Wie ein Streit gelingt

Welche Sätze wir uns in Diskussionen besser sparen sollten
Foto: privat

Die Streitkultur steht derzeit schlecht da. Viele bedauern das, doch woran liegt es? Und wie kann man es besser machen? Hier sind vier Formulierungen, die Sie künftig vermeiden sollten, wenn Sie konstruktive Diskussionen schätzen. Und ein Satz, den Sie öfter sagen sollten. 

„Das ist zu undifferenziert! “ - Mit diesem Vorwurf kann man jede Diskussion stören, denn er trifft immer zu: Kein Debattenbeitrag, wenn es sich nicht gerade um eine Doktorarbeit handelt, ist völlig „differenziert“. In einem Kommentar, Redebeitrag oder Facebook-Post ist es unmöglich, alle relevanten Aspekte zu berücksichtigen. Einem Beitrag vorzuwerfen, er sei „undifferenziert“, ist daher eine leere Aussage, es sei denn, man konkretisiert sie. Zum Beispiel: „Gegen die These der Autorin spricht, dass X, Y oder Z ebenfalls eine Rolle spielt, was die Angelegenheit in einem anderen Licht erscheinen lässt.“

Das heißt: Wenn eine entscheidende Differenzierung fehlt, sollte man sie in der Debatte einbringen und so zur inhaltlichen Bereicherung beitragen. Das ist der Sinn einer Diskussion – relevante Aspekte und Informationen aus verschiedenen Perspektiven zusammenzutragen. Den Vorwurf „Das ist undifferenziert! “ kann man sich dann sparen. Er wäre reines Nachtreten, das nichts zur Sache tut. 

Wiederholung ist nötig

„Das ist nicht neu! “ - Bevor man dieses Argument bringt, sollte man sich fragen, ob wirklich alles, was man selbst einbringt, funkelnagelneu ist. Wohl kaum. Und das ist kein Wunder. Neue Ideen entstehen nicht aus dem Nichts, sondern aus dem gemeinsamen Umherwälzen und Wiederkäuen von Ideensplittern. Dass etwas neu ist, ist kein Qualitätskriterium, und alte Gedanken müssen oft wiederholt werden, wenn sie ins kulturelle Wissen einsinken sollen. Die französische Philosophin Simone Weil bemerkte: Wirklich neue Ideen haben selten eine Chance, Gehör zu finden. Denn es ist anstrengend und bedarf großer Aufmerksamkeit, eine neue Idee aufzunehmen und zu begreifen. Wenn jemand etwas Neues darlegt, schreibt Weil, „wird man nicht auf ihn hören; weil die anderen diese Wahrheit nicht kennen, werden sie sie nicht als solche gelten lassen. Ein Mensch, der etwas Neues zu sagen hat – denn die Gemeinplätze bedürfen keiner Aufmerksamkeit -, kann zuerst nur bei denen Gehör finden, die ihn lieben.“ Anders gesagt: Neue Ideen äußert man besser nicht gleich auf Facebook, sondern erst mal im privaten Kreis. 

„Warum muss man das ausgerechnet jetzt diskutieren?“ - Ein alter Trick: Wenn man ein Thema unangenehm findet, aber inhaltlich nichts dagegen sagen kann, kritisiert man, dass es überhaupt diskutiert wird. Besonders beliebt in Kreisen, die Angst haben, in der öffentlichen Meinung schlecht dazustehen, die evangelische Kirche ist dafür ein gutes Beispiel. In einer demokratischen Öffentlichkeit braucht es aber keinen besonderen Grund, um etwas zu diskutieren. Sobald jemand ein Thema interessant findet, ist es legitim, es zur Diskussion zu stellen. Die Frage, warum das geschieht, ist sinnlos, denn die Antwort lautet: Weil! Die Tatsache, dass Leute über etwas diskutieren, beweist, dass die Diskussion interessant ist – mindestens für die Beteiligten. 

Nicht nur Fakten

„Das ist empirisch nicht belegt! “ – Ja, nun. Die wenigsten von uns haben ein Forschungsinstitut zur Seite, das unsere Ideen empirisch evaluiert. In politischen Debatten geht es meist um Urteile und Perspektiven, nicht um Fakten allein. Würde man Diskussionen auf empirisch belegbare Argumente beschränken, wäre jede Diskussion sofort beendet. Der Vorwurf, ein Beitrag sei empirisch nicht belegt, ist nur sinnvoll, wenn man selbst eine Behauptung empirisch widerlegen kann.  

Diese vier Sätze sollte man im Hinblick auf eine konstruktive Debattenkultur vermeiden. Aber was könnte man stattdessen sagen? Hier eine universelle Formulierung für alle Situationen, in denen man widersprechen möchte. 

„Ich bin da anderer Meinung als du“ - Das ist das beste Statement überhaupt beim Streiten, denn es markiert klar einen Dissens, ohne sich als Schiedsrichter aufzuspielen. Statt den Argumenten der anderen gleich die Legitimität abzusprechen, macht es einen neuen Standpunkt sichtbar, vor allem für das Publikum, das nun zwischen zwei Positionen wählen kann. Der Satz eröffnet das Feld für weitere Begründungen und Argumente, die die eigene Position erläutern. Er fördert den Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Urteilen, Bewertungen und Perspektiven. Eine konstruktive Streitkultur besteht nicht im Rechthaben, sondern darin, interessante Aspekte einer Idee aufzugreifen und zu begründen, warum man es anders sieht. Deshalb gibt es viele Varianten dieses Satzes: „Ich habe das anders erlebt“; „Ich komme zu einem anderen Urteil“, „Ich kann deiner Bewertung nicht zustimmen“ und so weiter. Sie sprechen den Konflikt klar aus, ohne dem Diskurs die Grundlage zu entziehen. 

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