Gottes Ebenbild auch vor der Geburt

Zur Debatte um §218: Die Verantwortung gegenüber vulnerablen Personengruppen
Menschlicher Embryo in frühem Stadium, ein Zelle wurde zur Untersuchung unternommen.
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Menschlicher Embryo in sehr frühem Stadium. Eine Zelle wurde für Untersuchungen entnommen.

Die politische Debatte um eine mögliche gesetzliche Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland und die Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch hat auch die ethische Debatte neu angeregt. „zeitzeichen“ will in den kommenden Tagen die oft von Männern dominierte Debatte durch Beiträge von evangelischen Frauen bereichern, die vor dem Hintergrund ihrer beruflichen und persönlichen Erfahrungen entstanden. Heute beschreibt Friederike Spengler, Regionalbischöfin in Erfurt, ihre auch stark biografisch geprägte Position zum Thema.

Das Bild, welches ich von mir als Frau habe, ist ein voraussetzungsreiches. Es wird u.a. durch das Engagement und den wagemutigen Einsatz um Gleichberechtigung und Gleichstellung durch die Generation von Frauen vor mir ermöglicht. Nicht auszudenken, wie ich mich als Frau vorfinden würde, hätte es sie nicht gegeben!  Zu den Errungenschaften gehört auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, welches auch beinhaltet, sich für oder gegen Kinder zu entscheiden. 

Sexueller Freiheit und der Freude an deren Ausübung muss meines Erachtens ein besonders hohes Maß an Verantwortung aller Beteiligten gegenüberstehen. Dafür sind Möglichkeiten zur Verhütung von Schwangerschaften stets weiterentwickelt worden. Ich nehme allerdings wahr, dass deren Verwendung auch eine Frage des jeweiligen sozialen Umfelds und der Bildung von Frauen (und Männern) sowie der Kenntnis des eigenen Körpers ist. Gynäkologinnen, mit denen ich im Gespräch bin, markieren genau hier eine geradezu gegenläufige Entwicklung: Dem Wissen um eine Vielzahl von sexuellen Praktiken sowie mediengeprägten Vorstellungen darüber, wie Sex abzulaufen hat, steht teilweise die völlige Unkenntnis des eigenen Körpers gegenüber.  Dies hat Auswirkungen darauf, dass etwa fruchtbare Tage der Frau nicht zu besonders geschütztem Sex führen oder auf die Erfahrung mit fehlgeschlagener Verhütung umgehend ein Besuch bei der Frauenärztin/dem Frauenarzt erfolgt. 

Würde und Schutzauftrag

Die gegenwärtige Diskussion um §218 StGB nehme ich als zu einseitig wahr mit Blick auf das Recht auf Ausgestaltung und Entfaltung der Persönlichkeit, wie diese Art. 2 GG verbrieft. Dabei kommen mir Würde und daraus resultierender Schutzauftrag gegenüber menschlichem Leben (Art. 1 GG) zu kurz. Es braucht, so meine ich, einen Diskurs dazu, wie die verschiedenen und dennoch miteinander verbundenen Grundrechte ins Benehmen gesetzt werden können. Der seit 1989 orientierende gemeinsame Text vom Rat der EKD und Deutscher Bischofskonferenz „Gott ist ein Freund des Lebens“ ist für mich einer, dessen Stärke im offenkundigen Ringen um Positionierung liegt. Einzig ein solches Abwägen ist meines Erachtens angesichts der herausfordernden Situation, wie der einer Entscheidung über Fortdauer oder Abbruch einer Schwangerschaft, angemessen. Der Text stellt dazu überzeugend dar, dass es sich bei der schwerwiegenden und nachhaltigen Entscheidung um eine ethische Dilemma-Situation handelt, und arbeitet heraus, dass eine Entscheidung ausschließlich gemeinsam mit der schwangeren Frau und nicht gegen sie gefällt werden darf. 

Mein eigener Positionierungsversuch speist sich vor allem aus Erfahrungen fehlenden Schutzes gegenüber vulnerablen Personengruppen und ist – das muss mir selbst und darf auch anderen deutlich werden – auch biografisch geprägt: vom Heranwachsen als Frau, geboren 1968 im Osten Deutschlands, aus evangelischem Elternhaus, im pflegerisch/psychologisch-pädagogischen Bereich ausgebildet, danach zur Pfarrerin und heute zusätzlich mit kirchenleitenden Aufgaben beauftragt.

Aufgewachsen bin ich in einer Familie, in der ich keinerlei Verunsicherung meines Kind-Seins erfahren musste. Im Gegenteil: „Lasset die Kinder zu mir kommen, denn solchen wie ihnen gehört das Himmelreich“ gehörte ebenso wie andere kinderbejahenden Texte zu meiner Erziehung. Meine Eltern haben sich gleichberechtigt mit Themen kindlicher Entwicklung beschäftigt. Mit Beginn der Schulzeit kam ich dann intensiver mit Kindern anderer sozialer Verhältnisse und Lebensumstände in Berührung. Etwa in der 4. Klasse wurde ich während der Unterrichtszeit regelmäßig zu abwesenden Mitschülern nach Hause geschickt. Ich sollte mich nach ihnen erkundigen. Die Besuche machten mir teilweise auf brachiale Weise deutlich: Nicht alle Kinder wachsen als gewollte, geliebte Menschen auf. Ich sah dabei viel zu früh Spuren physischer, vor allem aber psychischer Vernachlässigung und Gewalt. Geschockt, vor allem aber ungeheuer wütend, kam ich in die Schule zurück und wurde nach meinen Eindrücken befragt. Auf meine anschließende Frage hin, was nun geschehe, hieß es, man werde sich dazu beraten. Dass diese Erfahrungen meinen Berufswunsch verstärkten, Kinderärztin zu werden, verwundert wohl nicht.

