchpreis gewonnen.

Der in Wilhelmshorst bei Potsdam lebende Lutz Seiler war bislang durch seine Lyrik bekannt und vielfach ausgezeichnet worden. In diesem Bücherherbst präsentiert er seinen ersten Roman. Und Seiler kommt dabei zupass, dass sich just in diesem Herbst der Mauerfall zum 25. Mal jährt. Aber das ist nur eine reine Äußerlichkeit; seinen Reiz hat der Roman gerade auch als Zeitbild: Der 24-jährige Edgar Bendler, kurz Ed genannt, flieht vor seinen Erinnerungen nach Hiddensee, die langgestreckte Insel westlich der Insel Rügen. Eds Freundin ist bei einem Unfall ums Leben gekommen. Doch warum die Ostseeinsel Hiddensee? "Versteck im See, geheime See, Hiddensee ... ein unablässiges Raunen umspülte das Eiland", lässt Seiler seinen Protagonisten erzählen, "Am Ende aller Reden schien Hiddensee ein schmales Stück Land von mythischem Glanz." Und die Leserin weiß, es ist die Zeit vor dem Mauerfall, genauer: im Frühsommer 1989.

Ed aus Halle/Saale, bekleidet mit einer schwarzen Motorradlederjacke aus den Fünfzigerjahren und langen Haaren, heuert dort als Abwäscher in dem Ausflugslokal "Zum Klausner" an, wo er Teil "der Besatzung" wird, wie Geschäftsführer Krombach seine Leute nennt. Es ist eine Gemeinschaft von Jüngern, zwölf an der Zahl. Da trifft er auf den Kellner Rimbaud, promoviert in Philosophie, auf Cavello, einen promovierten Soziologen, der sich auch als Kellner verdingt. Und auf Alexander Krusowitsch, von allen nur "Kruso" genannt, der "Schirmherr dieses Eilandes", er hat das Kommando. Sie alle: "Aussteiger, Abenteurer, Antragsteller", Menschen, die allesamt nach Hiddensee aufgebrochen sind, weil ihnen das Festland längst keine Heimat mehr bietet, die ihr Land verlassen, ohne die Grenze zu passieren.

Mensch und Tier sind in ihrem Freiheitsdrang nicht weit voneinander entfernt: "Nur deshalb kommen sie hier herüber - sie wittern die Freiheit, sie sind wie die Menschen", heißt es über die Wildschweine. Mit Andeutungen, religiösen Bezügen, Bildern und Metaphern erzählt Seiler über die Freundschaft zwischen den beiden so ungleichen Männern Ed und Kruso. Und über die Saisonkräfte, kurz "Esskaas" genannt: Tresenkräfte, Kellner, Abwäscher - eine skurrile Mischung von Charakteren. Bei ihnen kommen viele "Schiffbrüchige" unter. So nennt Kruso diejenigen, die über die Ostsee in die Freiheit fliehen wollen. Doch es gibt nicht genügend Schlafgelegenheiten für alle. Selbst im Bett des Dichters Gerhart Hauptmann lässt Lutz Seiler seine "Schiffbrüchigen", seine Gestrandeten der DDR, schlafen. Tagsüber, bei guter Sicht ist Møn zu sehen, die dänische Insel unweit der DDR, hingegen unendlich für Ed und all die anderen auf Hiddensee.

"Im Vorhof des Verschwindens", so beschreibt Seiler Hiddensee. Eine traurige Wahrheit, wie es sich im Epilog lesen lässt. Dort gibt er Auskunft über seine Recherche bei dänischen Behörden, über die vielen Flüchtlinge, die versucht haben, über die Ostsee ihrem Land zu entkommen. Die meisten von ihnen wurden von Patrouillenbooten festgenommen, wenigen gelang die Flucht, 179 Tote wurden seit 1961 offiziell, doch viele verschlang das Meer.

Ein ungemein dicht formulierter, stilistisch anspruchsvoller und anspielungsreicher Roman, der mit seinem Ideenreichtum begeistert.

Lutz Seiler: Kruso. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, 484 Seiten, Euro 22,95.

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.

Weitere Rezensionen

Jean Pierre Wils: Kunst. Religion

Prekär

Die Suche nach Verheilung
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In seiner eleganten Prosa skizziert Wils den gegenwärtigen Stand der Debatte über das Verhältnis von Kunst und Religion.

