Hölderlin authentisch

Neue Erinnerungsstätte in Lauffen am Neckar
Theaterscheinwerfer
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de

Die Orte der deutschen Dichter haben eine starke Anziehungskraft. Tausende Besucher staunen bei Goethe, Schiller, Hölderlin. Dabei ist an den vermeintlich historischen Orten wenig ursprünglich. Am Goethehaus in Weimar ist fast nichts echt. Schillers Geburtshaus in Marbach steht genau neben dem historischen Grundstück, wo es eigentlich stand. Vielleicht sind die Beschläge am jetzigen Scheunentor noch echt. Und das Wahrzeichen Tübingens, der Hölderlinturm, ist 1875 neu erbaut worden. Der alte Hölderlinturm ist nämlich bis aufs Fundament abgebrannt. Das Nürtinger Hölderlinhaus ist in den 250 Jahren nach Hölderlins Geburt so häufig umgebaut worden, dass man auch nicht mehr sagen kann, was echt ist.

Aber ein Haus gibt es, das so sehr original ist, dass Hölderlin darin im erhaltenen Treppenhaus als kleiner Bub die Treppenstufen herunterrutschten konnte: das neu entdeckte Hölderlinhaus in Lauffen am Neckar, wo Friedrich Hölderlin vor 250 Jahren auf die Welt gekommen ist. Mindestens von 1772 bis 1774 lebte der kleine Hölderlin darin und spielte dort – mutmaßlich auch rutschend.

Nach einer Totalsanierung für 5,5 Millionen Euro war es gerade fertig, als Corona ausbrach, am 2. Juli wurde es vorsichtig nun für Besuchende geöffnet. Die können einiges sehen. Die Denkmalpfleger und die Handwerker haben ganze Arbeit geleistet. Ihnen half, dass das Haus innen nie groß verändert wurde. Eine alte Zentralheizung aus den letzten Jahrzehnten gab es nicht, selbst die Stromleitungen sind noch uralt ganz auf Putz verlegt worden. Nicht nur das Treppenhaus, gewendelt um einen Baumstamm, der sich durch alle Stockwerke hochzieht, ist original. Die alten himmelblauen Wände wurden restauriert, im oberen „Sommerzimmer“ ist die alte Stuckdecke erhalten, im Zimmer daneben sogar noch der alte Bretterfußboden.

Neben dem Haus wurde ein moderner Anbau aus Beton hingestellt – hier können Veranstaltungen stattfinden, ein kleines Café und ein Aufzug wurden eingerichtet. Dort kann man sogar ein neues Parfüm kaufen – ganz Hölderlin: „Oxymoron“. Dieser Begriff der Sprachwissenschaftler steht für Wörter, die in sich widersprüchlich sind. Hölderlin war ein Meister im Erschaffen solcher Wörter: „heilignüchtern“, „langsamtraurig“ oder „mutatmend“.

„Hölderlin ist eine dem Deutschen verwandte Sprache“ stellte Oskar Pastior 1995 analytisch fest. So will die Ausstellung das originale Haus in den Vordergrund stellen, will nicht den großen Dichter in seinen Werken feiern, sondern zeigen, wie Hölderlin als Junge, Schüler, Bruder und Sohn heranwuchs. In der Ausstellung daneben geht es um den Liebhaber und Freund. Beides in einer doppelten Ansicht: in der Außendarstellung Hölderlins und in der privaten Innenansicht.

Spielerisch geht es weiter; in einem Raum hört man ein Gedicht Hölderlins, während verschiedene Projektoren die Wörter des Gedichts an die Wände werfen. Das Zimmer ist so ein echter Klangkörper! Und es gibt eckige Globen, die man drehen kann, zur Philosophie, Politik, Religion Hölderlins.

Das Haus war bisher der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Es wurde erst vor einigen Jahren buchstäblich „entdeckt“ als Hölderlins Bleibe, nachdem sein Vater gestorben war und die Mutter mit Kindern, Schwester und Schwiegermutter aus der herzoglichen Dienstwohnung im Kloster ausziehen musste. Die Frauen sollen in diesem „Frauenhaus“ gut miteinander ausgekommen sein, ist überliefert. Groß genug ist es ja. Und einmalig echt.

 

Hinweis:

Hölderlinhaus, Nordheimer Straße 5, 74348 Lauffen am Neckar

Öffnungszeiten: Do, 17 – 20 Uhr, Sa und So 13 – 18 Uhr. Nur für Individualbesucher nach vorheriger Anmeldung, coronabedingt.

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