Sie sind immer schon da – leider
Fast alle Stellen, so hatte ich der zeitzeichen-Redaktion frech geschrieben, für die in diesem Magazin Werbung gemacht wird, werden, zumindest gefühlt, nur für Pfarrer ausgeschrieben. Vielleicht mit Ausnahme des Hausmeisters hatte ich noch, augenzwinkernd, eingeschränkt.
Nimmt man nur als Beispiele die Stellenanzeigen der EKD in zeitzeichen aus dem vergangenen Jahr, so muss die Stelle des Referenten, der Referentin für das Referat Nord- und Westeuropa aber auch für das Referat Orthodoxie, Stipendien und allgemeine ökumenische Angelegenheiten, natürlich auch die Koordination der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 2021 und ebenso das Referat Bio- , Medizin- und Umweltethik zwingend mit einer Pfarrerin oder einem Pfarrer besetzt werden.
Ich weiß, zeitzeichen wird von sehr vielen Pfarrerinnen und Pfarrern gelesen, deshalb sind solche Stellenanzeigen sicher sehr zielgenau, aber ist es denn eigentlich zukunftsweisend für unsere Kirche, wenn wichtige Aufgaben immer von Menschen besetzt werden, die ein- und dasselbe gelernt haben, die eine ähnliche Sozialisation haben? Die, natürlich, die Welt durch die Brille eines Pfarrers, einer Pfarrerin sehen? Kann es nicht vielleicht sein, dass gerade diese Einseitigkeit bei der Bewerberauswahl ein Grund für so manches inhaltliche Problem in unserer Kirche ist?
Damit man mich nicht falsch versteht, Pfarrerinnen und Pfarrer werden dringend gebraucht, und wir haben in der Zukunft eher zu wenige. Die mit der Tätigkeit als Pfarrer zwingend verbundene Ordination ist für die kirchliche Beauftragung zum öffentlichen Dienst an Wort und Sakrament und zur damit verbundenen Seelsorge natürlich notwendig. Aber nicht jede Aufgabe im kirchlichen Bereich hat mit diesen Aufgaben unmittelbar etwas zu tun. Gibt es wirklich nur Fachleute für Nord- und Westeuropa unter Ordinierten? Kann die Koordination der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 2021 nur von einer Pfarrerin, einem Pfarrer verantwortungsvoll erledigt werden. Und sind Theologen im Pfarrdienst wirklich die einzigen Experten für Bio-, Medizin- und Umweltethik?
Nach den Zahlen der EKD (Gezählt 2019 – Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben) sind rund 2 500 Theologinnen und Theologen beurlaubt, freigestellt, zeitlich befristet tätig oder zum Dienst außerhalb ihrer Landeskirche abgeordnet. Nicht wenige von ihnen werden eine dieser Stellen besetzen.
In außerkirchlichen Bereichen wird seit Jahren versucht, eine diversere Personalpolitik zu etablieren. Unterschiedlichste Berufsqualifikationen werden bewusst eingesetzt, um Ziele in Unternehmen und Organisationen besser erreichen zu können. Doch auch diese Anstrengungen stehen noch am Anfang. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Menschen Diversität eher bei anderen favorisieren, für sich selbst es aber vorziehen, mit Personen zusammenzuarbeiten, die ihnen möglichst ähnlich sind. Über diesen Befund berichtet im September 2019 ein Forschungsteam der Universitäten Basel und Koblenz-Landau in der Fachzeitschrift Journal of Experimental Social Psychology.
Könnte dieser Wunsch nach „Ähnlichkeit“ gerade auch im kirchlichen Bereich der Grund dafür sein, dass letztlich Pfarrer am liebsten Pfarrer beschäftigen wollen? Ähnlichkeit zu präferieren, das ist, wie gesagt, typisch für viele Organisation und Unternehmen – aber wie jede Organisation hat auch die Kirche dadurch Nachteile, nämlich eine Verengung ihrer Sichtweise. Das ist umso folgenschwerer für die Kirche, da sie ja qua Auftrag Jesu die ganze Welt im Blick haben sollte. Oder, um auch hier Dietrich Bonhoeffers berühmtes Diktum zu bemühen: Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.
Für mich ist diese einseitige Stellenausschreibungspolitik aber nur ein Zeichen für eine grundsätzliche Herausforderung. In vielen Bereichen unserer Kirche sind die Pfarrerinnen und Pfarrer, außerhalb ihres unmittelbaren Auftrages, zu zentralen Playern geworden. Egal, in welches Gremium ich in meiner Kirche komme, die Pfarrer sind schon da! Trotz der vielfachen Arbeits-überlastung scheint dieser Beruf Freiheiten für Engagement zu ermöglichen, das in vergleichbar anspruchsvollen Berufen außerhalb dieser Welt leider seltener vorhanden ist.
Ich plädiere aber nicht dafür, dass diese Freiheiten eingeschränkt werden, ich plädiere nur dafür, dass bei Stellenbesetzungen im kirchlichen Bereich Pfarrerinnen und Pfarrer in der Zukunft nicht mehr ohne inhaltliche Notwendigkeit vor Menschen ähnlicher Qualifikation ohne Ordination bevorzugt werden. Ich plädiere dafür, dass unsere Kirche die diversere Besetzung von Arbeitsstellen in ihrem Verantwortungsbereich ernster nimmt. Und ich plädiere dafür, dass die Vielfalt der Berufungen in der Kirche als besondere Chance erkannt wird.
Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates e.V. .