Eucharistie und Einheit

Über eine ökumenisch bedeutsame Pointe der Christologie im Johannesevangelium
Abendmahl
Foto: epd/Thomas Lohnes

Ende dieses Monats findet in Stuttgart der 102. Deutsche Katholikentag statt. Wieder steht die Frage des gemeinsamen Abendmahls auf der Agenda. Der Tübinger Neutestamentler Ulrich Heckel, der auch zuständiger Oberkirchenrat für Fragen der Ökumene der württembergischen Landeskirche ist, präsentiert seine Überlegungen zur Mahlgemeinschaft vor dem Hintergrund der Christologie des Johannesevangeliums.

Als biblische Begründung für die Einheit der Kirche werden im ökumenischen Gespräch meist zwei Bibelstellen angeführt: Epheser 4,5 „ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ und das Gebet Jesu, „dass sie alle eins seien“ (Johannes 17,21). Auf die einschlägigen Passagen im Epheserbrief hat sich bereits 2007 die Magdeburger Erklärung berufen (vergleiche zz 4/2020).

Auf diesen Spuren bewegt sich auch das Votum des ökumenischen Arbeitskreises „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ aus dem Jahre 2019. In dem Gutachten wird ausführlich mit dem Johannesevangelium argumentiert. Allerdings werden dabei wichtige Aspekte außer Acht gelassen. So wird der innere Zusammenhang übersehen, der zwischen dem Gebet Jesu um die Einheit in Johannes 17,21 („dass sie alle eins sein“) und der Brotrede Jesu in Johannes 6,56 besteht („Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm“). Verbindet man beide Aussagen, so erweist sich auch und gerade die Eucharistie im Johannesevangelium als Sakrament der Einheit, das heißt des Eins-Seins und Bleibens in Christus, wie im Folgenden gezeigt wird.

Zunächst gilt es zu beachten, dass die Einheit der Kirche im Johannesevangelium eine überaus wichtige Rolle spielt. Dies zeigt schon die sogenannte Hirtenrede Jesu in Johannes 10. Dort wird mit dem Gedanken der Einheit ein neuer Aspekt ins Bildfeld eingeführt, das eingangs vom Stall mit der Tür, den Schafen, dem Türhüter und Hirten sowie Dieben und Räubern gezeichnet wird. Demgegenüber ist Jesus der wahre gute Hirte (10,11), der sein Leben für die Schafe lässt. Dann kommt in 10,16 die Einheit zur Sprache:

„Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.“

Zur Einheit wird die eine Herde also durch den einen Hirten, der durch seine Lebenshingabe die Schafe nicht nur zu „seinen“ (10,14) „eigenen“ (10,3f) macht, sondern auch ihre Einheit begründet, sie herbei- (10,16) und zur Einheit zusammenführt (11,52). Diese Beziehung wird noch weiter ausgestaltet durch das Rufen und Hören (10,3.16.27), Vorangehen und Nachfolgen (10,3f.27) sowie wechselseitige Kennen (10,14). Durch dieses Eins-Werden der Herde mit dem einen Hirten werden die Gläubigen in die Beziehung zum Vater hineingenommen, „wie“ der Vater den Sohn kennt und der Sohn den Vater (10,15), der Vater den Sohn liebt (10,17) und dieser den Vater (14,31).

Keine Schäferidylle

Historisch betrachtet wird die Einheit im Johannesevangelium so stark hervorgehoben, weil sie durch Konflikte in den johanneischen Gemeinden belastet ist. Gezeichnet wird keine Schäferidylle, sondern das Bild einer schweren Krise durch äußere und innere Gefährdung. Die Bildrede beginnt mit der Bedrohung von außen durch den Dieb und Räuber, der nicht durch die Tür in den Stall hineingeht, sondern anderswo einsteigt (10,1). Dann folgt der Wolf (10,12), der zur Abfassungszeit bereits ein feststehendes Bild für Irrlehrer ist. Gemeint sind die Irrlehrer, die leugnen, dass Christus „im Fleisch“ gekommen, das heißt, wirklich Mensch geworden ist (1,14; 1. Johannes 4,2f). Die Bedrohung von außen wird zur Gefahr von innen durch die schillernde Gestalt des Mietlings, das heißt einen Lohnknecht, der angesichts dieser Bedrohung flieht (10,12f).