Nach Kurt Flasch erklärt jetzt auch Jean Pierre Wils: "Ich habe es versucht, ein Christ zu sein, und es ist mir nicht gelungen." Die Verlusterfahrungen sind offenbar nicht gering, denn für Wils, der durch sein Buch "Ästhetische Güte" (1990) bekannt wurde, soll die Kunst durchaus eine gewisse Kontinuität mit der Religion garantieren, um den Schmerz zu lindern. Seine These lautet: "In der Kunst wird artikuliert, was einst in der Religion beheimatet war: Die Erfahrung von Verletzung und Verheilung. (...) Kunst kann Religion nur deshalb beerben, weil es, trotz aller Klüfte, auch Kontinuität gibt - eben jene Erfahrung von Verletzung und Verheilung."

Das Verhältnis von Religion und Kunst war immer schon prekär: War früher die Kunst Dienstmagd der Religion, hat die Kunst nach ihrer mühsam erstrittenen Autonomie offenbar doch auch weiterhin Anteil am Erfahrungsschatz der Religion. In seinen von Fußnoten entlasteten Essays lädt Jean Pierre Wils viele Autoren ein, die ihm helfen, dieses Terrain zu erkunden. Man wird sehr schnell heimisch und fühlt sich kuschelig in der Suhrkamp-Taschenbuch-Wissenschafts-Kultur, die Wils in diesem schön gestalteten Buch ausbreitet. Literaten, die das Archiv der Gefühle verwalten, sind ebenso Gesprächspartner für Wils wie (Religions-)Soziologen oder Philosophen. Nur die Theologen müssen leider draußen bleiben.

In seiner eleganten Prosa skizziert Wils den gegenwärtigen Stand der Debatte über das Verhältnis von Kunst und Religion sehr genau. Das gelingt in den Essays zur Frage nach dem Sinn des Lebens oder zur Frage nach dem Zusammenhang von Blasphemie und Kunst. Auch die "Ars moriendi", die Wils in einem sehr langen Gespräch mit dem Literaten Dieter Forte entfaltet, erlaubt Leseglück. Leider bleibt der für seinen Diskurs zentrale Begriff der Epiphanie, der für die Erfahrung der Verheilung doch Zentrales leisten muss, diffus. Das Diffuswerden der Religion in der Spätmoderne erleidet hier auch die Kunst oder genauer: die Kunsterfahrung.

Mit einem von George Steiner geliehenen Wort, der Cortesia, verbeugt sich Wils überhöflich vor allen Autoren, die er als Zeugen der Erfahrungsvermittlung aufruft. Da werden auch schon mal in einem Atemzug die Soziologen Günther Dux und Niklas Luhmann genannt, die bekanntlich Welten trennen. Oder das Buch des französischen Soziologen Bruno Latour mit dem Titel "Jubilieren" wird nahezu ehrfürchtig besprochen, obwohl der Ertrag der Exegese dieses leider sehr verquasten und mit Verlaub: hilflosen Buches sehr gering ausfällt. Nur sehr selten fasst Wils mal Posto und nennt etwa die Überdehnung des funktionalen Religionsbegriffs "albern". Aus seinem eigenen Zitatkartell bricht Wils niemals aus, zum Schaden seiner eigenen These, die immer wieder unter den Zitaten begraben zu werden droht. Übertriebene Höflichkeit lässt Einsichten schnell diffus werden. Hier hätte ich mir sehr viel mehr Streit und Courage gewünscht.

Auch wenn man sehr genau liest, die Mühen, die Wils mit dem Christentum hat, lassen sich höchstens erahnen. Dabei sind es die Vorbehalte gegen eine sehr lange gehätschelte Rede von Erlösung als Kennzeichen des Christentums durchaus wert, diskutiert zu werden. Zumindest im Protestantismus gibt es ein ästhetisches Christentum, das weniger weltflüchtig ist als vermutet oder unterstellt. Man muss das Christentum also durchaus nicht verloren geben.

Jean Pierre Wils: Kunst. Religion. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 2014, 272 Seiten, Euro 24,-.

Klaas Huizing

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.

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Hans Küng: Glücklich sterben?

Hilfreich

Hans Küng über das Sterben
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Dieses sehr persönliche Buch vom "glücklichen Sterben" ist von tiefer "Ehrfurcht vor dem Leben" geleitet.

