Gut zu Fuß

Fotografien, Malereien, Skulpturen, Videoarbeiten: Die Frankfurter Schirn fordert „Walk!“
Sebastián Díaz Morales: Pasajes III, 2013.
Foto: Schirn Frankfurt / Main
Sebastián Díaz Morales: Pasajes III, 2013

Zumindest die letzte Strecke bis zur Frankfurter Kunsthalle Schirn ist zu Fuß zurückzulegen – und sei es nur das Stück von der U-Bahn-Station oder dem Parkhaus. Es empfiehlt sich, den Weg bewusst zu laufen, weil das schon auf die Museumsschau vorzubereiten und geradewegs zum Teil davon zu werden vermag. Unter dem passend nachdrücklichen Titel „Walk!“ widmet sich die Schirn bis zum 22. Mai dem Gehen in der zeitgenössischen Kunst. Rund hundert Arbeiten von vierzig internationalen Künstlerinnen und Künstlern haben die Kuratoren Fiona Hesse und Matthias Ulrich zusammengetragen – Fotografien, Malereien, Skulpturen, Dokumentationen von Performances, vor allem aber Videoarbeiten. Dem Gehen als sozialem Phänomen widmen sich alle, explizit oder eher am Rande. Und auch wenn sich dem ersten flüchtigen Blick in die Schau vor allem eben eines darbietet, gehende Personen, bezeugt sie große Vielfalt und gibt reichhaltige Anregungen.

Groß ist auch der kulturhistorische Hintergrund, den man einholt. Er reicht von der Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Dichter Charles Baudelaire das Flanieren als typisches Verhaltensmerkmal moderner Großstädter erkannte und zum Ausgangspunkt seiner Lyrik nahm, bis in die unmittelbare Gegenwart. Die „Walking Art“ der 1960er- und 1970er-Jahre, eine Spielart der „Land-Art“, bestimmt das Gehen geradezu als künstlerische Praxis; ihr in der Ausstellung mehrfach vertretener britischer Pionier Hamish Fulton bewertet es als Kunstwerk auf Zeit, worin ihm jüngere Künstler wie der Schweizer Jan Hostettler folgen, deren Geh-Dokumentationen ebenfalls zu sehen sind. Hostettler spürt im Gehen seinem jeweiligen Umfeld nach; zugleich ist ihm an der Wahrnehmung seiner selbst gelegen, wie nicht zuletzt sein Bleiabguss der eigenen Füße zeigt. Er fertigte ihn an, nachdem er eine Strecke von insgesamt dreitausend Kilometern zurückgelegt hatte. Der in Berlin lebende Künstler Hiwa K ist einer derjenigen, die hier für dezidiert politische Aspekte stehen. Er reflektiert in einer Video­installation seine Biografie als Einwanderer aus dem Irak. Ein kompliziertes Gebilde aus Stangen und Spiegeln, Sinnbild einer komplexen, brüchigen Identität, balanciert er, während er Teile der Fluchtroute noch einmal nachgeht und über das Verhältnis zu seiner Mutter sinniert. Noch weitere Arbeiten zeigen eigenwillig ausstaffierte Menschen: Die afghanische Performancekünstlerin Kubra Khademi hat ihren Oberkörper in eine Rüstung gezwängt und geht so durch die Straßen von Kabul, um sexuelle Belästigung anzuprangern. Anderswo steht wieder mehr das Allgemein-Menschliche im Fokus: Die fünfteilige Videoarbeit „Pasajes“ (Gänge) zeigt den Argentinier Sebastían Díaz Morales an verschiedenen Plätzen in Buenos Aires, an verkehrsreich-hektischen und weniger betriebsamen.

Am stillsten wirkt naturgemäß ein Friedhof, der Endpunkt aller irdischen Wege des aufrecht gehenden Menschen. Wie bei jedem Spaziergang lohnt es auch bei demjenigen durch diese Schau, sich Details am Rande zu widmen. Angesichts der zahlreichen Bewegtbild-Kunst kann das aber auch ermüden. Da trifft es sich gut, dass die Schirn ein klassisch-modernes Kontrastprogramm bietet. Parallel ist eine Schau mit unangepassten Künstlern während der NS-Zeit zu sehen. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die zuletzt auch mit Ausstellungen über Paula Modersohn-Becker und Kara Walker praktiziert wurde, bleibt in diesem Museum Programm. Aber überzeitlich wirkt per se schon der Weg durch „Walk!“. Aspekte des Ewigen eröffnen sich in vielen von den gehenden Kunstschaffenden dokumentierten meditativ wirkenden Naturansichten. 

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