Dass die Einheit der Herde durch das Hören auf die Stimme des guten Hirten entsteht (10,3.16.27), weist auf den Gottesdienst als Sitz im Leben der Gemeinde hin. Dafür finden sich im Neuen Testament zahlreiche Hinweise – auch im Johannes­evangelium: Dass die Jünger acht Tage nach Ostern wieder beieinander sind (20,26), entspricht dem Zeitraum einer Woche und macht den „ungläubigen“ Thomas zum Prototyp eines Gläubigen, der am sonntäglichen Gottesdienst teilnimmt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ (20,29). Hier lehrt der Heilige Geist durch das Zeugnis des Johannesevangeliums (14,26; 20,30f; 21,24f). Hier geschieht die Anbetung im Geist und in der Wahrheit (4,23f) vom Eingangshymnus (1,1–18) bis zum Bekenntnis des Thomas: „Mein Herr und mein Gott!“ (20,28). Hier wird für die Einheit gebetet (17,11.21–23). Hier gilt es, angesichts der Spaltungen das Eins-Werden der einen Herde mit dem einen Hirten zu bewähren. Hier werden die Sünden vergeben (20,21–23). Hier empfangen die Gläubigen Taufe (3,3.5.22) und Eucharistie (6,50–58), bleiben am Wort Jesu und bewahren es (8,31.51; 15,7; 17,6), hören die Stimme des einen Hirten, der die Einheit ihrer Herde begründet (10,16).

Kommen wir nun zur ökumenisch zentralen Stelle, den bereits teilweise zitierten Versen 17,20f:

„Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.“

Gattungswechsel vollzogen

Viermal betet Jesus für das Eins-Sein der Seinen (17,11.21–23). Im Erzählkontext knüpft das Gebet zum Abschluss der Abschiedsreden bei der Ausgangssituation an, dass die Stunde des Abschiednehmens gekommen ist (17,1). Zugleich nimmt es schon die Perspektive des Auferstandenen vorweg, der nicht mehr in der Welt ist, aber für die bittet, die jetzt in der Welt sind, das heißt für die nachösterliche Gemeinde (17,11). Zudem wird mit Kapitel 17 ein Gattungswechsel vollzogen von den Abschiedsreden zum Gebet, so dass das Eins-Sein nicht mehr als Gegenstand der Paränese, also der Ermahnung und Unterweisung, sondern der Fürbitte erscheint. Das ist keinesfalls trivial, denn damit ist das Eins-Werden kein menschliches Werk, auch kein Ergebnis von Verhandlungen, sondern eine göttliche Gabe, die durch das Verb „geben“ als Schlüsselwort markiert wird, das allein 17-mal in diesen Versen vorkommt.

Dies kann hier nicht weiter ausgeführt werden, aber auf jeden Fall ist das Eins-Sein der Gläubigen mehr als eine bloße Analogie zur göttlichen Liebeseinheit. Das Eins-Werden zielt auf die Vereinigung mit Gott, wie die Einheitsaussagen in 17,20–23 zeigen. Das Eins-Sein ist ein In-Sein, nämlich ein Sein „in uns“, das heißt, wie der Vater im Sohn und der Sohn im Vater ist (17,21). Mit dieser In-Existenz sind zwei Achsen des Eins-Seins angesprochen, nämlich einerseits die dargestellte innergöttliche Liebesgemeinschaft zwischen Vater und Sohn („wie wir“), andererseits die persönliche Beziehung des Christusglaubens, die in diese göttliche Einheit („in uns“) einbezogen wird. Am Eins-Sein Jesu mit Gott bekommen die Menschen Anteil, indem sie in diese Einheit Jesu mit Gott – wechselseitiges Kennen, innige Verbundenheit und vollkommene Liebesgemeinschaft – hineingenommen werden (17,21–26).