Die praktizierten Eingriffe in das Empfängnis- und Geburtsgeschehen werden zum Teil bis heute von Kirchen abgelehnt oder zumindest beargwöhnt. Doch diese medizinischen Methoden werden inzwischen als selbstverständlich weithin akzeptiert. Gleichzeitig treten wegen der erheblich verlängerten Lebensdauer im hohen Alter vielfach Krankheiten auf, die im besten Fall gelindert, aber nicht mehr behoben werden können. Die Häufung der Behinderungen beeinträchtigt die Lebensqualität. Es muss nicht eine schwere Krebserkrankung sein, die das Leben für einen Menschen unerträglich macht. Abschreckend wirken schon die immer häufiger auftretende Alzheimer- oder Demenzerkrankungen.

Der katholische Theologe Hans Küng hat die progressive Demenzerkrankung seines Freundes und Kollegen Walter Jens aus nächster Nähe miterlebt. Der wollte dieser nie ausgesetzt sein; doch er hatte den Zeitpunkt verpasst, seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende zu setzen. Schon in den Achtziger Jahren hatten beide miteinander in einer Vorlesungsreihe dieses Thema behandelt. Jetzt, schreibt der nunmehr 86-jährige Autor, wo die Gefahr bestehe, "tatsächlich nur noch 'ein Schatten meiner selbst' zu sein, muss ich mir ernsthaft überlegen, ob das tatsächlich der Wille Gottes ist".

In der EKD beklagt man vor allem eine Kommerzialisierung der Sterbehilfe - etwa durch die Schweizer Sterbehilfeorganisation EXIT. Dabei wird übersehen, dass das deutsche Gesundheitssystem längst weitgehend kommerzialisiert ist, so dass es sich lohnt, Sterbende möglichst lange an teure Apparate angeschlossen zu lassen. Im vorangestellten Interview mit der Journalistin Anne Will protestiert Küng dagegen, dass man "den Sterbetourismus, den man selbst verursacht hat in Deutschland, den Eidgenossen vorwirft". Dass die Deutschen große Scheu vor dem schrecklich missbrauchten Wort "Euthanasie" haben, versteht er gut. Dennoch müsse man auf die damit ursprünglich verbundene "große ethische Tradition" nicht verzichten.

Küng verteidigt aus rationalen Gründen und mit empirischen Belegen nicht nur die passive Sterbehilfe, die ja unter bestimmten Bedingungen auch hierzulande erlaubt ist. Er findet unter ebenfalls restriktiven Bedingungen die aktive Sterbehilfe durchaus nicht als inhuman. Er plädiert aber angesichts mancher "missglückter Suizidversuche" ausdrücklich für eine "medizinische Sterbehilfe". Hier bringt er auch den christlichen Glauben ins Spiel und schreibt vom "Alterssuizid aus Gottvertrauen". Überzeugend erklärt er, weshalb er am Glauben an das ewige Leben festhält: "Das Leben wird verändert, nicht genommen", schreibt er und beschließt das Buch mit einem Gebet.

Dieses sehr persönliche Buch vom "glücklichen Sterben" ist von tiefer "Ehrfurcht vor dem Leben" geleitet. Nicht nur christlich geprägte Menschen werden hier viel Hilfreiches im Blick aufs eigene Sterben erfahren können. Die schöne Aufmachung des kleinen Buches mit festem schwarzem Einband und weißem Schutzumschlag kann auf gute Weise das Dunkle und Helle, das Schmerzliche und das Hoffnungsvolle des Sterbeprozesses symbolisieren.

Hans Küng: Glücklich sterben? Piper Verlag, München 2014, 160 Seiten, Euro 16,99.

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Götz Planer-Friedrich

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Ferdinand Schlingensiepen: Vom Gehorsam zur Freiheit

Nahaufnahmen

Menschen im Widerstand
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Die Stärke dieses Buches besteht darin, dass der Autor dem Leben und Wirken von christlichen Widerstandskämpfern der Nazi-Zeit als Theologe nachgeht.

An Menschen zu erinnern, die sich aus christlichem Gewissen gegen den Hitlerstaat stellten und dafür mit dem Leben bezahlen mussten, ist nicht nur moralisch geboten. Auch für die Orientierung heutiger Christinnen und Christen und für die Glaubwürdigkeit der Kirche ist ihr Zeugnis existenziell.

