Sollte sie wirklich Theologie studieren? Welche Berufsaussichten hatte sie da als Frau? Es war der Vater, ein ebenso autoritär wie liberal gesonnener Pfarrer, der seine intelligente Älteste in seinen Fußstapfen sehen wollte. Und nachdem Greti sich beim Studium der Altphilologie langweilte, folgte sie seinem Wunsch und gehörte in den 1920er-Jahren dann zu den drei jungen Frauen an der Theologischen Fakultät in Zürich, die sich gemeinsam zu leidenschaftlichen Frauenrechtlerinnen entwickelten. Mut und Eigensinn bewies Greti zunächst gegenüber dem Vater: Sie heiratete noch vor dem Examen und zog mit ihrem Mann Gian, einem Ingenieur, für ein Jahr nach Sao Paulo.
Schwanger kehrte sie allein in die Schweiz zurück, um ihr theologisches Examen abzulegen und ihr Kind zur Welt zu bringen. Gerade um diese Zeit wurde in ihrem Heimatdorf Furnau in den Graubündner Bergen vergeblich ein Pfarrer gesucht, weil die Furnauer nicht willens waren, ein volles Gehalt zu zahlen. „Wie wär‘s mit Greti?“, fragte Gretis Mutter an und ja, die Furnauer wählten sie in aller Form zu ihrer Pfarrerin.
So wurde sie 1931 zur ersten Frau, der ein volles Pfarramt übertragen wurde. Mit Kind und Haushälterin zog sie in die Berge und bewährte sich als lebenspraktische Seelsorgerin, die sich auskannte mit den Sorgen der Dörfler. Ihr Mann arbeitete inzwischen wieder bei seiner Familie in Pontresina.
Die schweizerischen Kirchenräte allerdings erkannten die Wahl nicht an und auch in den Zeitungen erhoben sich Stürme der Entrüstung. Eine Volksabstimmung über die Zulassung lediger Frauen zum Pfarramt ging negativ aus. Mehr als aufreibend war die Situation für die junge Frau. Als sie wieder schwanger wurde, erfand das Ehepaar Caprez-Roffler eine neue Lösung für sich: Wenn Gian auch Pfarrer würde, dann könnten sie sich eine legale Pfarrstelle teilen, sie dann als seine „Pfarrhelferin“. So endeten die kämpferischen Jahre in Gretis Leben schon vor ihrem 30. Geburtstag.
In Zürich, wo Gian dann Theologie studierte, schloss sie sich unter dem Einfluss von Emil Brunner der ‚Oxford-Bewegung‘ an und praktizierte von da an eine pietistisch geprägte, konservative Frömmigkeit. Der Traum vom gemeinsamen Pfarramt ging in Erfüllung, als man dem Ehepaar die Spital- und Gefängnisseelsorge in Chur übertrug. Es waren sechs erfüllte Jahre für Greti, die um 1945 endeten, als ihr Vater starb und ihre mittlerweile fünf Kinder nacheinander erkrankten.
In dieser Krisenzeit gab sie ihre Ambitionen auf. Gian bekam eine Pfarrstelle im vornehmen Kilchberg am Zürichsee, Greti wirkte als Pfarrfrau, Mutter von sechs Kindern, immer noch unermüdlich mit Vorträgen und Artikeln für die Sache der Frau. Erst 1966 ergab sich noch einmal die Möglichkeit eines gemeinsamen Pfarramtes im Rheinwald, vier Jahre vor der Pensionierung. Es gelang Greti, die in der Ehe immer das Sagen hatte, ihren Mann dazu zu überreden.
Christina Caprez, die Enkelin dieser Pionierin im Frauenpfarramt, hat die Lebensgeschichte ihrer Großmutter anhand von Tagebüchern, Briefen und Befragungen genau recherchiert und sehr ausführlich dargestellt. Das macht die Lektüre etwas zäh, vermittelt aber auch einen intensiven Eindruck vom Lebensgefühl einer starken Frau, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ständig gegen die Widerstände ihrer Umwelt zu kämpfen hatte. Das Interesse der Autorin ist dabei ganz darauf fokussiert, wie Greti Caprez-Roffler Beruf und Familie zusammenzubringen suchte und eine „Ehe auf Augenhöhe“ führte. Etwas unscharf bleiben die politischen Zeitumstände, etwas unscharf auch, wie sich Greti Caprez-Roffler theologisch im Pfarramt verstand.
Angelika Obert
Angelika Obert ist Pfarrerin im Ruhestand in Berlin. Sie war bis 2014 Rundfunk- und Fernsehbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb).