Schablonen

Theodor Fontane und die Bibel

Friedmar Coppoletta: „Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde“.
Universitätsverlag Potsdam, Potsdam 2018,
360 Seiten, Euro 15,–.

Im Fontane-Jahr werden sie uns wieder begegnen: die Brandenburgischen Pastoren, die als Nebenfiguren Theodor Fontanes Textwelt bevölkern. Von ihnen und von anderen Protagonisten ist hier manches fromme Wort zu lesen; aus dem Gesangbuch wird zitiert und aus der Bibel, direkt oder aus den Herrnhuter Losungen. Da ist es erstaunlich, dass Fontanes Bibelgebrauch literaturwissenschaftlich noch nicht näher unter die Lupe genommen wurde. Ob dergleichen Unternehmung in der Germanistik als bloß theologisch und damit als fachfremd angesehen wird? Immerhin findet die literarische Darstellung des Glaubens ausweislich des von Daniel Weidner herausgegebenen Handbuchs Religion und Literatur gegenwärtig einige Beachtung. Allerdings gibt es auch in der Theologie keine einschlägige Arbeit zu Fontane; immerhin hat Wilhelm Hüffmeier souveräne theologische Aufsätze zu Fontane geschrieben. In seiner Dissertation füllt der Germanist Friedmar Coppoletta diese Lücke. Zwei literaturwissenschaftliche Desiderate in der Fontane-Forschung werden dabei bearbeitet: Nicht nur steht ein materialer systematischer Ausweis von Bibelbezügen in Fontanes Werk noch aus, auch methodisch fehlt bislang eine angemessene Anwendung intertextualitätstheoretischer Konzepte auf Fontanes Texte; dabei setzt Coppoletta auf das „Konzept des literarischen Bibelwissens“. Fontanes Verarbeitung biblischer Texte seien keine simplen theologischen Positionierungen, vielmehr zeigen die Bibelbezüge Fontanes mit ihren distanzierenden Erzähltechniken einen Autor, „der viel eher mit Schablonen der Bibel spielt, als die Bezüge religiös zu romantisieren“. Der Literat verstehe und verwende die Bibel als Speicher an kulturellem Wissen in Form von Narrativen, Figuren, geflügelten Worten. Im 19. Jahrhundert konnte er davon ausgehen, dass seine Leserschaft dieses Textreservoir mehr oder minder kennt. Mit dem virtuos gestalteten Verhältnis von literarischem Text und biblischem Prätext – als Präfiguration, Permutation, Diskursschablone – könne Fontane in seinen Romanen gesellschaftliche, ethische, anthropologische Fragen so erzählen, dass deren normativer Anspruch, zeitgenössische Infragestellung und Bewahrung an literarischen Figuren lesend miterlebt werden können. Fontanes Bibelbezüge (besonders in fingierten Predigten) dienten darüber hinaus der poetologischen Selbstreflexion. Die neuere Fontane-Forschung, zum Beispiel die Germanistin Regina Dieterle, betont den engen Zusammenhang von Biographie und Werk, was auch für Fontanes Bibelverwendung gilt, wie sich an biblischen Bezügen in seinen autobiographischen Texten und Briefen zeigen ließe. Gleichwohl wird man die Mahnung Coppolettas beherzigen, von der Bibel, einer zunächst „neutral“ zu denkenden Referenzgröße, in Fontanes Werk nicht umstandslos auf die „Gesinnung des Autors“, auf seine religiösen Überzeugungen zu schließen. Immerhin: Für Fontane selbst gilt, was dieser im Stechlin dem Hofprediger Frommel zuschreibt: Bei ihm sind „Ernst und Scherz, Christlichkeit und Humor in glücklichster Weise verteilt“, was sich auch an seinem milden Spott über fromm-naives Bibelverständnis oder an Dubslav von Stechlins ironisch-virtuosem Bibelgebrauch zeigt. Mag auch die These einer „zunehmenden Differenzierung der Bibel“, einer poetologischen Entwicklung des ja erst im Alter zum Romancier Avancierten den Fontane-Leser nicht wirklich überzeugen, ist diese Fontane-Studie durchaus verdienstvoll, belegt sie doch eindrucksvoll die Bedeutung der Bibel als eines in Fontanes Romanen verarbeiteten Prätextes. Und sie ist ein interessanter Beitrag zum Gespräch von Literaturwissenschaft und Theologie. Schließlich stellt Coppoletta denen, die sich etwa in einer Predigt mit Fontane einem biblischen Text nähern wollen, mit einem Register aller Bibelstellen in Fontanes Romanen ein nützliches Hilfsmittel zur Verfügung. Bedauerlich ist, dass „tanzen vor der Bundeslade“ in den Poggenpuhls nicht als Anspielung auf 2.Samuel 6 identifiziert wurde.

Das Buch findet sich mitsamt Register online auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam

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