Was können wir von diesen Vorbildern lernen? Zum Beispiel, dass sie nicht zu Helden geboren waren, sondern durch ihre "intellektuelle Neugierde, ein unbestechliches Gefühl für Recht und Unrecht, sowie Mut zu Entscheidungen, die unbequem sind" widerständig wurden, so beschreibt es Ferdinand Schlingensiepen in seinem Buch. Dass diese Vorbilder oft voller Zweifel und Angst waren, bringt sie uns menschlich nahe. Nicht unfehlbar, oft bewusst den Verstoß gegen biblische Gebote auf sich nehmend, machten sie sich frei von falschem Gehorsam, weil sie "die Notwendigkeit der eigenen freien verantwortlichen Tat auch gegen Beruf und Auftrag" erkannten, wie es der Autor mit Dietrich Bonhoeffers Worten beschreibt. Die Verschiedenheit ihrer Herkunft, Charaktere und Taten beweist einmal mehr, wie viele unterschiedliche Formen christlichen Widerstandes es in der Nazizeit gegeben hat. Was Adam von Trott zu Solz, Dietrich Bonhoeffer, Harald Poelchau, Georg Bell und Sophie Scholl dennoch verbindet, bezeichnet Schlingensiepen - ebenfalls mit Bonhoeffer - als Zivilcourage, die von Christen gezeigt wurde, die aber auch Menschen anderer Religionen und Überzeugungen unter Beweis gestellt haben.

Die Stärke dieses Buches besteht darin, dass der Autor dem Leben und Wirken dieser Zeugen als Theologe nachgeht: Seine Analyse geht über die anrührende Beschreibung der Biographien hinaus. Zum Beispiel Adam von Trott zu Solz, den der Autor als einen "Grenzgänger als Vorbild im Glauben" vorstellt: Selbst eher ein Suchender im christlichen Glauben starb er - als Verbrecher verurteilt und ausgestoßen von der so genannten Volksgemeinschaft - "draußen vor der Tür" und wurde so zum Zeugen für Christus, wie es das Bibelwort aus Hebräer 13, 12 beschreibt.

Für die Präsentation von Sophie Scholls "Widerstand aus reinem Herzen" - angelehnt an das Wort der Bergpredigt: "Selig, die reinen Herzens sind" - hat der Autor mit Eduard Mörikes Gedicht "Denk es, o Seele" einen lyrischen Zugang gewählt. Sophie Scholl selbst hatte das Gedicht 27 Tage vor ihrem Tod - noch in Freiheit - ihrer Schwester vorgelesen, vielleicht ihren eigenen Tod vorausahnend. Schlingensiepen zeigt ihre Entwicklung auf, wie ihre Erziehung durch einen pietistischen Christusglauben der Mutter und zur Toleranz durch den eher agnostischen Vater schließlich zu einer politischen Tat aus christlichem Glauben führte.

Zunächst aber macht Sophie als Jungmädelführerin "Karriere" in der Hitlerjugend. Das zeigt, wie verführerisch die Naziideologie als Ersatzreligion für idealistische Jugendliche war, was der Autor exemplarisch an Liedtexten und Reden der Nazis beschreibt. Sophie Scholl entwächst diesem naiven Idealismus durch Begegnungen und ihre Fähigkeit zu eigenständigem Denken, eine Reifung, die zu einer "reinen" Haltung des Widerstandes führt.

Besonders gefällt, dass Schlingensiepen auch weniger bekannte Persönlichkeiten des christlichen Widerstandes aufgenommen hat, wie den englischen Bischof Georg Bell, ein "Fürsprecher und Bundesgenosse des deutschen Widerstandes". Durch seine Kontakte zur Bekennenden Kirche betrachtete er Deutschland nicht grundsätzlich als Feind und machte sich mit entsprechenden Reden in England zur Kriegszeit eher unbeliebt. Er half tatkräftig verfolgten Deutschen, zum Beispiel durch deren Aufnahme in England, und bemühte sich auch nach dem Krieg, Feindbilder abzubauen.

Der Autor zeichnet uns diese Vorbilder in faszinierenden menschlichen Nahaufnahmen: ein spannendes Buch, das dennoch nachdenklich stimmt. Seine Lesenden, die für ihre Überzeugung - Gott sei Dank - nicht mehr sterben müssen, konfrontiert es mit der persönlichen Frage: "Und wofür lebt ihr?"

Ferdinand Schlingensiepen: Vom Gehorsam zur Freiheit. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2014, 208 Seiten, Euro 12,90.

Marion Gardei

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Foto: Sabeth Stickfort

Marion Gardei

Marion Gardei ist Beauftragte für Erinnerungsarbeit der Evangelischen Kirche Berlin-schlesische Oberlausitz. Sie wohnt in Berlin.

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Alison Balsom:Paris

Souveräne Süße

Star-Trompeterin Alison Balsom
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Der Hörer wird vom Sound auf das Wonnigste umschmeichelt, was könnte es an einem kühlen November-Abend Schöneres geben? Nun, es kommt auf die Kitschgrenze an...

Kann Wohlklang zu Kitsch werden? Und wenn ja: An welchem Punkt verwandelt sich das eine in das andere? Die Antwort auf die erste Frage lautet: ja. Wenn Musik anfängt, wie ein klebriger Bonbon zu schmecken; wenn man beginnt, sich nach Lärm und Dissonanz zu sehnen - dann sind das deutliche Anzeichen. Aber: Die Grenze ist in diesen Fällen bereits überschritten. Die zweite Frage nach dem Wandelmoment ist mithin viel schwerer zu beantworten und obendrein sehr von der Tagesform abhängig.

Wer sich mit dem Gegenstand dieser kurzen Einlassung nun gerne selbst und intensiver auseinandersetzen möchte, dem sei das neue Album der englischen Star-Trompeterin Alison Balsom wärmstens ans Herz gelegt. Beginnen wir beim Wohlklang: "Paris", so der Titel der CD, ist damit reich ausgestattet. Das betrifft zunächst den butterweichen, souveränen Ton, mit dem Alison Balsom die Trompete bläst. Wer im Jazz eine Entsprechung suchte, würde vielleicht bei Roy Hargrove fündig werden. Warum überhaupt im Jazz? Weil sich die Britin mit Guy Barker für die Platte einen Arrangeur als Partner gesucht hat, der als Trompeter und Komponist vor allem im Jazz zu Hause ist.

Nun kann man dem Schönen prinzipiell auf zweierlei Weise begegnen: Man stellt ihm etwas Dunkles, Schroffes zur Seite, um es noch stärker zur Geltung zu bringen. Oder man ist der Meinung, dass nichts Hässliches das Schöne umgeben dürfe. Alison Balsom und Guy Barker haben sich in ihren Arrangements für den zweiten Weg entschieden.

Das kann sehr gut klingen, wenn die Musik vielschichtig ist, wenn sie Ecken und Kanten bieten. So wie Olivier Messiaens "Le Baiser de l'Enfant Jésus" (der Kuss des Jesus-Kindes). Das Werk ist nicht so lieblich, wie der Titel vermuten ließe, und in diesem Kontext blüht die Kunst Alison Balsoms in reichen Farben. Oder auch bei Astor Piazzolla, dem Meister des Tango, der hier eine zärtliche Annäherung erfährt.

Satie hingegen ist der Menge an Süßem nicht ganz gewachsen, "La Valse des Lilas" von Legrand, Marnay und Barclay ist gar ein großes Schoko-Eis mit Sahne und Sirup. Aber das ist natürlich wieder nur eine Frage des Geschmacks, denn man könnte es auch so beschreiben: Der Hörer wird vom Sound auf das Wonnigste umschmeichelt, was könnte es an einem kühlen November-Abend Schöneres geben? Insgesamt wäre dem Album vielleicht mehr Tempo und Schwung gut bekommen - Alison Balsom verbindet mit Paris offenbar eher romantische Erinnerungen. Das sei ihr gegönnt, viele werden sie dafür lieben. Manche freilich weniger; es kommt ganz auf die persönliche Kitschgrenze an.

Alison Balsom: Paris. Warner Classics, 0825646327898.

Ralf Neite

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Volker Gerhardt: Der Sinn des Sinns

Höhe der Zeit

Eine philosophische Theologie
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Volker Gerhardts Überlegungen kommen wie in einem Kaleidoskop aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder auf die zentralen Begriffe des Ganzen, des Sinns und des Göttlichen zurück.

Gut hundert Jahre nachdem Friedrich Nietzsche Gott für tot erklärt hat, veröffentlicht der renommierte Berliner Philosoph und Nietzsche-Spezialist Volker Gerhardt eine philosophische Theologie. "Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche" lautet der Titel der Studie, in der Gerhardt die Rationalität des Glaubens begründet und entfaltet. Anders als sein amerikanischer Kollege Ronald Dworkin ("Religion ohne Gott") verzichtet Gerhardt dabei nicht auf einen personalen Gottesbegriff, ja er zeigt, dass es vor dem Hintergrund der Erfahrung individueller Personalität durchaus plausibel ist, auch im Zentrum des Ganzen der Welt ein personales Gegenüber zu denken.