Noch eine wichtige, einheitsstärkende Beobachtung: Jesus bittet nicht allein „für diese“ (17,20; 17,9), die das Wort Gottes schon empfangen und bewahrt haben, sondern für „alle“ (17,21), also auch für die Gläubigen der nachösterlichen Zeit, die nicht mehr durch die persönliche Begegnung mit Jesus zum Glauben kommen, sondern vermittelt „durch das Wort“ der Zeugen (17,20; 20,18.29).

Einen Bericht von der Einsetzung des Abendmahls überliefert das Johannesevangelium anders als die übrigen Evangelien zwar nicht, unverkennbar sind jedoch vielfältige Anspielungen, die sich auch mit der Thematik des Eins-Seins berühren. Was Johannes zur Eucharistie zu sagen hat, wird in seiner sakramentalen Bedeutung vor allem in Kapitel 6 ausgeführt von der Speisung der Fünftausend (6,1–15) bis zur eucharistischen Deutung (6,51–58). Diese Deutung wird nicht erst am Ende von einem Redaktor hinzugefügt, sondern bestimmt den Gedankengang von Anfang an. Die Wendung „er nahm die Brote, dankte und gab“ erinnert an die „klassische“ Abendmahlsüberlieferung (Lukas 22,19 und 1.Korinther 11,23f) und wird nach Ostern beim Mahl mit dem Auferstandenen am See Genezareth wiederaufgenommen (Johannes 21,13 und Lukas 24,30). Wie dort das Netz, „das nicht zerriss“ (21,11), auf die Einheit der Kirche anspielt, könnte auch das „Sammeln“ der übrigen Brocken in den zwölf Körben, „damit nichts verlorengeht,“ auf eine Sammlung des endzeitlichen Gottesvolkes verweisen.

In der Rede in Johannes 6 wird Jesus durch ein Ich-bin-Wort exklusiv als das wahre Lebensbrot identifiziert, das vom Himmel kommt. Was dort von Christus als Lebensbrot in Person gesagt ist (6,27), wird schließlich auf die Eucharistie übertragen: „Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt“ (6,51). Jesus ist nicht nur der Geber, sondern zugleich auch die Gabe, die er „geben wird“ und bei der Einsetzung des Mahles „gegeben hat“ (Markus 14,22). Die Einsetzung des Abendmahls ist hier aus der nachösterlichen Perspektive des vierten Evangeliums in den johanneischen Gemeinden als bekannt vorauszusetzen, kann im Erzählstrang für die Jünger aber nur futurisch (6,27.51c) angekündigt werden, da die Stunde des Abschiednehmens beim letzten Mahl noch nicht gekommen ist (13,1; 17,1).

Die in Johannes 6 vorgenommene Gleichsetzung des „Brots“ mit dem „Fleisch“ erinnert an die Einsetzungsworte bei Lukas und im 1. Korintherbrief: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“, ebenso das pointiert wiederholte „mein Fleisch“ und „mein Blut“. Die endzeitliche Perspektive dieser innigen eucharistischen Verbundenheit in Johannes 6 wird in den In-Existenz- und Immanenz-Aussagen der Abschiedsreden in den Kapiteln 14 bis 17 des Johannesevangeliums fortgeführt, indem die Glaubenden in Jesu Verhältnis zum Vater einbezogen werden: „An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch“ (14,20). Dazu gehört auch das Bleiben am Weinstock (15,4–9).

Am Ende steht die Fürbitte Jesu, dass das wechselseitige Eins-Sein im ewigen Leben vollkommen sein wird (17,21–24). So ist in der Eucharistie schon gegenwärtig (6,56), was das Gebet Jesu für die Vollendung ankündigt (17,23), nämlich das endgültige wechselseitige Verbunden-Bleiben in dieser Liebe (17,21–26) wie im Eins-Sein von Vater und Sohn: „Die communio wird zur unio!“ (Michael Theobald). Damit wird die Eucharistie zum Sakrament der Einheit, nämlich der Einheit in Christus.