Form der Verhütung

Biologieunterricht Klasse 8: Die Entstehung des menschlichen Lebens wurde von der jungen Fachlehrerin analog der Evolution des Lebens aus dem Wasser aufs Land beschrieben. Deshalb würden auch die ersten Wochen im Mutterleib derselben gleichen, lehrte sie. Erst allmählich entwickele sich aus einem Zellhaufen zunächst menschenähnliches und dann menschliches Sein. Und deshalb gäbe es seit 1972 das Recht auf „Schwangerschaftsunterbrechung“ für alle in der DDR lebenden Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter, führte sie weiter aus. Diese Praxis sei eine wichtige Form der Verhütung, zu deren Mittel ansonsten Pille, Präservative und Spirale gehörten. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man eine Schwangerschaft nach der Unterbrechung weiterführen können solle, erhielt aber auf diesen Einwand keine Antwort. Am Ende des Schuljahrs fehlte eine Mitschülerin für einige Wochen. Diesmal schicke man mich nicht zu Besuch, sondern, so erklärte man, es würden andere Kommunikationswege gefunden werden. Schnell machte das Gerücht die Runde, dass die Mitschülerin wegen einer „Schwangerschaftsunterbrechung“ krankgeschrieben sei. 

Da mir der Zugang zum Abitur und zur Fachschule aus “gesellschaftlichen Gründen“ verwehrt wurde, musste ich mir andere berufliche Perspektiven suchen. Ich wurde im Kinderheim, im Kindergarten sowie in der Krankenpflege ausgebildet und war in der Heilerziehungspflege sowohl bei Kindern mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen als auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig. Gerade in letzteren Einrichtungen war Schwangerschaftsabbruch im Sinne einer „Vermeidung solchen Lebens“ Teil von Debatten unter Angehörigen und Pflegenden. Als etwa Siebzehnjährige hat mich die Aussage einer Stationsschwester bei der gemeinsamen Pflege eines mehrfach-schwerstbehinderten Jungen förmlich von den Füßen gerissen: „Wenn ich wüsste, dass ich soetwas im Bauch tragen würde, ich wüsste mir zu helfen! Das muss doch nicht sein, wie dumm war wohl diese Mutter.“ Ich habe mich intensiv mit der Geschichte der Euthanasie in Deutschland beschäftigt. Mir wurde immer deutlicher, was der Versuch einer Klassifizierung des Menschseins für Auswirkungen haben kann.

Ausgliederung aus dem Strafrecht

Gott sei Dank machte ich auch reichlich Erfahrung mit engagierten, um den Einzelnen bemühten Mitarbeitenden.  Mit ihnen erarbeitete ich individuelle Förderpläne und feierte jeden noch so kleinen Schritt auf dem Weg zu eigenständigem Handeln uns anvertrauter Kinder und Jugendlicher. Und dennoch: Bis Ende der 1980er-Jahre machte der Stempel „förderungsfähig“ oder „förderungsunfähig“ den oftmals entscheidenden Unterschied im Hinblick auf die Gestaltung des Lebens von Kindern mit besonderen Bedarfen. Und dieser ging immer einher mit einer Bewertung menschlichen Lebens als graduell oder qualitativ zu unterscheidendes Menschsein. Als Studentin der Theologie konnte ich mich damit zusammenhängenden Fragen wissenschaftlich stellen und wurde mit einer Arbeit zum Thema „Kindsein als Menschsein. Beitrag zu einer integrativen theologischen Anthropologie“ promoviert. 

Ich wünsche mir für unsere Kirche eine breit angelegte, diskursive theologisch-begründete Debatte. Für mich sind dafür grundlegende Aussagen in der bereits genannten EKD-Schrift festgehalten: Die Gottebenbildlichkeit und Würde jedes Menschen bezieht sich auch auf das vorgeburtliche menschliche Leben. Ihm ist deshalb jener Schutz zu gewähren, der jeder menschlichen Person gewährt wird. Um dies nicht gegen, sondern mit der Schwangeren zu bedenken, halte ich eine teilweise Ausgliederung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafrecht für denkbar, wenn eine Beratung weiterhin verpflichtend gemacht werden kann. Ich erwarte von uns als Kirche und Diakonie die Bereitstellung von bestmöglicher Begleitung und Unterstützung von schwangeren Personen.

Hinweis: Diese Artikelreihe zum Thema Schwangerschaftskonflikt entstand auf Initiative und in Zusammenarbeit mit Dr. Lea Chilian (Zürich), Mag. theol. Ruth Denkhaus (Hannover) und Prof. Dr. Sarah Jäger (Jena).

Bisher erschienen:  Britta Köppen: Begegnung im Konflikt. Wie evangelische Kirche wirklich stützen und schützen kann. 

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Friederike Spengler

Dr. Friederike Spengler ist Pfarrerin in der EKM und seit 2019 Regionalbischöfin in Thüringen.  Sie ist ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende des Thüringer Hospiz- und Palliativverbandes (THPV).


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