Allerdings darf man sich dieses Gegenüber nicht als gegenständlich existierend vorstellen. Gerhardt könnte darum mit Dietrich Bonhoeffer sagen: "Einen Gott, den 'es gibt', gibt es nicht."

Ausgangspunkt von Gerhardts Analyse ist das alltägliche Phänomen des Glaubens. Jede und jeder glaubt in einem weiten Sinn: dass auch morgen die Sonne wieder aufgeht, dass das Gehalt gezahlt wird, dass das Leben einen Sinn hat. Und es ist keineswegs so, dass dieser Glaube in einem Widerspruch zum Wissen steht, im Gegenteil: Glauben und Wissen lassen sich nicht trennen, sie sind vielmehr aufeinander angewiesen. Denn wir müssen an unser Wissen glauben und erst recht an einen das Ganze der Welt und des Wissens fundierenden Sinn. Der Glaube ist, so gesehen, eine bestimmte Einstellung zum Wissen. Es geht Gerhardt hier um Glauben im Sinne von Vertrauen, nicht um ein Fürwahrhalten unbeweisbarer Tatsachen.

Wenn nun dieses Grundvertrauen ins Dasein sich reflexiv und affektiv auf das Ganze von Selbst und Welt bezieht, ist, so Gerhardt, die Schwelle zum religiösen Glauben überschritten. Denn die in diesem Akt vorausgesetzte Einheit von Selbst und Welt könne "gar nicht anders als göttlich begriffen werden" - im Einklang jedenfalls mit einer großen Tradition, die Gerhardt in der Philosophie bei Heraklit beginnen lässt und deren Fortgang er über Parmenides, Platon und Paulus bis hin zu Kant skizziert. Mit Platon und Kant ist es ihm dabei wichtig, das Göttliche nicht in ein Jenseits der Welt zu verlegen, sondern als sinnstiftende und tragende Instanz des Ganzen zu verstehen - als "Sinn des Sinns". Er kann vor diesem Hintergrund auch sagen: "Für den Gläubigen ist Gott die Welt, mit der man eins sein kann."

Als christlicher Theologe fragt man sich bei solchen und anderen Sätzen allerdings, ob hier nicht die Differenz zwischen Gott und Welt zu sehr eingeebnet wird. Als philosophisch gebildeter Atheist hingegen mag man sich gelegentlich auch an die Tradition der Gottesbeweise erinnert fühlen. Diese will Gerhardt zwar nicht erneuern, aber seine Argumentation läuft schon darauf hinaus, dass wir als denkende Menschen nicht umhin können, "ein Göttliches anzunehmen, das allem Bedeutung verleiht".

Zur Kirche, in die er nach 25 Jahren wieder eingetreten ist, hat er ein wohlwollendes Verhältnis, würdigt ihren Beitrag zum Aufbau einer humanen Weltkultur und mahnt sie zur Unabhängigkeit gegenüber dem Staat.

Volker Gerhardts Überlegungen kommen wie in einem Kaleidoskop aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder auf die zentralen Begriffe des Ganzen, des Sinns und des Göttlichen zurück. Momente der Wiederholung, Variation und Vertiefung empfehlen das Buch nicht unbedingt zur Lektüre zu vorgerückter Stunde. Um die Vieldimensionalität und Komplexität dieser Erörterung des Sinns des Sinns zu erfassen, braucht es unbedingt einen wachen Geist. Der allerdings profitiert von dieser philosophischen Theologie auf der Höhe der Zeit.

Volker Gerhardt: Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche. Verlag C. H. Beck, München 2014, 357 Seiten, Euro 29,95.

Jörg Herrmann

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V. Meißner/M.Affolderbach (HG.): Handbuch christlich-islamischer Dialog

Kompendium

Christlich-islamisch
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Das umfangreiche Werk wendet sich an Leser, die aus beruflichem oder privatem Interesse mehr über die Grundlagen, Chancen und Stolpersteine im interreligiösen Dialog erfahren wollen.

