„Oh, ich kauf’ mir was. Kaufen macht so viel Spaß. Ich könnte ständig kaufen gehen. Kaufen ist wunderschön.” Herbert Grönemeyers Kaufrausch-Song singend machen sich meine Töchter frech über mich lustig, als ich ihnen mein neues cooles Hemd zeige.
„Unsere Welt ist für Kaufende gemacht“, stellt Sibylle Berg in ihrer Spiegel-Kolumne fest: „Das neue Jahrzehnt wird bei denen, die nicht zu den hunderttausenden Wohnungslosen in Deutschland gehören oder zu der Gruppe der Hartz-IV-Empfänger, deren Leistungen um 174 Millionen Euro gekürzt wurden, als das Jahr des kritischen Konsums in die Geschichte eingehen.“
Dem ist kaum etwas hinzufügen. Außer die noch ernstere Einsicht des amerikanischen Philosophen Michael J. Sandel, dass in unserer Welt inzwischen fast alles käuflich geworden ist: vom Zellen-Upgrade im US-Knast bis hin zum Schwarzmarkt für Arzttermine in den Spitzenkliniken ausgerechnet in Peking: „Man bekommt, was man bezahlt hat.“
Sandel spricht von einer verhängnisvollen Entwicklung der Gesellschaften mit einer Marktwirtschaft hin zu „Marktgesellschaften“. Aus meiner Sicht einer der Gründe, warum immer mehr Menschen berechtigte Fragen an die Verfahrensgerechtigkeit in unserem Lande stellen. Sie nehmen wahr, dass die reale und gefühlte Ungleichheit auch in unserem Land zunimmt.
Denn, wenn alles käuflich ist, macht allein der Besitz von Geld den Unterschied aus. Dann ist alles nur noch eine Frage des Preises. Die bessere Bildung oder die bessere Medizin. Der Boden oder die Lebenserwartung. Das ist eine furchtbare, zuletzt auch die Menschlichkeit zersetzende Logik.
Wo nur noch das Geld, ausschließlich die Logik des Marktes regieren, spaltet sich die Gesellschaft in allen Lebensbereichen in Zahlungsfähige und Mittellose, in Privilegierte und Korrumpierbare. Und die aktuell in so vielen Debatten beschworenen Haltungen und Einstellungen wie Altruismus, Empathie, Großmut, Solidarität und Gemeinsinn verlieren wie ein schlechtes Wertpapier. Wenn die totale Markt-Logik sich des Diskurses bemächtigt hat, ziehen Werthaltungen schlussendlich aus den Debatten aus und hinterlassen im Miteinander eine Leere, in der nur noch die Münze klingt – oder das Ressentiment.
Wir gehen auf Karfreitag zu. Den christlichen Feiertag, dessen Grunddatum sich – Gott sei Dank – jeder Vermarktungsidee entzieht. Passion rechnet sich nicht. Die Umstände der Menschwerdung Gottes und sein Kreuzestod bleiben ein Ladenhüter.
Der Mensch gewordene Gott leidet furchtbar und stirbt einen schmachvollen Tod – wie viel zu viele Menschen auf dieser Welt. Er lebt verletzlich und verletzbar: als Säugling im Arme-Leute-Stall, als junger Mann in einem besetzten Gebiet, als Prediger der Sanftmut.
Seine Hingabe erinnert daran, dass wir alle zuerst und zuletzt von dem leben, was wir uns für Geld nicht kaufen können: von dem Zauberwort „für“. Wir persönlich, und wir als Gesellschaft.
Jesus Christus ist für unsere Marktgesellschaft ein Narr. Aber einer, der zuletzt lacht. Das dürfen wir hoffen.
Ulrich Lilie
Ulrich Lilie (geboren 1957) studierte evangelische Theologie in Bonn, Göttingen und Hamburg. Bis 2011 arbeitete er unter anderem als Krankenhausseelsorger mit dem Zusatzauftrag der Leitung und Seelsorge im Hospiz am Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf. 2011 übernahm Lilie den Theologischen Vorstand der Graf-Recke-Stiftung in Düsseldorf. Seit 2014 ist er Präsident der Diakonie Deutschland.