Aus diesen Überlegungen ergeben sich meines Erachtens klare Folgerungen für die Ökumene. So wie die eingangs erwähnte Magdeburger Erklärung von 2007 die wechselseitige Anerkennung der Taufe „als ein Zeichen der Einheit aller Christen“ proklamiert, sollten künftige ökumenische Übereinkünfte die gegenseitige Zulassung und Einladung zum Abendmahl und zur Eucharistie in den Blick nehmen, weil sie eben biblisch schlicht so ein Zeichen der Einheit sind – insbesondere wenn man die skizzierten Gedankengänge im Johannesevangelium beachtet und zu Herzen nimmt.

Um die Pointe gebracht

Ist die Taufe – wie erwähnt – als Sakrament der Einheit akzeptiert, so stellt sich umso schmerzlicher die Frage, warum die Eucharistie immer noch das Sakrament der Spaltung ist. Warum die Taufe den Zugang zum Reich Gottes eröffnet (3,5.22), das Sein und Bleiben in Christus in der Mahlfeier (6,56) aber verwehrt bleiben soll – das ist ein krasser Widerspruch.

Die römisch-katholische Unterscheidung zwischen „einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft“ durch die Taufe und der „vollen Gemeinschaft“ (so in Unitatis Redintegratio, einem Dokument des Zweiten Vatikanums) „durch das wunderbare Sakrament der Eucharistie …, durch das die Einheit der Kirche bezeichnet und bewirkt wird“, ist weder johanneisch noch paulinisch. Eine solche Abstufung bringt vielmehr das Bild vom Leib um seine Pointe, da es angesichts der Spaltungen beim Herrenmahl, wie es in 1. Korinther 10,16f. geschildert wird, eigentlich auf die volle Zugehörigkeit gerade der schwächeren Glieder am Leib Christi zielt (1. Korinther 12,12–27).

Daher erscheint es dringend notwendig, dass sich das ökumenische Gespräch noch einmal neu auf das Johannes-evangelium zurückbesinnt, um von dort ausgehend verstärkt um das Verständnis der Eucharistie und seine Bedeutung als Sakrament der Einheit zu ringen, die es als Gabe zu bewahren, also heute neu wiederzugewinnen gilt. Merke: In den johanneischen Gemeinden war nicht das Amt des Petrus der Stein des Anstoßes, sondern das Bekenntnis zur Inkarnation Jesu Christi, das – wie dargestellt – zur Spaltung geführt hat.

Anders gesagt: Besteht im Bekenntnis zur Menschwerdung des Gottessohns Einigkeit unter den Konfessionen, so ist der „Testfall“ bestanden und gibt es nach dem Johannesevangelium keinen Grund für die Trennung bei der Eucharistie. Mehr als dieses Bekenntnis bedarf es nicht zur vollen Gemeinschaft und Einheit der Kirche.

Diese eucharistische Pointe der johanneischen Christologie hat das eingangs erwähnte Votum „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ übersehen. Hätte es diesen Zusammenhang erkannt, hätte es das Gebet Jesu, „dass sie alle eins seien“ (Johannes 17,21), mit jenem Wort aus der Brotrede (Johannes 6,56) verbinden, „ein gemeinsames ‚Grundeinverständnis‘“ herausstellen, auch die Eucharistie wechselseitig als Sakrament der Einheit anerkennen und alle, die sich zum Fleisch gewordenen Gottessohn bekennen, wechselseitig zur Eucharistie als Sakrament der Einheit einladen können: „Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.“ 

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Foto: Evangelische Landeskirche in Württemberg

Ulrich Heckel

Dr. Ulrich Heckel ist Oberkirchenrat und Leiter des Dezernats Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Neues Testament an der Universität Tübingen.


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