„Kinder mit ’nem Will’n – kriegen was auf die Brill’n…“ Ich habe ihn gehasst, diesen Satz meines Vaters, mit dem mein kindliches Wollen gebrochen werden sollte! Zum Schweigen hat mich dieser Satz gebracht. Und er hat mir beigebracht, wie man mit dem Fuß aufstampft!
„Klopf an, und es wird dir aufgetan“, sagt Jesus. Ist das nicht geradezu das Gegenprogramm? Jesus will ja gerade nicht, dass die Kinder mit einem Willen was auf die Brillen bekommen. Er will sie ernstnehmen, stellt sie in die Mitte: Ihnen gehört das Himmelreich! Warum soll weniger genug sein?!!
„You can’t always get what you want“: Was die Rolling Stones in einem ihrer großen Songs beschreiben, klingt wie die Hand, die sich auf die Schulter legt: Überfordere dich nicht. Was sorgst du dich um morgen? Sieh die Lilien auf dem Feld… Mick Jagger und Keith Richards komponieren und texten diesen Song 1969 – ein entscheidendes Jahr: Der Vietnamkrieg tobt, Menschen sterben sinnlose Tode. Die Angst nimmt zu, dass die Welt erneut in Zerstörung, Krieg und Terror versinkt. Menschen gehen auf die Straße, kämpfen für eine bessere Welt. Sie wollen Freiheit. Nicht länger hinnehmen wollen sie, dass der Wille der Menschen, der Schwachen, derer, die an den Rand gedrängt sind, gebrochen wird! Aus Woodstock klingt es 1969: „We shall overcome some day!“
In diese Stimmung singt der Song nachdenklich hinein: „You can’t always get what you want.“ Aber der Song begnügt sich nicht mit dieser Verneinung: „But if you try sometimes – well you might find you get what you need.“ Du bist der Realität nicht hilflos ausgesetzt, auch nicht den Mächten dieser Welt: If you try … wenn du dich nicht zurückziehst, kannst du entdecken, dass da mehr ist als dein momentaner Wille, dass deiner Sehnsucht ein Ziel gegeben ist.
Als die Gruppe den Song einspielte, kam jemand auf die Idee, einen Chor zu engagieren für den Refrain. Sechzig Sängerinnen und Sänger des Londoner Bach-Chores sind auf der Album-Version des Songs zu hören. Da erklingt ein Chor der Engel, Botinnen Gottes. Die erinnern daran, dass des Menschen Wille nicht frei ist. Der Mensch ist Geschöpf Gottes. Nur er kann erlösen. So kann man den Refrain hören als eine Umschreibung des Vaterunsers: Dein Wille geschehe. Erst dann folgen im Vaterunser die Bitten um das, was wir für unser Leben brauchen. Das Prinzip nämlich des „Haben-Wollen“ zieht seine zerstörerische Bahn durch die Geschichte der Menschheit: Ich darf mir nehmen, was ich will. Mein Wille geschehe.
„You can’t always get what you want“: Heute können wir diese Zeile angesichts des Klimawandels beispielsweise wieder in die Welt hinein singen: Jahrhundertelang nehmen Menschen sich von der Schöpfung, was sie wollen – mehr als sie brauchen. Wir wissen: Für die Welt ist es bereits fünf nach Zwölf. Der Meeresspiegel steigt dramatisch, die Erwärmung der Erde schreitet voran. Und immer noch stoßen alle Warnungen und Versuche, umzukehren, auf Widerstände, auf Leugnen, auf: Ich will haben! Die Begierde, die Gier nach immer mehr bedroht unser aller Leben. „But if you try“: Umkehr ist nötig, Umkehr ins Leben – damit alle finden, was sie brauchen!
Gerhard Ulrich
Gerhard Ulrich war bis vor kurzem Landesbischof der evangelischen Nordkirche und ist Herausgeber von zeitzeichen.