Der christlich-islamische Dialog hat viele Gesichter und Facetten. Seine Akteure sind so unterschiedlich wie seine Themen und Ziele. Auch die theologischen und institutionellen Dialogvoraussetzungen von Christen und Muslimen können weit auseinander liegen. "Ihr Leute der Schrift, kommt zu einem zwischen uns und euch gemeinsamen Wort", lud der Koran schon vor 1.400 Jahren ein. Muslime finden in ihrem heiligen Buch zahlreiche Aussagen über Christen. Der Tonfall ist jedoch nicht immer wertschätzend, sondern zuweilen auch ablehnend. Dagegen können Christen in ihrer heiligen Schrift über den nachbiblischen Islam natürlich nichts finden. Es hat bis in die Sechzigerjahre hinein gedauert, bis sich zunächst die katholische Kirche und später auch die protestantischen Kirchen dialogbereit gegenüber Muslimen zeigten. Seitdem haben Christen und Muslime viele Erfahrungen im theologischen Austausch und im praktischen Zusammenleben gemacht. Viele davon sind im "Handbuch Christlich-Islamischer Dialog" des Herder-Verlags zusammengetragen. Das umfangreiche Werk wendet sich an Leser, die aus beruflichem oder privatem Interesse mehr über die Grundlagen, Chancen und Stolpersteine im interreligiösen Dialog erfahren wollen.

Vor allem der zweite Buchteil, in dem jeweils ein christlicher und ein muslimischer Theologe gemeinsam Themen darstellen, bietet eine Fülle an Informationen. So werden Jesus als Gottessohn, die Menschenrechte unter Einschluss der Religionsfreiheit oder das Gebetsverständnis aus Sicht beider Religionen erklärt. Anstelle der oft strapazierten Gemeinsamkeiten in der religiösen Überlieferung stehen die gemeinsamen Herausforderungen im Vordergrund. Dabei werden auch Differenzen und häufige Missverständnisse deutlich herausgestellt. So sind gemeinsam gesprochene Gebete wegen des unterschiedlichen Gottesverständnisses kaum möglich. Das spricht jedoch nicht gegen religiöse Feiern, zu denen Christen und Muslime abwechselnd ihre Gebete beitragen.

Der dritte Buchteil ist der interreligiösen Praxis in Deutschland gewidmet. Die Autoren der einzelnen Abschnitte gehen auf Bereiche wie die Schul- und Jugendarbeit ein, stellen Projekte vor oder geben Hinweise für die Auseinandersetzung mit extremistischen Einstellungen. Jedoch ist dieser Teil des Buches keine Sammlung von Best-Practice-Beispielen im üblichen Sinne. Die meisten Abschnitte informieren eher, als dass sie sich zur direkten Nachahmung anbieten.

Eine Übersicht über die wichtigsten christlichen, muslimischen und interreligiösen Organisationen und Initiativen, die sich überregional im Dialog engagieren, rundet das Buch ab. Auch die Situation in Österreich und der Schweiz wird knapp dargestellt. Ein lokaler Moscheeverein kann allerdings deutlich dialogkritischer sein als die beschriebenen islamischen Organisationen, die zusammen die große Mehrzahl der Moscheen repräsentieren. Das gilt umgekehrt auch für Kirchengemeinden, die kein Interesse an Moscheen in ihrem Umfeld zeigen können. Der Dialog hängt immer von einzelnen Menschen ab.

Als Übersicht und Nachschlagewerk ist das knapp 500-seitige Buch ein sehr hilfreiches Kompendium. Mehr als 50 Autoren haben ihre Erfahrungen zusammengetragen. Viele von ihnen sind seit Jahrzehnten im Austausch zwischen den Gläubigen aktiv. Wer zu einem Thema mehr Informationen haben möchte, findet am Ende eines jeden Abschnitts Literaturempfehlungen.

Volker Meißner/Martin Affolderbach/ Hamideh Mohagheghi/ Andreas Renz (Hrsg.): Handbuch christlich-islamischer Dialog. Verlag Herder, Freiburg 2014, 496 Seiten, Euro 29,99.

Andreas Gorzewski

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Reinhard Lassek: Wir vom Posaunenchor

Spaßgemeinschaft

Kurzweiliges über Posaunenchöre
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Posaunenchöre stehen nicht auf der Roten Liste, im Gegenteil, sie wachsen, sie sind besser denn je.

"Was ist ein Posaunenchor?" ist das erste Kapitel überschrieben, und dafür ist der Rezensent - posaunenchörlicher Laie - dankbar. Zwar hört er die Blechmusik im Gottesdienst gern, zwar ist auch ihm schon aufgefallen, dass die Posaune dabei eher selten zu vernehmen ist. Doch warum dies so ist, hat er, wie so manches andere, erst aus diesem Buch erfahren: weil man ihre akustische Dominanz ebenso wie die der Trompete fürchtete. Doch steht der Name Posaunenchor für ein Programm - schließlich hat Luther sämtliche in den beiden Testamenten vorkommenden Blasinstrumente kurzerhand zu Posaunen erklärt, auch die im 150. Psalm, in dem zum Gotteslob per Posaune aufgerufen wird, weshalb er gern als biblische Auftragsurkunde aller frommen Blechbläserei angesehen wird.

