Dieser Aufsatzband mit Texten zur Friedensethik, Friedenstheologie und Friedenspolitik wurde unmittelbar vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine veröffentlicht. Er wird damit jetzt zu einem willkommenen und klärenden Beitrag zu den kontrovers geführten Diskussionen über die Wahrnehmung friedensethischer Verantwortung in diesem Konflikt.
Der Autor der 28 in diesem Band zusammengestellten Texte, Ulrich Frey, ist weithin bekannt als eine der Schlüsselfiguren in der christlichen Friedensbewegung seit den 1970er-Jahren, vor allem in seiner Rolle als Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. (AGDF) von 1972 bis 2000. Seine zumeist für Vorträge ausgearbeiteten und ursprünglich in Zeitschriften veröffentlichten Texte hat der emeritierte Theologieprofessor Gottfried Orth herausgegeben.
Der Band selbst ist gegliedert in zwei gleichgewichtige Hauptteile von jeweils zwölf Texten mit den Schwerpunkten Friedensethik und Friedenspolitik, zwischen denen ein kürzerer Mittelteil von vier Texten steht, die sich mit freiwilligen Friedensdiensten befassen.
Im Zentrum der Texte im ersten Teil zur Friedenstheologie und Friedensethik steht die Diskussion über das Leitbild des „gerechten Friedens“, das zurückgeht auf Impulse des ökumenischen konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung in den 1980er-Jahren und sich konkretisiert in der vorrangigen Option für die Gewaltfreiheit. Behandelt werden insbesondere die Dekade zur Überwindung von Gewalt; die Internationale Ökumenische Friedenskonvokation 2011 und die Friedensdenkschrift der EKD von 2007; sowie das ethische Problem der Kriterien zur Legitimation des Einsatzes militärischer Gewalt im Rahmen von Auslands-einsätzen der Bundeswehr.
Schon 2005 hatte Ulrich Frey im Auftrag der Evangelischen Kirche im Rheinland zusammen mit einer Arbeitsgruppe eine sorgfältige Argumentationshilfe zur Friedensarbeit unter dem Titel „Ein gerechter Friede ist möglich“ vorgelegt. Die zusammenfassenden Thesen dieser Publikation sind am Ende dieses ersten Teils noch einmal abgedruckt. Die dort vorgelegte Interpretation des Leitbildes vom gerechten Frieden als ein „offener, geschichtlich-dynamischer Veränderungsprozess mit immer neuen Anstrengungen zur Verminderung oder gar Überwindung der sich wandelnden Ursachen von Unfrieden …“ gilt für den ganzen ersten Teil.
Unter den Beiträgen im kürzeren Mittelteil zu Friedens- und Freiwilligendienst verdient vor allem der Vortrag aus dem Jahr 2005 über „Ziviler Friedensdienst – der Intelligenz der Herzen vertrauen“ Beachtung. Im zweiten Hauptteil über Friedensbewegung und Friedenspolitik finden sich einerseits drei sehr umfassende und informative Texte zur Geschichte der Friedensbewegung seit den Auseinandersetzungen über die Atombewaffnung in den späten 1950er-Jahren über die großen Friedensdemonstrationen 1981–83 im Protest gegen den NATO-Doppelbeschluss bis zur Kooperation zwischen den Initiativen in Ost und West für eine neue Entspannungspolitik. Andererseits enthält dieser Teil sehr sachkundige, kritische Beiträge zum Thema der zivil-militärischen Zusammenarbeit in Konfliktgebieten, wie zum Beispiel Afghanistan; zur Problematik des erweiterten Sicherheitsbegriffs in der Politik der EU und der NATO und der Folgen für die zivile Krisenprävention; sowie einen Text aus dem Jahr 2016, der an die mittlerweile endgültig verpassten Chancen für eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts erinnert.
Der Band wird abgeschlossen durch eine historische Übersicht. Sie ordnet das hier reflektierte Friedensengagement des Autors ein in die sich wandelnden politischen Bedingungszusammenhänge. Insgesamt zeichnen sich die Texte durch die klare Sprache des geschulten Juristen aus. Das Plädoyer für die Gewaltfreiheit prägt auch die Argumentationsweise, die sich wohltuend abhebt von der gegenwärtig zunehmend polemischen Diskussion zur christlichen Friedensethik.
Die Ankündigung des Bandes spricht von „Texten aus drei Jahrzehnten“. Hinter den hier vorgelegten Beiträgen stehen jedoch die reiche Erfahrung und differenzierte Sachkunde des Autors aus mehr als fünfzig Jahren engagierter christlicher Friedensarbeit. Der Band kann daher helfen, die oft kurzatmige und geschichtsvergessene öffentliche Diskussion über Krieg und Frieden, über Abschreckung oder Entspannung als sicherheitspolitische Optionen kritisch zu überprüfen anhand der hier in Erinnerung gerufenen Einsichten und Erfahrungen der vorangegangenen friedensethischen und -politischen Debatten. Das gilt auch und vor allem für die jüngere Generation, die unvermittelt und unvorbereitet mit der Herausforderung von Krieg und Frieden in Europa konfrontiert ist. Deshalb eignet sich der Band hervorragend als Kompendium oder Lehrmaterial für Seminare oder Bildungsveranstaltungen.
Konrad Raiser
Konrad Raiser ist ehemaliger Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen in Berlin.