Überzeugend

Neue Deutung zum Judentum

Jesus von Nazareth verbindet die Religionsgeschichte des Christentums mit der des Judentums. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie begleitet das Christentum seit seinen Anfängen. Und doch wird die christliche Theologie durch diese historische Tatsache vor Herausforderungen gestellt. Denn die christliche Deutung des Juden Jesus von Nazareth wirft eine Frage auf: In welchem Verhältnis stehen Judentum und Christentum zueinander? Eine Frage, die vor dem Hintergrund der leidvollen Geschichte jüdischen Lebens in Europa und Deutschland nicht nur theologische, sondern auch gesellschaftspolitische Brisanz hat. Der Wiener Systematiker Christian Danz hat sich diesem Problem in seinem neuen Buch gestellt und eine überzeugende Antwort vorgelegt.

Seine These darin lautet im Kern: Die christliche Deutung von Jesus Christus, die in der dogmatischen „Christologie“ formuliert wird, hat allein innerhalb des Christentums ihren Ort. Die Christologie ist keine gegenständlich-realistische Lehre über den Mann aus Nazareth. Sie hat vielmehr die reflexive Funktion, Religion in der christlichen Binnenperspektive zu beschreiben: Als Aneignung des Gottesgedankens durch einen Einzelnen – dafür ist Jesus symbolischer Repräsentant und unverzichtbare Bezugsgröße. Diese genuin christliche Sicht auf Jesus eignet sich jedoch nicht dazu, sie auf das Judentum zu übertragen. Gleiches gilt für den damit verbundenen christlichen Gottesgedanken. Deshalb ist von einer jüdischen Übertragung abzusehen. Für Danz wird die christliche Theologie nur durch eine solche Selbstbeschränkung der Anerkennung des Judentums als eigenständiger Religion gerecht.

Die Neuheit dieses Ansatzes wird deutlich, wenn man sich die theologischen Konzeptionen vor Augen führt, gegen die Danz sich in seinem Buch wendet. Vor dem Hintergrund des Holocausts haben nach dem Zweiten Weltkrieg drei unterschiedliche Stränge das Judesein Jesu als konstitutives Element für die christliche Theologie beschrieben und auf das Verhältnis zum Judentum übertragen. So wurde die Christologie zum einen mit der Idee des Bundes Gottes mit Israel verbunden: Beide Religionen werden als Gestalten des einen Gottesbundes interpretiert. Dabei wird das Christentum in den Rang einer Art „Judentum für die Völker“ erhoben. Dies führt jedoch letztlich zu einer Vereinheitlichung beider Religionen. Ihre jeweilige Eigenständigkeit wird damit unterlaufen, was weder dem Christentum noch dem Judentum gerecht wird. Gleiches gilt zum zweiten für solche Theorien, die das Judentum in die Christologie integrieren, indem das Christentum zum Beispiel als Bestätigung des Bundes Gottes mit Israel formuliert wird. Dadurch verkommt das Judentum jedoch zu einer defizitären Vorstufe des Christentums. Eine christliche Höherstellung ist die Folge. Zum dritten wurden religionstheologische Konzeptionen formuliert, die durch die Formulierung übergeordneter Kategorien keine Eigenständigkeit der beiden Religionen mehr ermöglichen.

Danz’ kritische Auseinandersetzung mit den bisherigen christlich-theologischen Deutungen des Judentums ist in der Analyse einleuchtend. Sein eigener Vorschlag überzeugt sowohl im Hinblick auf die christologische Konzeption als auch in der Verhältnisbestimmung zum Judentum. Dabei gelingt es ihm, das Eigenrecht der einzelnen Religionen zu behaupten und zugleich ein auf Anerkennung basierendes Verhältnis zwischen den beiden Religionen zu beschreiben, dem jedwede Gedanken der Überbietung oder Höherstellung fernliegen. In dieser Perspektive bietet es eine erfrischende Grundlage für einen christlich-jüdischen Dialog auf Augenhöhe und für den Widerstand gegen den anwachsenden Antisemitismus.

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Foto: Mario Brink

Gregor Bloch

Gregor Bloch ist Pfarrer und theologischer Mitarbeiter des Evangelischen Bundes Westfalen und Lippe. Er wohnt in Detmold.


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