Die "Erweckungsbewegung" im 19. Jahrhundert, in der der Reiz ernstlich frommen Lebens wiederentdeckt wurde, brachte - nach herrnhutischem Vorlauf - die Posaunenchorbewegung so richtig in Schwung. Die Initialzündung ging von dem Diakonie-Grafen von der Recke aus. Er lud 1843 einige Jungmänner aus dem Jünglingsverein Jöllenbeck (heute zu Bielefeld) für einen Sommer zur Arbeit in die Düsselthaler Anstalten (heute zu Düsseldorf), und dies gegen Musikunterricht und anschließende Überlassung der Blechinstrumente. Als Posaunenchor kehrten die Jünglinge zurück in ihre Heimat. Von dort (und von der Hermannsburger Mission aus, 1849) verbreitete sich die Posaunenbewegung in ganz Deutschland.

Die Geschichte ihres Erfolgs erzählt der Autor bis zu den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts entlang der Rolle einiger einflussreicher "Posaunenväter". Johannes Kuhlo etwa, 1856 bis 1941, war das, was man respektvoll ein Urviech nennt, einer, der sein ganzes Leben der Posaunenarbeit widmete und sie als lange unangefochtener Leithirsch unermüdlich vorantrieb. Nebenbei amüsierte er die feine Gesellschaft, weil er das Tragen von Strümpfen ablehnte, und imponierte, indem er zum Beispiel den Rhein durchschwamm und dabei das Flügelhorn blies. Dabei hatte er hinsichtlich des Wie und Was kirchlichen Blasens seine festen Vorstellungen, fortschrittliche für seine Zeit, aber eben auch limitierte, weshalb für Kommende genug zu tun blieb.

Kuhlo war "kerndeutsch" und kaisertreu, und weil beides, gepaart mit frommer Kauzigkeit, nicht unbedingt politische Einsichtsfähigkeit fördert, könnte man ihm verzeihen, dass er seine vaterländischen Gefühle schließlich auf Hitler und den nationalsozialistischen Staat übertrug. Aber leider, auch seine Nachfolger als posaunliche Leitfiguren, Adolf Müller (1876-1957) und Wilhelm Ehmann (1904-1989), waren bis '45 eindeutige Nazis, ohne dies später als erklärungsbedürftig anzusehen. Ehmann erwarb sich nach dem Krieg als Landesposaunenwart Westfalen und Gründer der Hochschule für Kirchenmusik Herford so überragende Verdienste in Sachen Kirchenmusik, dass man je länger je weniger nach seiner Vergangenheit fragte. Den braunen Misstönen ist ein eigenes Kapitel gewidmet, gewissermaßen als ein kleiner Giftschrank im kundig und unterhaltsam geschriebenen Buch.

Im letzten Kapitel erfahren die Leser, dass sich musikalische Amateure und kirchenmusikalische Profis nicht mehr reserviert gegenüber stehen (das taten sie einst), dass der Altersdurchschnitt der Aktiven erstaunlich niedrig ist, dass die immer zahlreicheren weiblichen Mitglieder in den Posaunenchören gern gesehen sind und überhaupt etwas über den spezifischen Korpsgeist der Posaunenchöre: die seien nicht nur Verkündigungs-Dienstgemeinschaft, sondern wesentlich auch Spaßgemeinschaft.

Das "Postludium" bilanziert nur Positives. Posaunenchöre stehen nicht auf der Roten Liste, im Gegenteil, sie wachsen, sie sind besser denn je. Reinhard Lassek, freier Wissenschaftsjournalist und langjähriger Leiter eines Posaunenchors, schildert das alles mit humorig-leichter Erzählgabe, dabei seine Quellen und wissenschaftlichen Gewährsleute sorgfältig anführend. Das Buch sei allen empfohlen, die das Tuten und Blasen in der Kirche von Zeit zu Zeit gern hören.

Reinhard Lassek: Wir vom Posaunenchor. Geschichte und Geschichten. Kreuz Verlag, Freiburg i. Br. 2014, 160 Seiten, Euro 14,99.

Helmut Kremers

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